Goethes Leben: Verliebt in das Verliebtsein

10.6.2015, 12:00 Uhr
Goethes Leben: Verliebt in das Verliebtsein

© Dressler

Ein solcher Wälzer heißt „Goethe – Kunstwerk des Lebens“ und stammt aus der Feder von Professor Rüdiger Safranski. Der freie Autor gilt als die Koryphäe in Sachen Goethe. Sein Buch erschien 2013 und landete auf Platz eins der Spiegel-Bestsellerliste. Safranskis Anspruch sah so aus,
Goethe wieder lebendig werden zu lassen, und zwar in seinen verschiedenen Facetten, bis hin zur „Institution Goethe“. Safranski vertiefte sich in Goethes schriftstellerisches Wirken und in Goethes „zweites Werk“, dessen eigenes Leben. Die Biografie sei auch heute noch ein Ereignis, davon ist der Gunzenhäuser Autor und Verleger Dr. Johann Schrenk überzeugt. Als Vorsitzender der hiesigen Goethe-Gesellschaft lud er Rüdiger Safranski nun zu einer Lesung ein. Diese fand im Hotel „Krone“ statt und sah über 80 Zuhörer – auch das ein Ereignis. Vielleicht gibt es doch mehr Goethe-Liebhaber und -Verehrer, als man meinen könnte.

Um Abrüstung bemüht

Der Autor war an diesem Abend nicht ganz auf der Höhe, eine Erkältung war schuld. Dennoch beließ es Safranski nicht beim reinen Vorlesen, sondern machte auch einige Angaben zur Entstehung seines Buches und zur Person Goethe. Dieser war durchaus stolz auf seine literarischen Werke und zugleich willens, seinem Leben „eine Art Werkcharakter zu geben“. Es sei Goethe darum gegangen, die verschiedenen Leidenschaften und Fähigkeiten in eine Balance zu bringen, formulierte es Safranski. Trotz diverser Krisen sei Goethe dieses Ziel gelungen. Man dürfe ja nicht vergessen, dass der berühmte Mann zwischen seinen unterschiedlichen Beschäftigungen hin und her pendelte. Da gab es beispielsweise den Naturforscher, den Möchtegern-Zeichner, auch den Amtmann, der mit Bergbau- und Schulwesen zu tun hatte und den Herzog von Weimar drängte, seine 500-köpfige Armee radikal zu verkleinern. Goethe als Abrüstungsfachmann – so noch nicht gehört. Jedenfalls habe es Goethe geradezu meisterhaft verstanden, diese Balance herzustellen.

Der junge Mann aus Frankfurt brachte beim Umgang mit der Sprache Genie mit, man kann auch von Naturbegabung sprechen. Heute würde man ihn als Star bezeichnen. Die Leute pilgerten zu ihm, nicht zuletzt wegen Goethes blendenden Aussehens. Da gab es jede Menge Frauengeschichten, aber auch den Eindruck, dass der Dichter am meisten in das Gefühl des Verliebtseins verliebt war. Die ganz enge, dauerhafte Bindung scheute er lange Zeit.
Dann der Wechsel von der stolzen Freien Reichsstadt am Main nach Weimar, das man damals im Vergleich als „Kuhdorf“ wahrnehmen konnte. Warum eigentlich? Safranskis These lautet, Goethe sah die Notwendigkeit, mehr als bisher das Leben kennenzulernen. Und dafür erschien Weimar sehr gut geeignet. Goethe wollte so wieder einmal eine „Wandlung“ vollziehen, und sie bekam ihm gut. Elf Jahre dauerte die Weimarer Zeit, bis Goethe in sich spürte, dass es nun zu viel der Wirklichkeit geworden war und er wieder mehr Poesie brauchte.

In einer Nacht-und-Nebel-Aktion floh er nach Süden in das Land, wo die Zitronen blühen. Die Italienische Reise (1786 – 1788) ist in die Literaturgeschichte eingegangen. Dass er bei der Rückkehr in Gunzenhausen übernachtete, ist eine nette lokale Petitesse. Goethe hatte sich als Künstler wiedergefunden, durchlebte seine klassische, höchst produktive Phase. Es folgten die Freundschaft mit Schiller, die Begleitung des Weimarer Herzogs während der Feldzüge gegen das revolutionäre Frankreich. Mit dem Herzog verband ihn bald eine Freundschaft, dieser entband ihn von den meisten Pflichten, erhöhte stattdessen sein Gehalt – eine angenehme Geste.

Aber Goethe war auch Napoleon eng verbunden, während sich seine deutschen Landsleute mehr und mehr vom Kaiser der Franzosen abwendeten und ihm in den Befreiungskriegen stellenweise mit Hass begegneten. Der Dichterfürst hatte mit dem aufkeimenden Nationalismus in den deutschen Landen nichts am Hut. Er blieb bis zum bitteren Ende (Waterloo, Verbannung) ein Bewunderer von Napoleon, und dieser reklamierte für sich selbst, ein großer Freund von „Die Leiden des jungen Werther“ zu sein. Das ging so weit, dass Goethe und Napoleon bei einer Audienz, die der Kaiser in Erfurt gewährte, über den „Werther“ fachsimpelten, während Napoelon gleichzeitig Europa regierte.
Die Preußen wurden 1806 geschlagen und gedemütigt. Selbst in Weimar war man vor den Franzosen nicht mehr sicher. Als diese auf Goethes Weinkeller ein Auge geworfen hatten, sprang seine Lebensgefährtin Christiane Vulpius in die Bresche und wehrte die Franzosen so lange ab, bis Goethe seine Verbindungen spielen lassen konnte und der Weinkeller für tabu erklärt wurde. Kurz darauf heiratete der Geheimrat Christiane, die wilde Ehe war vorbei.

Frohe Tage am Main

Rüdiger Safranskis Lesung drehte sich um die Jahre 1813 bis 1815, als Goethe sich dem Orient zuwendet und die Gedichtssammlung „West-östlicher Divan“ entsteht. Die Zeiten sind turbulent. Napoleon und seine verbliebenen Verbündeten werden im Herbst 1813 in Leipzig geschlagen. Danach, im Sommer 1814, unternimmt Goethe eine Reise ins Rheinland, macht in Wiesbaden Station, trifft auf den Frankfurter Bankier und Kunstförderer Johann Jakob von Willemer und dessen Pflegetochter Marianne. Mitte September besucht Goethe seinen Freund und Förderer Willemer auf der Gerbermühle bei Frankfurt. Kurz darauf heiratet Willemer seine Pflegetochter. Vielleicht hat ihm die Begegnung mit Goethe Mut gemacht, diesen Schritt zu wagen. Es entwickelt sich eine Zuneigung zwischen Goethe und Marianne, die im Jahr darauf bei einem weiteren Aufenthalt Goethes in Hessen aufgefrischt wird. In diesen Monaten entstehen zahlreiche Gedichte für den „Divan“. Goethe und Marianne kommunizieren in Form eines lyrischen Zwiegesprächs. In der Biografie heißt es: „Noch war alles ein Spiel der Poesie – und es blieb dabei und war doch auch mehr. Beide haben genau dieses Schwebende genossen, und es hat ihnen jene beschwingende Freiheit gegeben, sich in Liebe zu berühren, ohne sich besitzen zu wollen.“

Am 7. Oktober 1815 reist Goethe zurück nach Weimar. Er wird Marianne nie wiedersehen. Die geplante Reise 1816 in den Südwesten steht unter einem schlechten Stern. Am 6. Juni stirbt Goethes Ehefrau Marianne. Einige Wochen darauf rafft sich der Witwer auf, tritt die Reise an. Nach zwei Stunden ist alles vorbei, Achsbruch. Goethe nimmt den Unfall als ungünstiges Orakel und macht kehrt. Die Sehnsucht nach der Gerbermühle ist zunächst noch stark, bricht sich in Gedichten und Briefen Bahn. Im Lauf der Jahre wird der Ton nüchterner. In den Briefen wird erzählt, was um einen herum geschieht, nicht, was in der Seele vorgeht. Doch der Herbst 1815 bleibt für Goethe unvergessen. Im Jahr vor seinem Tod stößt er auf Briefe von Marianne. Sie erinnern ihn an den Herbst 1815 und sind für ihn „Zeugen allerschönster Zeit“.

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