Gegen die gerade Linie: Hundertwasser-Ausstellung in Amberg

10.8.2018, 19:17 Uhr
Hundertwassers akribischer Einsatz von fluoreszierenden Farben, spiegelnden Glasperlen oder anderen in der Nacht leuchtenden Materialien war revolutionär.

© Namida AG Hundertwassers akribischer Einsatz von fluoreszierenden Farben, spiegelnden Glasperlen oder anderen in der Nacht leuchtenden Materialien war revolutionär.

Den kerzengeraden Strich bezeichnete er als "gottlos" – dieser Künstler, dem die Natur stets näher war als alles Gleichgemachte, Einförmige, Monotone. Wohl deshalb hat der Wiener Weltbürger (1928 – 2000) die Form der Spirale so sehr geliebt. Regelmäßig taucht sie in seinen Werken auf. Die Spirale galt ihm als Symbol für die Sonne. Das Haus stand für den Mond. 

Die Ausstellung im Amberger Congress Centrum (ACC) enthält über 70 Originalgrafiken Hundertwassers. Die Stellwände sind spiralförmig platziert. Eine sich windende Linie, deren Inhalt in jeder Hinsicht strahlt. Wenn der Glanz etwas leidet, dann aufgrund des Orts.
Denn war es nicht der Freigeist und Farbenfreund, der Seefahrer und Schamane, der Regenpoet, Philosoph und Öko-Pionier Hundertwasser, der mit seinem "Verschimmelungsmanifest gegen den Realismus in der Architektur" schon 1958 anstank? Haben in seinen Bildern die Gebäude nicht wesenhafte Züge, stehen als "Wartende Häuser" schief im Wind, schauen uns geradezu an?

Seine fantastischen Weltwahrnehmungen als Stellwandausstellung ausgerechnet in einem Saal zu zeigen, der die Züge einer modernen Mehrzweckhalle trägt – darin liegt einige Ironie. Die wundersame Wandlung vom Kongressbau zum Ausstellungspalast tritt leider nicht ein. Im ACC wird eine sogenannte "Miet"-Ausstellung gezeigt; die Blätter stammen von einer Ludwigshafener Galerie, die Mappenwerke des Österreichers verleiht.

Seine Drucke erarbeitete Hundertwasser in einer Auflage von meistens bis zu 200 Stück. Dass es einem Visionär wie ihm nicht nur ums Geschäftliche ging, sondern auch darum, möglichst viele Menschen mit seiner Kunst zu erreichen, sei damit nicht in Abrede gestellt.
Eigenen Worten zufolge wollte er zwar Unikate schaffen – aber entsprechend der Vielfalt in der Natur. Also variierte er – auch wenn es für ihn ein "Simultanschachspiel mit vielen Gegnern" war, wie er einmal bemerkte.

Dekorative Kalendermotive

Mit den freundlich-verrückten, bisweilen poppig-psychedelisch gearteten Bildern liefert Hundertwasser bis heute Steilvorlagen fürs dekorative Kalendermotiv oder die Porzellanindustrie. Gleichzeitig war er aber auch der erste Künstler, der die drei Verfahren Lithographie, Siebdruck und Prägedruck übereinander druckte. Mixed-Media gilt als sein Baby.

Hundertwassers akribischer Einsatz von fluoreszierenden Farben, spiegelnden Glasperlen oder anderen in der Nacht leuchtenden Materialien war revolutionär. Und so inflationär, dass keine Stellwand den in Amberg ausgestellten Grafiken ihr Leuchten nehmen kann. 
Im ACC nimmt man den 90. Geburtstag Hundertwassers zum Anlass für die Schau, den er am 15. Dezember gefeiert hätte. Wenn er nicht vor 18 Jahren mit 72 an Bord der Queen Elizabeth 2 auf dem Weg von Neuseeland nach Europa gestorben wäre. Nach einem fantastischen Leben.

An seinen Künstler-Vornamen Friedensreich tastet er sich heran, nachdem er die deutschen Buchstaben seines Namens Friedrich in das Japanische übertragen hatte. Er gilt auch als erster europäischer Künstler, der mit japanischen Farbholzschnittmeistern Gemeinsames schuf. Motive aus Natur, Architektur und Gartenkultur ranken und winden sich durch seine fernöstlichen Druckwerke.

Dass ihm die Wiener Jugendstil-Künstler, allen voran Gustav Klimt, aber auch Egon Schiele oder der deutsche Expressionist Walter Kampmann viel mit auf den Weg gaben, ist in den Grafiken unübersehbar. Später kreuzte er seine oft mosaikhaften Werke originell mit den Mitteln der Pop-Art, ja des Comics: Aus Hundertwassers Plakat für die Olympischen Spiele in München 1972 ragt nicht nur ein orientalischer Tempel aus dem grünen Spielfeld heraus; Sportler mit Quadratschädeln wie Fernsehbildschirme staksen herum, von unzähligen Fratzen des Publikums angestarrt.

Kunst eines passionierten Perspektivenwechslers

Anders, fast gespenstisch: die schwarz-weiße Radierung "Das Haus sieht einen Menschen brennen" (1962). Einen vergleichsweise realistischen Duktus zeigte Hundertwasser mit dem Druck "Der endlose Weg zu dir" (1967). Das Bild gibt den Blick durch die Windschutzscheibe auf einen Highway frei. "So traurig und schön, auf der Straße alleine zu dir zu fahren, auch ohne dich zu finden", wird er zitiert. Wobei er nicht ganz alleine reise: Hände und Zehen seiner Füße habe er ja dabei . . . 

Hundertwassers Kunst ist die eines passionierten Perspektivenwechslers. Einem "Knaben mit den grünen Haaren" (1967) blicken wir von oben auf die Stoppeln des gespaltenen Schädels. "Das falsche Augenlid" aus der selben Mappe zeigt ein ins Gesicht eingesetztes Gesicht. Hundertwasser als Öko-Aktivist der ersten Stunde klingt in seinem documenta-Beitrag "Automobil mit Regenbogen" von 1961 an. Und noch drastischer geht es im "Kreisverkehr der Straßengekreuzigten" (1971) zu, wo Lebensraum zum Albtraum wird.

Peter Schamonis Dokumentarfilm "Hundertwassers Regentag" (1972), der einen Oscar einheimste, wird in der Schau zu jeder Stunde gezeigt. Auf dem umgebauten Kahn "Regentag" entstanden im Mittelmeer ein paar der berückendsten Blätter des Künstlers. Als einziges Gemälde schaffte es das in Südfrankreich gemalte Bild "Satte Sonne" (1959) nach Amberg.
Als "vegetativen Maler" hat er sich einmal selbst bezeichnet. Er, der sich die "Schatten der Sterne" (1967) ebenso wie 1982 die Bäume als "die Blumen des Guten" ausgemalt hat. Kunst als Gießkanne in trockenen Tagen für die Gärten der Fantasie.

Verwandte Themen


Keine Kommentare