In der Erlanger Schenkstraße brodelt's

17.5.2015, 18:00 Uhr
In der Erlanger Schenkstraße brodelt's

© Giulia Iannicelli

Die Fotos auf den Schautafeln zeigen luftige Gebäude, urbane Architektur, doch ohne die bisherigen Spielplätze und mit weniger Freiflächen. Die Computer-Grafiken, die am vergangenen Freitag im Treffpunkt Röthelheimpark für wenige Stunden zu sehen waren, sollen den Anwohnern einen Eindruck geben, wie ihr Viertel, die Housing Area, in wenigen Jahren einmal aussehen könnte – und bis auf Nuancen wahrscheinlich auch aussehen wird. Nach der dreistündigen Informationsveranstaltung ist klar: Die Stadtspitze und ihre Wohnungsbaugesellschaft, die Gewobau, stehen zu ihrem Ziel, mehr sozial geförderten Wohnraum zu schaffen.

Die umfassendste und daher auch umstrittenste Maßnahme ist der komplette Umbau von Schenk- und Johann-Kalb-Straße. Die Zahl der Wohnungen wird von aktuell 250 auf rund 700 im Jahr 2017 steigen; derzeit leben 900 Menschen in dem Gebiet, danach sind es 1800, also das Doppelte. Eine Dimension, die die bisherigen Mieter in Aufruhr versetzt. Rund 150 von ihnen bringen im rappelvollen Saal am Brückentag (!) nach Christi Himmelfahrt (die EN berichteten) ihren Unmut mit Protestrufen und in die Höhe gestreckten Plakaten („Kein Abriss von Familienwohnungen und Kinderspielplätzen“) zum Ausdruck. Wirklich ändern, so machen Oberbürgermeister Florian Janik und Gewobau-Geschäftsführer Gernot Küchler bei dem Anhörungstermin klar, wird das jedoch nichts.

Spätestens im Herbst wird voraussichtlich mit dem ersten Abriss begonnen — die so genannten Verfügungswohnungen für Obdachlose müssen weichen. Die Monate bis dahin will Janik, wie er mehrfach betont, zum Austausch mit den Bewohnern nutzen. Genau diese glauben aber nicht mehr so recht daran, dass sie bei den Planungen überhaupt noch einbezogen werden. Diese Haltung kommt in der Publikumsrunde immer wieder zum Ausdruck.

Die Frauen und Männer, die sich zu Wort melden, wollen wissen, wie es nach dem Umbau mit Aufzug und Balkon aussieht, mit Abstellkammern, Stauraum und Einbauküchen (viele haben noch die Ausstattung der Amerikaner). Oder wie laut (oder leise) es in den bislang eher hellhörigen Wohnungen sein wird. Auch Befürchtungen, die Housing Area könne sich durch die Verdopplung der Einwohnerzahl zum sozialen Brennpunkt entwickeln, werden laut.

Die Anwesenden stellen also Überlegungen an, wie es wohl jeder tut, dessen gesamtes Wohnumfeld bald völlig umgekrempelt wird. Für Umweltbürgermeisterin Susanne Lender-Cassens aber sind das pure „Details“, die bei dieser Veranstaltung nichts zu suchen hätten und die das „Niveau“ der Diskussion nur nach unten drückten. Tatsächlich handelt es sich bei den von den Mietern vorgebrachten (Kritik)Punkten um alles andere als Petitessen.

Eine Frau etwa sieht die Bewohner der Housing Area als diejenigen, die „alle Kröten schlucken müssen“. Sie kreidet den Stadtplanern an, dass umliegende Grünzüge bereits für das angedachte Bürger-, Begegnungs- und Gesundheitszentrum (BBGZ), gemeinhin Handballhalle genannt, geopfert würden; mit dem Umbau ihrer Wohnungen fielen nun weitere Flächen zum Spielen und Erholen weg.

Diese Doppelung ist nicht nur Zufall: Beide Projekte im Erlanger Osten werden mit Mitteln des Städtebauförderprogramms „Soziale Stadt“ unterstützt. „Da schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe“, sagt Wolfgang Winkler, Vorstandsmitglied des Erlanger Mietervereins und Grünen-Fraktionschef, im Gespräch mit unserer Zeitung. Allein für die Sporthalle hätte es keine Fördermittel gegeben, ist er sich sicher. Den Umbau der Schenkstraße sieht der Mietexperte dennoch positiv: „Wir brauchen günstigen Wohnraum“, sagt er, „je mehr es davon gibt, desto weniger stark steigen die Preise.“

Denn die meisten Bewohner treibt die Angst um, dass sie nach dem Umbau in ihrem alten Viertel keine bezahlbare Wohnung mehr bekommen, da diese entweder zu teuer sind oder — das Gegenteil – ihnen Mitbewerber mit Anspruch auf eine Sozialwohnung vorgezogen würden. Beiden Ängste will OB Janik entgegentreten: „Ich garantiere, dass jeder, der schon hier lebt und bleiben möchte, eine bezahlbare Wohnung erhält.“ Jeder bekomme ein Angebot, das am Besten passt, verspricht der Rathauschef. Das gebe er den Betroffenen auf Wunsch schriftlich.

Bei der Umsetzung der Baumaßnahmen will der Rathauschef die Bewohner ebenfalls mehr ins Boot holen. Die Ausgestaltung etwa der Autostellplätze (Parkdeck oder Tiefgarage) oder der Freiflächen (Spielplätze und Grillanlagen) müssten noch diskutiert werden. Und selbst die Entscheidung, ob vorhandene Gebäude „nur“ aufgestockt oder zu Gunsten neuer abgerissen werden, sei noch nicht gefallen. Hierzu wird eine neue Befragung der Bewohner notwendig: In einer schriftlichen Umfrage der Gewobau (Rücklauf: 30 Prozent) hatte sich die Mehrheit für den Abriss einiger bestehender Gebäude ausgesprochen.

Nun aber plädiert ein Großteil für die Aufstockung. Eine Verwirrung, die nach Meinung etlicher Mieter vor allem auf eine ungenaue Formulierung des Gewobau-Anschreibens zurückzuführen ist. Zudem habe man den am Wettbewerb teilnehmenden Architekten die Möglichkeit von alleiniger Aufstockung und/oder Umbau zu wenig ans Herz gelegt, so dass sich diese in ihren Entwürfen zu sehr auf Neubeuten konzentriert hätten, räumt Küchler ein: „Es kann sein, dass das ein Fehler war.“ Die Folge: Die Erhebung wird nun wiederholt.

Auch Runde Tische, an denen Mieter und Vertreter von Stadt und Gewobau teilnehmen, sollen die Bedürfnisse der Bewohner ausloten. Um wirklich jeden Wunsch zu ermitteln, werden städtische Mitarbeiter in den nächsten Wochen „von Haus zu Haus“ ziehen, kündigt der Oberbürgermeister an und ergänzt: „auf dieser Basis wollen wir weiter arbeiten.“

Viele Bewohner versöhnen diese Worte am Ende zumindest etwas mit der Stadtspitze und ihren Plänen, andere hingegen hätten sich diesen Umgang mit ihnen schon viel früher gewünscht.

Viel Zeit bleibt jedenfalls nicht: Schon im Juni trifft der Aufsichtsrat der Gewobau die letzte Entscheidung – mit Florian Janik als Vorsitzenden an der Spitze.

Interessierte können die Architektenentwürfe zur Nachverdichtung ab heute, 18. Mai, in der Geschäftsstelle der Gewobau, Nägelsbachstraße 55, zu den üblichen Öffnungszeiten einsehen.

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