Kalchreuth während des NS-Regimes

18.5.2015, 06:00 Uhr
Kalchreuth während des NS-Regimes

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1218 Einwohner zählte Kalchreuth im Jahr 1939, überwiegend waren es Landwirte, dazu einzelne Handwerker, Wirte und auch Arbeiter, die in der „Papierbud’n“ (Vereinigte Papierwerke) in Heroldsberg oder in Nürnberg beschäftigt waren.

Bürgermeister war seit Juni 1933 Georg Hesselbach. Dass ein anderer Wind wehte, merkte als erstes der im Jahr 1927 gegründete Arbeiter-Turn-und Sportverein, er wurde 1933 verboten, ein SA-Trupp aus Erlangen nahm die Bälle weg, die vorhandenen Turngeräte wurden beschlagnahmt und abtransportiert.

Ab 1938 gab es dann die Hitlerjugend, erstmals fanden auch vormilitärische Übungen und Aufmärsche statt. Zahlreiche Veteranen aus dem Ersten Weltkrieg waren Mitglieder in dem im Jahr 1900 wieder gegründeten deutschen Kyffhäuser-Bund. Wie ein Bild belegt, fand auch ein Marsch in der Hauptstraße statt. Einige Teilnehmer hatten schon die Hakenkreuzbinde am Arm. 1939 rückten dann die ersten Männer zur Wehrmacht ein.

In einem persönlichen Bericht eines Kalchreuthers, der 1940 zur Wehrmacht nach Bamberg eingezogen wurde, in Griechenland, Russland und schließlich Italien kämpfte, heißt es: „ Am 6. Mai 1945 haben wir kapituliert. Es waren bereits die Amerikaner in Italien. Unglücklicherweise gerieten ich und einige Kameraden aber noch in die Hände von Partisanen. Bei einem Marsch durch buschiges Gelände konnte ich fliehen und rannte um mein Leben. Ich hörte noch das Maschinenpistolen-Feuer, Gott hat mich beschützt und ich wurde nicht getroffen. Ich versteckte mich in der Nacht und am nächsten Tag kamen amerikanische Soldaten, die mich mitnahmen in ein riesiges Gefangenenlager.“ Mit Güterzügen und Sattelschleppern gelangte der Kalchreuther schließlich nach Nürnberg. „Von dort lief ich dann nach Heroldsberg und weiter nach Kalchreuth, wo ich am 3. Oktober 1945 zuhause ankam.“

Solche oder ähnliche Schilderungen konnte man nach dem Krieg von vielen Heimkehrern in Familien oder an Stammtischen hören. In anderen Familien kehrten Mann, Vater oder Bruder nicht aus dem Krieg zurück. 75 Kalchreuther Männer verloren ihr Leben im Zweiten Weltkrieg.

Doch auch ohne die Männer musste das Leben der Frauen, Kinder und Alten während der Kriegsjahre im Ort weitergehen. In der Pfarrbeschreibung aus den Jahren 1934 bis 1939 ist von einem Kirchenkampf die Rede. Die Gemeinde teile sich in zwei Lager, heißt es darin. „Einige glauben sich zu den Deutschen Christen (DC) schlagen zu müssen. Sie besuchten gemeinsam DC-Versammlungen und Gottesdienste in Nürnberg oder Forth. Sie gewannen aber keine Freunde in der Gemeinde, sondern wirkten vielmehr abstoßend. Je geringer ihr äußerer Erfolg, desto stärker das hinterhältige Verleumden und Diffamieren.“

1935 spricht ein NSDAP-Parteigenosse öffentlich vom Landesbischof Meiser und dem Ortspfarrer Carl Reissinger als Lumpen, die von der Kanzel heruntergeschossen gehören. Am Ende des Jahres gibt es große Aufregung im Dorf. Zwei Mädchen der Christenlehre machten Meldung wegen einer angeblich feindlichen Äußerung des Pfarrers über das Winterhilfswerk, mit dem das NS-Regime die materielle Not von Teilen der Bevölkerung linderte. Die Mädchen führten schon länger im fremden Auftrag Buch über Äußerungen des Pfarrers und nun ist die Sache reif zur Anzeige.

Eine Regierungskommission erscheint, im Schulhaus findet ein großes Verhör statt. Die Erregung in der Gemeinde stieg stündlich, selbst aus Röckenhof und Käswasser kamen Gemeindemitglieder, die ganze Gemeinde versammelte sich im alten Kirchhof vor dem Schulhaus, sang ein Kirchenlied und Wagnermeister Friedrich Völkel ergriff das Wort zu einer längeren Ansprache, die ein Treuebekenntnis zu Kirche und Pfarrer war.

Die ganze Sache ging noch einmal gut aus, es nahm aber kein Ende. 1938 traf die Gestapo im Kalchreuth ein und verhörte wieder Kinder, die in die Christenlehre gingen. Weiter wurde jetzt Pfarrer Reissinger selber eineinhalb Stunden lang verhört.

Nachdem es nicht gelungen war, den Pfarrer zu Fall zu bringen, wurde er wegen Beleidigung eines Parteiredners verklagt und zu einer Geldstraße von 105 Reichsmark verurteilt. Der Pfarrer legte jedoch Berufung ein, fiel dann aber unter die Amnestie, die der Führer zum 1. Mai 1937 erließ. Die gleiche Amnestie traf ihn wie viele andere Pfarrer Frankens auch wegen der Nicht-Beflaggung der Kirchengebäude am Hesselberg-Tag.

Die Kirchengemeinde hielt weiterhin treu zu ihren Pfarrern. Reissinger starb am 4. Februar 1941, als Nachfolger kam Pfarrer Johann Sperl und im Frühjahr 1945 Gottlob Müller.

Die Konfirmation fand in diesem Jahr am Ostersonntag und nicht wie üblich eine Woche früher am Palmsonntag statt. Im Kirchenbuch schrieb Pfarrer Müller: „Die Verlegung auf den Ostersonntag wurde veranlasst durch eine Verfügung der Parteileitung, dass am 24. und 25. März die politischen Feiern der aus der Schule zu entlassenden Jugend stattzufinden hätten.“

Man habe mit der Goldenen Konfirmation nicht noch eine Woche bis zum Weißen Sonntag warten wollen, da die Amerikaner bereits in Bamberg waren und weiter vorrückten.

„Während des Festgottesdienstes, etwa um 9.10 Uhr, heulte zum ersten Mal die Sirene auf dem alten Schulhaus neben der Kirche zum Voralarm, wenig später zum Alarm und kurz darauf zur Tieffliegerwarnung“, so Müller. Kurz danach gab es Entwarnung.

Am 16. April 1945 kamen dann die Amerikaner nach Kalchreuth. Bei der Verteidigung starben noch drei SS-Soldaten und eine Zivilistin. Die letzten Reste der Wehrmacht verzogen sich Richtung Heroldsberg und Nürnberg, das Dritte Reich war zu Ende.

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