Bewegende Erinnerungen an die verlorene Heimat Fürth

9.4.2017, 16:00 Uhr
Bewegende Erinnerungen an die verlorene Heimat Fürth

© Foto: Jungkunz

Er sei "sehr froh, dass Sie heute zu uns gekommen sind und mit uns sprechen", begrüßte Oberbürgermeister Thomas Jung die Gruppe von 28 Juden, die Fürther Wurzeln haben und der Einladung von Stadt und Kirchen gefolgt sind. Fürths evangelischer Dekan Jörg Sichelstiel erzählte von den Verstrickungen seiner Kirche während der NS-Zeit und vom schwierigen Gedenken an Martin Luther und seine antisemitischen Texte ("ein Grund zum Schämen").

Sichelstiel hatte zusammen mit seinem katholischen Kollegen André Hermany und Cornelia Kimberger vom Dekanatsrat der Katholiken angesichts des Reformationsjubiläums eine ökumenische Pilgerreise durch Israel und Palästina auf die Beine gestellt (Bericht folgt), zu der auch die Begegnung in Jerusalem gehörte.

Stadtpark im Hof

Die zum Teil noch in Fürth geborenen Juden schilderten Bewegendes aus ihrer Jugend. Rachel Luzann (geborene Felsenstein) erzählte, sie habe als kleines Kind ("aufgewachsen in der Friedrichstraße 17") die Nazi-Schilder mit der Parole "Juden unerwünscht" noch nicht lesen können, die ihr und ihrer Mutter zum Beispiel den Besuch des Stadtparks unmöglich machten. "Weil wir da nicht reindurften, hat mir meine Mutter dann einen Sandeimer und ein Schäufelchen gekauft – und ich konnte bei uns im Hof Stadtpark spielen."

Oskar Prager, 1929 in Fürth geboren und in der Blumenstraße aufgewachsen, erinnerte an seinen Vater, den damaligen Leiter der jüdischen Schule gleich in der Nachbarschaft. Es habe ihn "sehr gefreut" und gerührt, als er die Einladung der Stadt zum Empfang in Jerusalem erhielt, zu dem ihn sein Sohn David Prager begleitete. Und Prager senior zitierte im Gespräch den von ihm leicht abgewandelten alten Spruch "Wer nichts ist und wer nichts wird, geht nach Fürth und wird ä Wirt."

Die Mutter von Ronny Dotan hatte Fürther Wurzeln. Der 1946 in Palästina geborene Dotan überreichte Thomas Jung ein Familienfoto aus alten Fürther Tagen, das den Bestand des Jüdischen Museums Franken ergänzen wird – dessen Vertreterin Monika Berthold-Hilpert gehörte der Fürther Delegation an. Dotan erforschte nach und nach seine Familiengeschichte – und fand heraus, worüber damals, nach dem Krieg, lange geschwiegen wurde: dass der Holocaust auch seine Familie getroffen hatte. Die beiden alleinstehenden Schwestern seiner Großmutter waren nach Riga deportiert und dort erschossen worden.

Anlass für Dotan, sich für Erinnerungsorte stark zu machen. Er unterstützt in Berlin, wo seine Familie vor der Auswanderung nach Palästina 1936 lebte, das "Stolpersteine"-Projekt: Durch in den Gehsteig eingelassene Gedenksteine wird an jüdische Bürger erinnert, die an dem jeweiligen Ort gelebt haben. Und er startete das Projekt "Waggon 12246".

Dotan erwarb einen jener alten Güterwagen der Reichsbahn, mit denen Millionen von Juden und anderen NS-Opfern an die Stätten der Vernichtung transportiert wurden – auch seine Großtanten.

Diesen Waggon mit der Nummer 12246 ließ er von Deutschland nach Israel bringen, wo er nun in der Stadt Netanja als lebendiges Stück Zeitgeschichte und Ausstellungsobjekt steht – und Dotan bietet dort Führungen durch den Waggon an, der die Verfolgung beklemmend erlebbar macht.

Würde man die Geschichte erfinden, die Elie Holzer beim Empfang in Jerusalem erzählte – niemand würde sie glauben. Aber sie ist wahr, und sie geht so: Holzer ist verheiratet mit Suzi Koschland Holzer, und ihre Tochter Lital heiratete vor kurzem Noam Sinclair. Die Familie von dessen Vater Danny Sinclair hießt Shulewitz, bis sie 1938 nach Großbritannien auswanderte – aus Fürth. Ein Jahr vorher hatte die Familie Koschland ebenfalls Fürth verlassen – Richtung Brasilien.

Dort kam Suzi Koschland zur Welt. Nach der Heirat ihrer Tochter mit Noam Sinclair entdeckten sie dann die gemeinsamen Fürther Wurzeln der beiden Familien. Die Großväter Koschland und Shulewitz hatten sogar zusammen in der gleichen Klasse gesessen.

Wiederholung möglich

Und ein an der Familiengeschichte interessierter Verwandter fand in einem US-Archiv ein Exemplar des Fürther jüdischen Gemeindeblatts aus dem Jahr 1937. Dort stand auf einer Seite die Anzeige der Familie Koschland, die den Fürther Juden mitteilte, dass ihre Ausreise nach Brasilien erfolgreich über die Bühne gegangen sei – auf der gegenüberliegenden Seite eine Anzeige der Familie Shulewitz, in der die Bar Mizwa ihres Sohnes verkündet wurde. "Wir erleben die Geheimnisse von Geschichte und Zeit", sagte Elie Holzer, der diese berührende Familiengeschichte beim Empfang in Jerusalem schilderte.

In vielen Gesprächen ließ sich die Fürther Kirchendelegation ähnliche Erinnerungen erzählen. Mit dabei waren auch Angehörige der ehemaligen Fürther Familien Abraham, Cohen, Deutsch, Felsenstein, Hexter, Magen, Offenbacher, Sichel und Stern. Wiederholung eines solchen Treffens: nicht ausgeschlossen, waren sich die nun in Israel lebenden Juden mit Fürther Wurzeln und die Delegation der Stadt nach diesem Abend einig.

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