Zauber einer grenzenlosen Gemeinschaft

6.7.2016, 16:00 Uhr
Zauber einer grenzenlosen Gemeinschaft

© Archivfoto: Hans-Joachim Winckler

Welche Frau ist so beschaffen, dass Mann derart ausrastet? Sie ist rundlich, ganz in Leder gehüllt, und mag es, mit Stiefeln getreten zu werden. Sie heißt Fußball. Dieses Phänomen hat die Kulturwissenschaftlerin Susan Gamper mit einem Vortrag im Rundfunkmuseum untersucht – passend zur aktuellen Ausstellung „Mikrophon und Stadion“.

Brennpunkt des Geschehens ist das Stadion, ein Bauwerk, das rund um einen klar definierten Spielraum gebaut ist. Ein volles Stadion ist ein Hexenkessel, leer dagegen ist es für den einen ein leerer Raum, für den anderen hingegen ein Ort magischer Aura. An diesem Torpfosten scheiterte der alles entscheidende Elfmeter. Oder auf diesem Rasen spielten unsere Helden, dies Gras durfte den Tritt des unvergessenen Stürmers kosten.

Klingt verrückt? Nein, denn die Aura, die einem Stadion innewohnt, die projiziert der Fan in das Bauwerk hinein. Ist das Stadion erst mal voll, ergibt sich durch die ovale Konstruktion der Eindruck, dass die Fans nicht nur ihren Spielern und deren Gegnern zusehen, sondern auch sich gegenseitig. Der Soziologe Elias Canetti prägte die Sentenz: „Die Masse sitzt sich selbst gegenüber.“

Nur handelt es sich nicht um eine homogene Masse, sondern um vielerlei Lager. Erstmal die Fans des Gastgebers und die Fans der Gäste. Solch eine Begegnung kann schiedlich-friedlich verlaufen, aber manchmal – siehe Lokalderby – ist der Zoff programmiert.

Hydraulische Emotion

Aber warum muss denn die Emotion sich derart brüsk Luft verschaffen? „Früher sprach man vom hydraulischen Emotionsmodell“, doziert Susan Gamper. Dies Modell besagt, dass unter einer dünnen Schicht der Zivilisation intensive Gefühle in uns lauern und nur auf die passende Gelegenheit warten, um mit aller Macht hervorzubrechen. Heute hingegen tendieren die Psychologen dazu, Emotionen als das Ergebnis von Werten und Wertfragen zu interpretieren. Welches ist dann der Wert, der solche Emotionen generiert? Das mag wohl das Zugehörigkeitsgefühl zum Verein sein, welches das Lager der einfachen Malocher mit dem Lager der Akademiker verbindet. „Das Mitfeiern ist Ziel und Grundlage zugleich“, bringt es Susan Gamper auf den Punkt.

Wer sich nicht im Stadion aufhält, kann vor Radio und Fernseher mitfiebern. Beim Fernsehen behält man zwar den Überblick, kann Tore, Fouls und strittige Szenen aus verschiedensten Perspektiven studieren – doch das Radio ist das dramatischere Medium, denn der Kommentator beschreibt pausenlos, was gerade passiert, wogegen der TV-Kommentator nur beredet, was eh zu sehen ist. Mit anderen Worten: Der Radiohörer kreiert sein eigenes Bild anhand der Worte des Radioreporters. Man mache mal die Probe aufs Exempel und stelle beim nächsten Länderspiel die Tonspur beim Fernseher ab und dafür das Radio an. Es dürfte bestimmt um einiges spannender werden.

Kommerz im Fernsehen

Seit dem Siegeszug des Privatfernsehens ab 1985 hat sich der Fußball komplett verkommerzialisiert. Inzwischen werden Stadien nach Sicherheitsdirektiven umgebaut, Stehplätze und Tribünen abgeschafft, teilt die Polizei die Fans in drei Gruppen – friedlich, latent gewaltbereit, auf Gewalt aus –, und ziehen die Preise derart an, dass in England der einfache Arbeiter fürs Spiel nicht ins Stadion, sondern in den Pub geht, wo er bei seinem Bier das Spiel im TV verfolgt.

Ein weiterer heikler Punkt sind die Ultras, Fans, die sich als wahre Fans verstehen, die sich von niemandem etwas vorschreiben lassen, die Feuerwerk abbrennen, und sich durch ihr Verhalten teils selbst diskreditieren, teils sich in eine Ecke gestellt wähnen, in die sie nicht gehören. Da gehen auch bei den Zuhörern die Meinungen auseinander. Ein Zuhörer drückt es so aus: „Früher spiegelte sich die Stimmung eines Spiel im Verhalten der Zuschauer wider. Heute dagegen lärmen zehn Prozent der Fans von der ersten bis zur letzten Minute.“

Der Radioreporter Günther Koch brach hingegen eine Lanze für die Ultras: „Ohne die Ultras wäre der Fußball heute am Ende. Mit den Ultras zu reden ist allerdings das Schwierigste von der Welt.“

 

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