Motown-Sound im Stadttheater

17.2.2015, 10:30 Uhr
Motown-Sound im Stadttheater

© Foto: Dietrich Dettmann

Was aber ist eigentlich Motown? Es ist der Name eines Plattenlabels von Schwarzen für schwarze Musiker. Bloß verstand es sein Gründer Berry Gordy jr., ab 1959 aus dem Ghetto der schwarzen Musik auszubrechen und weltweiten Erfolg einzufahren. Ob er dabei nun „seine“ Musik verriet, nur eine verwässerte Form verbreitete oder sie im Gegenteil auf eine neue Qualitätsstufe hievte, darüber streiten sich die Ästheten der Populärmusik.

Motown, das ist die Zusammenziehung von „Motortown“. Damit ist Detroit gemeint, die ehemalige Auto-Hochburg Amerikas, Berry Gordys Heimat und Firmensitz, heute total auf den Hund gekommen. Wollte man das Kunstwort auf deutsche Verhältnisse übertragen, etwa auf Opel und Rüsselsheim, dann käme „Rüpel“ heraus.

Selbstbewusste Stars

Und rüpelhaft waren Sprache und Gestus der Musiker durchaus. Weshalb Gordy seinen aufstrebenden Talenten ein ausgefeiltes Benimm-Programm verordnete. Allerdings wollte er keine domestizierten Schwarzen, sondern selbstbewusste, stolze Stars, die den weißen Unterhaltungskünstlern auf Augenhöhe begegnen. Mit Erfolg: Das Image des aristokratischen Schwarzen brachte die weißen Rassisten erst recht zur Weißglut und erfüllte die Hörer mit Ehrfurcht. Ikone dieses Selbstbewusstseins war das Logo der Plattenfirma, ein stilisiertes schwarzes M, massiv und monolithisch wie ein Berg.

Das Singspiel „Motown — die Legende“, ein Gastspiel des Theaters im Rathaus Essen, betreibt, wie schon der Titel andeutet, Legendenbildung. Eine dürftige Rahmenhandlung liefert die Bausteine hierzu. Syd, Lance Zack, Judy und Linda basteln in einer Garage an einem Motown-Musical, und wenn sie nicht gerade — unterstützt von weißen (!) Begleitmusikern — die alten Hits aufwärmen, referieren sie die Gründungsgeschichte, kolportieren Begebenheiten aus Berry Gordys Leben; vor allem die Mär, dass die rhythmischen Fließbandgeräusche der Autowerkhallen ihn zum Motown-Sound inspiriert hätten. Natürlich plustern alle Männer im Balzgestus und wollen den Damen imponieren. Und natürlich leidet Linda unter Liebeskummer, ihr Freund betrügt sie mit einer anderen, weshalb Judy sie inbrünstig tröstet mit „When a Man loves a Woman“.

Das sparsame Bühnenbild zeigt Garagenmobiliar, für optische Abwechslung sorgt allein ein Monitor, der Bilder der Motown-Heroen einblendet, hin und wieder auch Prügelszenen aus den sechziger Jahren, Bilder von Marin Luther King und natürlich Glanz und Elend Detroits. Am Ende rücken die Bagger an und vertreiben die armen Motown-Jünger aus ihrer Garage.

War’s das? Nein, denn nach der Pause erfolgt der Zeitsturz zurück in die Sechziger und Siebziger. Nun glüht die Bühne in Rot und Orange, werfen sich die Sänger in Schale und Glitzerlook, wird keine Was-auch-immer-Handlung vorgetäuscht, jetzt wird gesungen, gerockt und getanzt, dass es eine wahre Freude ist. Jetzt wird aufgedreht, „My Girl“ und „My Guy“ kraxeln „Up the Ladder to the Roof“, es kracht das „Shotgun“, und es stellt sich die Frage „Are you Man enough?“

Motivierte Interpreten

Berechtigte Frage. Einerseits sehnt man sich nach den Originalinterpreten, nach Diana Ross, Marvin Gaye und Otis Redding, aber die großen Künstler sind mit Ausnahme Stevie Wonders entweder tot oder in einem dermaßen gesetzten Alter, dass man ihnen den Überschwang der Leidenschaft nicht mehr abnimmt. Andererseits werfen sich die Interpreten - allen voran Siggy Davis, Meimouna Coffi und Wilson Michaels, mit einer solchen Lust in die Musik, dass sie den Charakter des bloßen Tributkonzerts komplett vergessen machen.

Und ja, es gibt nicht nur Denkmalpflege, es wird auch liebevoll am Monument gekratzt. Etwa wenn das Damentrio der Supremes erst durch Trevor Jackson im Glitzerlook komplettiert wird, was dem Ganzen einen köstlich tuntigen Feinschliff verleiht. Oder wenn David-Michael Johnson im Falsett den minderjährigen Michael Jackson aus den „Jackson Five“-Zeiten persifliert.

Da hält es auch das Publikum nicht mehr auf den Sitzen. Und da stört es auch nicht weiter, wenn Motowns schleichender Niedergang überhaupt nicht thematisiert wird. Die Legende rotiert ewig im Kreis des Plattentellers.

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