Ein Menschenfreund

3.2.2015, 12:00 Uhr
Ein Menschenfreund

© Steffen Sixt

„Als ich ein kleiner Junge war“ lautete der erste Teil der Inszenierung, und damit landete Sittler vor Jahren einen großen Erfolg, auch in Gunzenhausen. Die Fortsetzung trägt den Titel „Prost, Onkel Erich!“ Gleiches Konzept, gleicher Schauspieler, das kann durchaus schiefgehen, da sich die Idee vielleicht abgenutzt hat. Hat sie aber nicht! Auf der Bühne entfaltete sich ein Lebenslauf, der die deutschen Verhältnisse im 20. Jahrhundert widerspiegelt. Erich Kästner war Akteur, Beobachter; Betroffener, Leidtragender.

Über all die Zeitläufe hinweg bewahrte er sich seinen feinen Humor. – und ließ die Menschen so, wie sie sind. Mit Ideologien hatte er nichts am Hut.
Im Alter von 19 Jahren kehrt der junge Mann aus dem Ersten Weltkrieg zurück. Sein Herz ist nicht gebrochen, aber lädiert, und das hat auch mit den Drillmethoden in deutschen Kasernenhöfen zu tun. Der gebürtige Dresdner geht zum Studium nach Leipizig. Die Inflation frisst das Geld auf, der Student muss sich mit Jobs über Wasser halten, gelernt wird nachts, in bitterer Kälte. Auch das soziale Umfeld im Nachkriegsdeutschland ist kalt und rau, die Niederlage wirkt sich über Jahre hinweg aus. Immerhin gelingt es Kästner, mit Theaterkritiken eine neue Einnahmequelle zu erschließen. Er schreibt auch Gedichte und Glossen, hat sein Metier entdeckt. Eines seiner Gedichte, es geht um Erotik, löst einen Skandal aus, das Land ist geistig weitgehend Provinz.

Nur in Berlin, wohin sich Kästner 1927 wendet, sieht es anders aus. Die Hauptstadt brodelt, wirft sich allem Neuen, Modernen entgegen. Berlin ist laut, hektisch, stets in Bewegung. „Der wilde Taumel der Dinge“ gefällt Kästner, auch wenn er zunächst in Untermiete leben muss. Zum Schreiben geht er ins Café. Er lernt interessante Autoren kennen, etwa Carl Zuckmayer, dessen neues Stück er als Kritiker zerreißt. „Zuck“ ist sauer, dennoch respektiert er Kästner – lieber ehrlich und auch einmal hart miteinander umgehen als geheuchelt. Und immer wieder Briefe an das liebe „Muttchen“ in Dresden. Ihr gegenüber bleibt der Sohn der Junge von früher, ihr Junge. Aus jeder Zeile spricht Liebe.

Wenn die Dummheit groß ist

Der Erfolg als Schriftsteller und Verfasser von Texten für das Kabarett kommt. Kästner genießt es, hat Kontakt zu besseren Kreisen, feiert rauschhafte Feste, Kokain und Alkohol gehören dazu. Doch der Mann aus Sachsen vergisst seine bescheidenen Ursprünge nicht. In einem Gedicht beschreibt er, dass nicht nur die Zeit groß ist, sondern auch die Dummheit. Er sieht, wie so manche nur aufs Geld schauen, es zum Götzen machen. Das passt auch heute noch. Kästner registriert auch, wie die SA beginnt, in Berlin zu marschieren. Die Sprache der Straße wird roh. Nur ein böser Traum, ein Zwischenfall, der keine Bedeutung hat?

Edith Jacobsohn, die Witwe des „Weltbühne“-Verlegers Siegfried Jacobsohn , spricht ihn an. Er soll ein Kinderbuch schreiben, das könne er. Kästner gelingt das äußerst erfolgreiche „Emil und die Detektive“, später folgen „Pünktchen und Anton“ und „Das fliegende Klassenzimmer“. Kästner kann nur allen Menschen ans Herz legen: „Lasst Euch die Kindheit nicht austreiben.“ In einem Gedicht beschreibt er einen Konfirmanden, dem gar mulmig, unbequem zumute ist. Die Kindheit ist passé, der Konfirmandenanzug kündigt das Erwachsenwerden an, ob man will oder nicht.

Reichstagsbrand, Emigration der intellektuellen, politisch eher links orientierten Elite, Bücherverbrennung in Berlin, Kästner mittendrin. Er bleibt in Deutschland, die deutsche Eiche mag verdorren, aber umpflanzen lässt sie sich nicht. Er fordert Kollegen, Freunde, Gleichgesinnte auf, ebenfalls dem Land – nicht dem neuen Regime – die Treue zu halten, doch sie entscheiden sich anders. Jahre später ist er heilfroh, dass niemand auf ihn hörte. Ansonsten hätte er die Verantwortung dafür zu tragen, dass andere von den Nazis verfolgt worden wären.

Kästner weiß es, und spricht es aus, dass er kein Held ist, keinen Widerstand geleistet hat, auf Widerspruch, als dieser noch möglich war, verzichtet hat. Auch zum Märtyrer ist er nicht geboren. Da bleibt ein Schmerz, eine Wunde zurück nach dem Ende des „Tausendjährigen Reiches“. Sein Appell ans eigene Volk lautet, nicht die Hände in den Schoß zu legen und nicht darauf zu vertrauen, dass es im Ernstfall genügend Helden gibt.

Es ist Krieg, Kästner verliert im Bombenhagel seine Berliner Wohnung mit 3000 Büchern darin. Die Mutter kommt ausgerechnet in diesen Tagen zu Besuch, hat einen Wäschekarton dabei. Sie will die Wohnung sehen, doch an der Absperrung ist Schluss. Derweil empfindet der Sohn ob der Zerstörung all seiner Dinge eine geradezu seltsame Leichtigkeit, er hat nichts mehr zu verlieren. Die Eltern überleben einige Monate später zum Glück den schrecklichen Luftangriff auf Dresden im Februar 1945, Kästner selbst weiß, dass er noch immer in Gefahr schwebt. Die SS hat ein Auge auf ihn, und Gerüchte von Todeslisten machen die Runde.

Doch er kommt davon, zieht nach dem Krieg nach München. Er soll über einen Film schreiben, der die Konzentrationslager zum Thema hat. Kästner gelingt kein zusammenhängender Text angesichts des Wahnsinns der zwölf Jahre. Derweil macht sich die Politik wieder bemerkbar: Erstmals kann er an Heiligabend nicht mit den in Dresden gebliebenen Eltern zusammen sein. Je älter er wird, desto mehr gewinnen die Erinnerungen an die Jugend an Gewicht. „Ein Schatz, der einem nicht genommen werden kann.“ Die Mutter stirbt 1951, der Vater 1957. Der Rest ist schnell erzählt. Kästner wendet sich gegen die Wiederaufrüstung, vieles am Wirtschaftswunder missfällt ihm. Er erkennt, dass in Westdeutschland nur „die kleine Freiheit“ zu erringen war. Bis zum Schluss bleibt er der Menschlichkeit zugewandt, vertraut auf den gesunden Menschenverstand. Der Tod ereilt ihn 1974. Was er wohl heute über Bankenkrise, Eurokrise, Asylantenfrage, Pegida und Terror durch Islamisten zu sagen hätte? Er würde den Scharfmachern eine Absage erteilen.

Einheit von Text und Musik

Längst hat das Ein-Mann-Stück die Zuschauer in seinen Bann geschlagen. Die anfängliche Irritation wegen der zu lauten Musik ist verschwunden, die Technik passt. Walter Sittler schaut auch mal intensiv, ja scharf in die Reihen. Er will nicht im luftleeren Raum spielen, sondern die Zuschauer direkt ansprechen. Sie wiederum erfassen die Vorstellung als Einheit. Was die sechs Musiker, von sich geben, am Rand der Bühne platziert, gehört selbstverständlich dazu. „Prost, Onkel Erich!“ erweist sich als Gesamtkunstwerk. Das Gunzenhäuser Publikum erlebt eine nachhaltige Deutschstunde, und die fällt bitter-süß aus. Anders kann es gar nicht sein. Erich Kästner hat verstanden, wie die Menschen sind, und er konnte es in Worte fassen. Deshalb ist er zeitlos. 

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