So nicht, Mr. President!

18.11.2016, 16:00 Uhr
So nicht, Mr. President!

© Foto: Drew Angerer/AFP

Martina Scharinger sagt mit wehmütiger Stimme das, was viele Deutsche am Tag danach gesagt haben: „Ich war mir so sicher, dass Clinton gewinnt. . .“ Dass sich am Ende Donald Trump durchsetzte, hat die 40-Jährige, die seit etwas über einem Jahr mit ihrer Familie in Westfield unweit von New York lebt, tief getroffen. Geradezu erschüttert seien die Amerikaner aus dem Freundeskreis, den sich das Ehepaar dort aufgebaut hat.

Die gebürtige Zirndorferin sah viele Tränen. Manch einer fühlte sich derart aus der Bahn geworfen, dass er sich erst einmal krank schreiben ließ. Andere wollten tagelang nicht über den Wahlausgang reden. „Dieses Ereignis“, sagt sie, „hat wirklich jeden bewegt.“ Die Leute gingen nur unterschiedlich damit um. „Einige sehen das auch pragmatisch: Ist halt jetzt so, wird schon wieder werden.“

Den Wahlkampf hat die Hausfrau und Mutter zweier Kinder hautnah erlebt, samt einiger „leidenschaftlichen Diskussionen auf Partys“. Die Stadt Westfield im Bundesstaat New Jersey, rund 45 Autominuten von New York entfernt, sei das, was die Amerikaner eine Blue Bubble nennen, eine blaue Blase. Will heißen: Hier wohnen gebildete Menschen unterschiedlicher Herkunft, sie haben gute Jobs, sind offen und tolerant – und wählen eher demokratisch.

„Wenn ich eine Waffe hätte. . .“

Das bedeutet nicht, dass da nicht auch die anderen wären. Eine enge Freundin habe sich als leidenschaftliche Trump-Anhängerin entpuppt. „Auch die Haltung einiger anderer, die wir sehr schätzen, war kaum nachvollziehbar. . .“ Mit Fakten sei da nur schwer beizukommen, endgültig schockierend wurde es bei Sprüchen wie: „Wenn ich eine Waffe hätte, hätte ich Obama längst erschossen.“ Was tun? Den Kontakt abbrechen?

Trump polarisierte wie kein anderer Kandidat in den vergangenen Jahrzehnten. Besonders über Facebook, das die Amerikaner noch viel intensiver nutzen als die Deutschen, habe sie mitbekommen, dass an der Wahl nicht nur Freundschaften zerbrochen seien. In einer Facebook-Gruppe habe sie gelesen, wie eine Frau verzweifelt schrieb: Thanksgiving naht, und sie wisse nicht, ob sie sich an einen Tisch mit ihrer Familie setzen könne, die einem frauenverachtenden Rassisten zujubelt.

Zum Wahlabend wollten die Scharingers eigentlich Freunde einladen, aber die Party platzte, weil Martina krank geworden ist. „Als ich abends um halb zehn neben meinem Mann auf dem Sofa eingeschlafen bin, sah alles noch ganz gut für Clinton aus.“ Als sie zwei Stunden später aufwachte, hatte Trump die Nase vorn – das Ehepaar war fassungslos.

Zurzeit machen sie Urlaub in Fürth, sie besuchen Familie und Freunde. Fragt man Martina Scharinger nach dem Gefühl, mit dem sie in zwei Wochen in den Flieger in die USA steigen wird, antwortet sie: „kämpferisch.“ Sie habe vor, sich an Aktionsbündnissen zu beteiligen, die sich in Westfield gründen. Ganz dick in ihrem Kalender steht bereits der Termin für den „Million Women March“: Zu Trumps Amtsantritt im Januar wollen zigtausende Frauen nach Washington kommen, um zu protestieren.

Sicherheitsnadel als Signal

Dass nach Trumps Hasstiraden in einem aggressiven Wahlkampf nun viele Amerikaner – gerade Latinos und Muslime, aber auch Homosexuelle – in Angst lebten, kann Scharinger bestätigen. Von einer befreundeten Lehrerin habe sie gehört, dass kurz nach der Wahl ein Schüler mit lateinamerikanischen Wurzeln beschimpft wurde. „Hau lieber ab, sonst deportieren wir euch.“ Zehn- bis zwölfjährige Jungs fassten aus Spaß ihren Mitschülerinnen in den Schritt, weil der künftige Präsident das schließlich auch so mache.

Die Sicherheitsnadel, der Safety Pin, werde gerade – ähnlich wie nach dem Brexit in Großbritannien – zu einem Symbol für den Zusammenhalt. Wer eine Nadel an der Kleidung trägt, beispielsweise am Revers, signalisiert Menschen, die von Übergriffen bedroht sind, dass sie nicht alleine sind. „Manche haben sich sogar eine Sicherheitsnadel auf das Handgelenk tätowieren lassen“, sagt Scharinger und staunt. Sie selbst fühle sich nicht bedroht, räumt aber ein: „Das wäre womöglich anders, wenn meine Familie und ich eher südländische Typen wären.“

Einige ihrer US-Freunde, die sich nach der Wahl erschreckt gefragt hätten, in welchem Land sie eigentlich leben, beruhigen sich derzeit mit dem Ergebnis der sogenannten Popular Vote: Zwar hat Trump gewonnen, weil er mehr Wahlmänner in den Bundesstaaten einsammeln konnte. Die meisten Stimmen insgesamt, nämlich über eine Million mehr, entfielen aber auf Hillary Clinton. Es ist eine Art Hoffnungsanker mit einer tröstenden Botschaft, sagt Martina Scharinger: „Dieses Land besteht nicht nur aus Rassisten.“

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