Raubkunst aus Franken
27.2.2010, 00:00 UhrDie Kunstwelt war elektrisiert, Museumsleute begierig auf dieses herausragende Werk mit seiner schillernden Provenienz: «Jupiter und Antiope«, 1612 von dem Niederländer Hendrick Goltzius gemalt, war das Spitzenlos bei einer Versteigerung von Sotheby’s, die kürzlich in New York über die Bühne ging. Taxiert war die 1,80 mal 1,20 Meter große Leinwand auf acht bis zwölf Millionen Dollar - ein Vielfaches des bisherigen Auktionsrekordes für den Niederländer.
Der Künstler schuf nur 50 Gemälde
Er zeigt hier fast in Lebensgröße, wie sich Jupiter in Gestalt eines Satyrs an die schlafende Schönheit Antiope heranmacht. Mit lüsternem Blick und roten Wangen kniet er vor der Ruhenden, in der Hand einen Pfirsich als Zeichen der Fruchtbarkeit. Aus dem Hintergrund mischt sich eine kleine Gestalt - ein Satyr oder Amor - ein und greift der schönen Nackten an die Brustwarze. Seit 25 Jahren war kein so bedeutendes Werk von Goltzius mehr im Kunsthandel. Der Künstler war erst um 1600 vom Kupferstechen auf die Malerei umgeschwenkt und schuf nur rund 50 Gemälde.
Mindestens genauso faszinierend wie die künstlerische Meisterschaft und mythologische Szene ist die Geschichte, die hinter diesem Bild steht - eine tragische Geschichte, die eng mit Nürnberg verflochten ist. Hier nämlich hing das hochkarätige und heute millionenschwere Bild bis 1939. Es war im Besitz des jüdischen Hopfenhändlers und Spielzeugfabrikanten Abraham Adelsberger, der eine hochkarätige Kunstsammlung, unter anderm mit Werken von Rubens und Spitzweg zusammengetragen hatte. «Man glaubt nicht, das so etwas mal in Nürnberg war. Diese Sammlung war außerordentlich hochwertig«, sagt Dominik Radlmaier, Provenienzforscher der Stadt Nürnberg.
Adelsberger wird von den Nazis vertrieben
Der am 23. April 1863 geborene Baden-Württemberger Adelsberger lebte mit seiner Frau Clothilde, Sohn Paul und Tochter Sofie ab 1897 in Nürnberg. Die Fabrikantenfamilie war wohlhabend, aber nicht erst die Weltwirtschaftskrise machte dem exportorientierten Unternehmer zu schaffen. Bereits 1927/28 nimmt er für 600.000 Reichsmark Kredite auf und gibt der Bank dafür seine Immobilien und einen kleinen Teil seiner Kunstsammlung als Sicherheit.
1930 und nochmals im Jahr darauf bietet er Bilder in München zur Versteigerung an - «Jupiter und Antiope« bleibt beide Male unverkauft. «Das war keine gute Zeit für Verkäufe. Das Werk war wohl zu hochpreisig«, vermutet Radlmaier. Unter Druck der Nazis muss Adelsberger 1937 sein Wohnhaus in der Sigenastraße und zwei andere Immobilien verkaufen. Seine Spielwarenfabrik wird arisiert.
Görings Objekt der Begierde
Während sein Sohn bereits 1934 nach Amerika emigriert und seine Tochter mit Ehemann nach Amsterdam geht, bleiben Adelsberger und seine Gattin in Nürnberg. Sie fliehen erst 1939 zur Tochter - mit dem Goltzius und wenigen anderen Kunstwerken im Gepäck. «Ich verstehe nicht, wie er zu diesem Zeitpunkt noch so hochkarätige Kunst mit ins Ausland nehmen konnte«, wundert sich Radlmaier. Er vermutet, dass Adelsberger seinem Sohn, der die amerikansiche Staatsbürgerschaft hatte, die Bilder übertragen konnte.
Wie auch immer er es angestellt haben mag: Adelsberger schaffte das Goltzius-Bild nach Amsterdam. Hier ließ es Hermann Göring der Familie im Dezember 1941 per Zwangsverkauf abnehmen, um damit seinen Landsitz Carinhall zu zieren. Abraham Adelsberger lebte zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr, er war im August 1940 in Amsterdam gestorben. Seine Frau wurde 1943 nach Bergen-Belsen deportiert, überlebte den Holocaust aber. Sie stellt nach dem Krieg auch Wiedergutmachungsanträge. «In denen spielt die Kunstsammlung aber erstaunlicherweise nur eine Nebenrolle«, stellt Radlmaier fest.
Angeblich hat ein europäischer Privatsammler das Werk ersteigert
Wegen der herannahenden russischen Truppen ließ Göring das Bild zusammen mit andern Kunstwerken 1945 nach Berchtesgaden auslagern. Nach Kriegsende wurde es von US-Soldaten geborgen und 1946 an die Niederlande zurückgegeben. Dort hing es über 50 Jahre als Leihgabe in öffentlichen Museen in Utrecht, Groning und Haarlem.
Im Juli 2007 macht die Tochter von Sofie Adelsberger Anspüche auf das Goltzius-Gemälde geltend - überzeugend und gerechtfertig, wie die niederländische Kommission für Restituierungsfragen befindet. Die Enkelin des Sammlers, die heute in Israel lebt, erhält «Jupiter und Antiope« im März 2009 als rechtmäßige Erbin Abraham Adelsbergers. Sie reicht das Bild 2010 zur Versteigerung bei Sotheby’s ein. Bei der Auktion landet der Preis deutlich unterhalb des Schätzwertes bei 6,8 Millionen Dollar. Diese Summe hat nach Angaben des Auktionshauses ein europäischer Privatsammler locker gemacht.