„Die Situation in Erlangen-Höchstadt ist dramatisch“

2.12.2015, 08:57 Uhr
„Die Situation in Erlangen-Höchstadt ist dramatisch“

© Foto: Claudia Freilinger

Die Dimension wird im Saal der Fortuna Kulturfabrik sehr gut deutlich. „Pro Woche haben wir 65 neue Asylbewerber, die wir im Landkreis dezentral unterbringen müssen“, sagt Landrat Alexander Tritthart. Das sind mehr Menschen als Zuschauer im Publikum sitzen.

„Die Situation in Erlangen-Höchstadt ist dramatisch“, fährt der Kommunalpolitiker fort. Aktuell lebten 1600 Asylbewerber im Landkreis, erst am Wochenende seien 200 neue Flüchtlinge hinzugekommen. „Die meisten werden bleiben“, sagt Tritthart. Ihre Integration sieht er als eine der größten Herausforderungen der Zukunft.

„Eine Herkulesaufgabe“ nennt es Dekan Kilian Kemmer. „Niemand schafft das alleine.“ Deswegen sei es wichtig, Netzwerke zu knüpfen. Die Kirche helfe mit Unterbringung, Kulturangeboten und leiste einen „atmosphärischen Beitrag.“ Der Mensch müsse dabei im Vordergrund stehen. „Schließlich lassen die Flüchtlinge alles zurück, um dem Gewaltdruck im Alltag zu entfliehen.“

„Was passiert mit Menschen?“

Aus diesem Grund lehnt der evangelische Pfarrer Fritz Schäfer eine Obergrenze ab, die den Zustrom eindämmen soll. Verantwortungsethisch sei das vielleicht zu vertreten, „aber wie geht es mit unserer Gesinnungsethik zusammen, wenn wir einfach sagen, wir machen jetzt Schluss und die Grenzen dicht. Was passiert dann mit den Menschen?“ Wenn sich die Flüchtlinge registrieren, in Sicherheit leben und sich integrieren, sieht er die Krise „auch als Chance vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung.“

Und wie sieht es die Jugend? Nico Kauper diskutiert als Vertreter des Jugendparlaments auf dem Podium mit. Er betont, Integration könne gelingen, wenn Flüchtlinge die Sprache lernen und zum Beispiel über die Schule in Projekte und Alltag eingebunden würden. Zustimmung erfährt er vom Leiter der Mittelschule Höchstadt, Michael Ulbrich. Vier Asylbewerber besuchen derzeit seine Schule. „Sie sind sehr motiviert und wollen unbedingt lernen“, berichtet er, „so sehr, dass sie sogar anderen Achtklässler inzwischen als Vorbilder dienen und sie mitziehen.“

Das Bildungssystem sei in „Habachtstellung“, meint Ulbrich. Die meisten Flüchtlinge seien derzeit in Extra-Übergangsklassen, um Deutsch zu lernen. Erst im Anschluss daran kommen sie in die Regelschule. „Wir warten“, sagt Ulbrich.

Das tut auch Landrat Alexander Tritthart. „Ich ärgere mich, dass auf Bundesebene Zeit damit verschwendet wird, über Begrifflichkeiten wie Obergrenze oder Kontingente zu diskutieren, während wir dringend kurzfristige Entscheidungen bräuchten“, sagt er. Der CSU-Politiker plädiert dafür, die EU-Außengrenzen dicht zu machen und den Zustrom zu begrenzen. Außerdem erwartet er mehr Solidarität von den anderen Staaten in Europa. „Das gilt übrigens auch im Landkreis“, schiebt er nach. Hier gebe es ebenfalls Gemeinden, die noch mehr tun könnten. Höchstadt sei im Vergleich „gut aufgestellt“, betont Ulbrich und erntet ein Kopfnicken des Landrats. Eine Obergrenze hält der Schulleiter für „Scharlatanerie: Wer soll die denn festlegen?“

Alle sind sich einig, dass die Fluchtursachen in den Herkunftsländern bekämpft werden sollten.

Ein Film, den Vertreter des Vereins „Youth for Balance“ zwischen den Fragerunden einspielen, ist dann dazu gedacht, nach dem Warum zu fragen. Der Streifen legt nahe, die USA seien Drahtzieher der Flüchtlingskrise — mit dem Ziel, Deutschland und Russland zu schwächen. Nach Protesten aus dem Publikum wird der Videoausschnitt abgebrochen. „Propagandafilmchen helfen nicht weiter“, kommentiert Dekan Kilian Kemmer.

Weiter geht es zur nächsten Frage und damit eigentlich auch zu einem neuen Thema: „Wie lässt sich der Terror besiegen?“, will Moderator Gerald Brehm von den Diskussionsteilnehmern wissen. Alle sehen Bildung als Chance.

Der Höchstadter Ali Arabi, ein Perser der seit 1962 in Deutschland lebt, nimmt das Publikum dann mit auf eine kleine Zeitreise in sein Heimatland. Der Moslem zeigt Fotos aus dem Iran und verweist auf die verbindenden Elemente zwischen den Religionen. „Meine Nichten bekommen, wenn sie in der Schule fleißig sind, Heiligenbildchen von Maria als Belohnung.“

Aus dem Publikum kommen im Anschluss an die Diskussion praktische Fragen — wie beispielsweise die Integration von Flüchtlingen auf den Arbeitsmarkt. Auch die Kosten der Zuwanderung, Abschiebungen und die Höchstadter Friedenserklärung sind Thema.

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