Poetry Summer Slam: Kreischen in Reimgewittern

11.8.2015, 16:35 Uhr
Poetry Summer Slam: Kreischen in Reimgewittern

© Foto: Thomas Scherer

Lyriklesung heute? Da denkt man an sensible Damen und Herren, die vor einer Schar von Deutschlehrerinnen im Ruhestand auf Sinnsuche gehen. Die alten Griechen hatten es vorgemacht. Wenn Homer oder Hesiod in Laune waren, köpften sie eine Amphore Demestica, setzten sich auf den Marktplatz und hoben an, von den Helden zu singen, vom fußschnellen Achill und von den Fahrten des Odysseus über dem weindunklen Meer. Und die Hellenen lauschten ergriffen, betört von der Macht des Wortes, denn Gott selbst war in die Poeten gefahren. Daher rührt das Wort „Enthusiasmus“.

Just dieser Enthusiasmus brach sich am Wochenende im Hof der Kofferfabrik freie Bahn. Sieben junge Damen und Herren aus Wien, München, Bayreuth, Heidelberg, Dietenhofen und Fürth stellten sich auf die Bühne und stießen ihrem Pegasus die Sporen in die Weichteile. Dazu gehört der Überraschungseffekt: Niemand weiß, wer da alles aus der näheren und ferneren Umgebung kommt, das wird erst im Moment der Präsentation klar. Ebenso klar sind die Spielregeln.

Die Reihenfolge des Auftritts bestimmt das Los, Buhrufe sind verpönt, der Applaus fällt je nach Gefallen mal gelinde, mal stark, mal orkanartig aus. Ein Juroren-Quintett verteilt Punkte von Eins bis Zehn. Um Extremwerte zu vermeiden, bleiben die höchste wie die niedrigste Punktzahl außen vor. Die Juroren sind keine Fachleute, sondern Zuhörer jeglichen Alters, eine gewisse Slam-Erfahrung macht sich aber immer gut. Und sie dürfen mit den Poeten weder verwandt noch bekannt sein.

Der erste Dichter hat es erfahrungsgemäß am schwersten, deshalb gibt Moderator Michael Jakob im Wolkenkostüm den Einheizer und liest Haarsträubendes aus seinem Buch „Mein Penis und andere Kurzgeschichten“ vor. Dermaßen eingestimmt, entert die Fürtherin Lara Ermer die Planken und gibt mit blutroter Mähne und bloßen Füßen ihre Seeräuberballade „Piraten, Prinzessinnen und Poesie“ zum Besten.

Begehrte Adressatin

Ihr folgt der massige Martin Hönl mit einem Liebesgedicht. Das braucht einen Adressaten. Schon schmachtet Hönl eine junge Dame mit Krücke in der ersten Reihe an. „Immer wieder passiert das mir, dass mich die Dichter auf den Poetry Slams erwählen“, erzählt die Angebetete später in der Pause.

Doch bis zur Pause ist’s noch weit. Adina aus Wien mit Zopf und Kopftuch reimt vom Ungemach der Kindheit und vom kleinen Bruder, der ihr ins Badewasser pinkelte, Stef aus München fragt sich, wo sein Zuhause liegt, und der Bayreuther Nils Frenzel sieht die Rettung der Menschheit auf dem Rücken der Schildkröten. Es geht deftig zu, von Sex und Anbaggern ist viel die Rede, noch mehr aber vom Scheitern der Manöver. Ebenso mischen sich Fragen der Weltordnung mit den Wirren des privaten Alltags zu einem Kuddelmuddel, mahnen die Dinosaurier als ausgestorbene Spezies vom Werden und Vergehen. Vom Kampf mit dem Schicksal bis zur Schlacht in den Betten lassen die Jungen kein Thema aus, das nicht schon die Alten einst besungen. Aber mit welchem Furor! Wo man einst bei Goethe und Schiller in Habachtstellung lauschte, da kreischt und lacht das Publikum heute vor Vergnügen.

Dazu gehört ein Vortrag im Stakkatostil, im Reimgewitter mit sechs, sieben, gar acht Satzenden auf dem selben Reim. Ein getragener Duktus, gar Gedankenpausen sind in diesem Slam nicht vorgesehen. Das ist schade, denn als Hörer möchte man gerne den Gedichten nachschmecken, die Zeilen nachhallen lassen. Stattdessen hetzen wir von einer Wortsensation zur nächsten.

Am Ende, nach dem Duell der zwei Höchstbewerteten, trägt der Heidelberger Daniel Wagner den Sieg vor Nils Frenzel davon. Sein Lorbeer: eine Flasche Roter aus Italien. Den hat er sich wacker verdient. Jugend und Dichtkunst, im Hinterhof zu neuem Leben erweckt.

Nächster Fürther Poetry Slam: 13. September, 20 Uhr, Kofferfabrik (Lange Straße 81), 6 Euro (nur Abendkasse).

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