Bildpolemik hat lange Tradition

19.1.2015, 20:00 Uhr
Bildpolemik hat lange Tradition

In Heidenheim waren einige der Zeichnungen jetzt im Rahmen eines Vortrags zu sehen, den der Kunsthistoriker Dr. Klaus Weschenfelder im Kapellensaal des Klosters hielt – bei Eiseskälte unter den wachsamen Augen der Gunzenhäuser Polizei.

„Lust des Lästerns: Bildpolemik zur Zeit der Reformation“ nannte der Direktor der Kunstsammlungen der Veste Coburg sein Referat, von dem er selbst sagt, es habe durch das Terror-Attentat von Paris „eine traurige Aktualität“ bekommen. Die gedankliche Brücke vom Spätmittelalter in die Gegenwart schlug der 62-Jährige dennoch ganz bewusst: „Denn ich glaube, Ihnen zeigen zu können, dass bestimmte Grundmuster, die heute die Bildsatire bestimmen, sich im 16. Jahrhundert herausgebildet haben.“

In der Tat dürfte so mancher der knapp 70 Zuhörer erstaunt gewesen sein über die Derbheit, mit der spätmittelalterliche „Karikaturisten“ die Vertreter anderer Glaubensrichtungen – und insbesondere den Papst –schmähten: Er wird dargestellt als Missgeburt mit Eselskopf, als feister Kirchenfürst, der sich in einer Sänfte herumtragen lässt, wie er an der Spitze seines Klerus in die Hölle einfährt oder gerade dem Teufel persönlich die Beichte abnimmt.

 
Ihre bis dahin nicht bekannte Wirkung erzielten diese wüsten Schmähungen damals durch das neue Medium der Druckgrafik, dem „Internet der Reformationszeit“ (Weschenfelder), das eine hohe Verbreitungsgeschwindigkeit ebenso gewährleistete wie Anonymität. Und die den Verkäufern der Flugblätter, bei Auflagen von zum Teil mehreren tausend Exemplaren, mitunter ein gutes Einkommen bescherte. 

Gerne arbeiteten die Bildpolemiker mit bösartigen Tiervergleichen oder Fäkal-Anspielungen: Zwei Bauern „kacken in die Papstkrone“, so Weschenfelder wörtlich, und „die Geburt der Jesuiten wird mit der Kopulation eines Schweins mit einem Hund erklärt“. Eine überaus drastische, verleumderische Bildsprache, an die selbst die Zeichner der heutzutage heftig kritisierten und mit Klagen überzogenen Zeichner des deutschen Satire-Magazins „Titanic“ oder ihre französischen „Charlie-Hebdo“-Kollegen nicht heranreichen.

Allerdings, so Weschenfelder, stünden die heute noch gewählten Muster der Bildpolemik in einer langen Tradition: „Die Lästerung Gottes, heiliger Personen oder religiöser Grundsätze ist so alt wie Glaube und Religionen selbst.“ Die gewählten Themen und Motive seien oft jahrhundertealt und im Laufe der Zeit vielfach variiert worden: „Es geht um potenzielle Gewalttätigkeit, wie sie die Bombe unter Mohammeds Turban suggerieren soll, und es geht um Dummheit, es geht häufig um Sexualität, sei es die Geißelung verwerflicher Sexualpraktiken oder der Vergleich von Religion und Manneskraft.“

Karikaturisten wählen dafür das Motiv eines ob der Beschränktheit seiner Anhänger weinenden Mohammed („Charlie Hebdo“) oder einen Größenvergleich der männlichen Geschlechtsorgane von Angehörigen verschiedener Religionen („Titanic“). „Der Satiriker“, so Weschenfelder, „weiß genau, wie man Menschen provoziert, die aus einem Kulturkreis kommen, der ein traditionelles Männlichkeitsbild pflegt.“

In Heidenheim blieben empörte Reaktionen auf derartige Bösartigkeiten aus, die Polizei, die mit drei Beamten vor Ort war, um die Veranstaltung „im Auge zu behalten“, wie es der derzeitige Leiter der Gunzenhäuser Inspektion, Markus Rapke, gegenüber dem Altmühl-Boten ausdrückte. Er habe zwar nicht wirklich damit gerechnet, dass in Heidenheim etwas passiere – aber nach den Pariser Anschlägen gelte die Devise „sicher ist sicher“.

Die Heidenheimer Projektmanagerin Anne Müller, die den Abendvortrag schon vor Monaten ins Veranstaltungsprogramm aufgenommen hatte, erfuhr vom Referenten „erst kurzfristig, dass er diesen aktuellen Bezug nimmt“, was sie dennoch schlichtweg „gut“ fand. Bedenken, dass die Präsentation von dänischen und französischen Mohammed-Karikaturen zu Protesten führen könnte, hatte sie nach eigenem Bekunden nicht. Immerhin konnte sie sich dank der außergewöhnlichen Umstände über ein etwas größeres Publikum freuen als bei anderen Veranstaltungen.

Außergewöhnlich – aber würdig und angemessen – war auch die Schweigeminute, zu der Dekan Klaus Kuhn die Besucher zu Beginn des Abends aufgefordert hatte. Dabei lief vermutlich so manchem Zuhörer zum ersten Mal ein kalter Schauer über den Rücken – dem weitere folgten: Am Nachmittag war nämlich das Heizgebläse, das den Kapellensaal auf ein erträgliches Maß erwärmen sollte, ausgefallen. Und auch die warmen Worte des Kirchenmannes konnten nicht verhindern, dass die Besucher am Ende des
interessanten Abends kräftig durchgefroren nach Hause kamen.

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