Vielleicht ist Oma ja gar nicht bescheuert

6.8.2017, 14:00 Uhr
Vielleicht ist Oma ja gar nicht bescheuert

© Foto: Blind

Von Sommerloch keine Spur, die jungen Wortkünstler der "Rooftop Stories" zeigen sich auch in diesem Monat wieder schaffensfreudig. Den tropischen Temperaturen mit einem kühlen Aperol Spritz trotzend, lässt sich das Publikum auf der Terrazza der Innenstadtbibliothek von der dargebotenen Poesie spürbar mitreißen.

Den entspannten Anfang macht an diesem Donnerstagabend das Akustik-Duo Rainer Reiher. Mal ungezwungen nuschelnd, mal melancholisch leiernd oder gar herzzerreißend miauend, machen die lässigen Fürther Jungs mit ihren Weirdofolk-Klängen Lust auf lange Strandnächte und prasselnde Lagerfeuer.

Mit den soften Urlaubstönen wird jedoch rasch gebrochen: Die Autoren Immanuel Reinschlüssel von der Fürther "Schaffenskrise" und Anja Zeltner ziehen ihre Zuhörer in deutlich tiefere Emotionsgefilde. Ihr Prosafeuerwerk aus findigen Metaphern, unklaren Perspektiven und tragischen Begegnungen fordert heraus.

"Wir wollen eine qualitativ hohe literarische Alternative in Fürth bieten", erläutert Rooftop-Mitbegründer Reinschlüssel den Grundgedanken der Reihe — und verspricht damit nicht zu viel. Anspruchsvoll steigt Anja Zeltner, "Fürtherin aus Leidenschaft und Berlinerin aus. . . Gründen", ein. Mit ihren Kurzgeschichten nähert sie sich dem Alltag in Nahaufnahmen, deckt erfrischend subtil Stereotype auf und zeigt, was Anderssein bedeutet. "Schutz" blickt hinter die Kulissen des Münchner WG-Lebens. Privilegierter Student trifft auf tätowierten Großstadtproleten. Wie unschuldig ist die Perspektive des ängstlichen Informatikers, wie viel Abneigung verdient das Problemkind?

"Woran erkennt man die Realität?", fragen sich Zuhörer und Erzähler. Auch in "Sie ist" wird weitergerätselt. In vagen Gedankenströmen schlüpft die Erzählerstimme in Rollen am Rande der Gesellschaft, deckt Alltagsrassismen auf und überschreitet provokant Geschlechtergrenzen.

Niemals positiv

"Nicht erschrecken", warnt Reinschlüssel, der nicht nur moderieren, sondern auch vorlesen darf. "Positiv geht’s bei mir eigentlich nie zu." Handlungsstränge interessieren ihn wenig, im Vordergrund stehen Gefühlswelten. Nur was an die Substanz geht, bleibt hängen.

Auf Worte folgen Taten, wie Reinschlüssels "Das Klappern" beweist. "Vielleicht ist Oma ja gar nicht bescheuert", überlegt der junge Erzähler. Immer wieder hört die demente Großmutter ein nicht vernehmbares Klappern. Traumatische Echos russischer Artilleriegeschosse, die ihrer Familie einst das Leben gekostet haben.

Auch das nächste poetische Wortgefecht zeigt sich gewaltsam, während der Protagonist "Liebesgedichte gegen Mauern" wirft, bis diese nachgeben. In ausufernden kriegerischen Metaphern verführt eine Beziehung zwischen Liebe und Lügen das Publikum.

"Zum Schluss sollte man mit etwas Positivem rausgehen", findet Reinschlüssel. Aber so ganz kann man ihm nicht trauen, denn obwohl das letzte Werk des Abends augenscheinlich ein Urlaubsparadies beschreibt, merkt man schnell, dass Leid überall anzutreffen ist. Dass Bewohner sogenannter Inselparadiese gegen den Hunger ankämpfen müssen, stimmt nachdenklich — und lädt dazu ein, den sonnigen Moment auf der Terrazza nicht nur zu genießen, sondern auch wertzuschätzen. Urlaub geht eben auch daheim.

Die nächsten "Rooftop Stories": 7. September, 19.30 Uhr, mit Lara Ermer und Miguel Fugaz, Musik: Flo von Tastiko. Innenstadtbibliothek Carl Friedrich Eckart Stiftung (Friedrichstraße 6 A). Eintritt frei.

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