Kleine Stars und große Prominenz: So war das "hin&herzo"

1.10.2018, 12:04 Uhr
Kleine Stars und große Prominenz: So war das

© Fotos: Athina Tsimplostefanaki

Gibt es jemanden, der dieses Frechdachs-Girlie nicht kennt? Astrid Lindgrens "Pippi Langstrumpf" ist wohl das freidenkendste Geschöpf der Kinderbuch-Literatur, mit Fans weltweit. Viele kleine Fans kamen in den Kulturpavillon, um der Bühnenfassung des Augsburger Theaters "Fritz und Freunde" beizuwohnen. Die Schwaben hatten’s echt drauf: Viel Schelmerei, viel Situationskomik und noch mehr Typenkomik schmetterten die Akteure auf den Bühnenboden, dass es in weiten Teilen des kindlichen Publikums eine quietschende Freude war – wenn auch der eine oder die andere Zuflucht suchte bei Mama oder Papa. Nein, da war nichts gruselig, aber wenn so ein Kraftmensch, eitel-pompös im Zirkus daherschreitend, auftritt, kann dies schon Respekt einflößen. All die bekannt-klassischen Situationen und Personen – die Ankunft Pippis in der Villa Kunterbunt, Freundschaft mit Tommy und Annika, Fräulein Prusselius, Tortenessen, die Gauner und die Polizisten, der Seeräuber-Papa – waren drin in diesen 60 Minuten, die temporeich und witzig im leicht umbaubaren Bühnenbild, wie im Flug vergingen. Mit deutlichem Hang zum Verspielt-Komischen – so wollen wir die Pippi sehen.

Flashmob und Gratis-Konzert 

Hoppla, was ist denn jetzt los? Da sitzt man auf dem Marktplatz nichtsahnend in der Sonne, als mehrere Damen und Herren klassische Instrumente herbeischleppen, vor dem Brunnen Aufstellung beziehen und "Freude, schöner Götterfunken" anstimmen. Ein Flashmob, den der Liederkranz auf die Beine gestellt hat und der singend und musizierend über das Festivalgelände marschiert. Hübsche Idee.


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Das Klangspektrum eines Didgeridoos, des Blasinstruments der australischen Ureinwohner, ist eher begrenzt – sagen sich der instrumentaltechnische Laie und dessen Ohren. Man kann das Ganze aber pimpen – indem man etwa Bongos mit ins Boot holt, die den dröhnenden Lauten Rhythmus geben. Der Erlanger Musiklehrer Sven Papenburg hat sich Mitstreiter geangelt und präsentiert am Türmersturm mit Didgeridoos, Trommeln und Mundharmonika improvisatorisch – "wir spielen frei Schnauze", sagt er – diverse Tonfolgen, die tiefdunkel vibrierend in die Bäuche der Zuhörer fahren. Gut vorstellbar, dass man mit illegalen Substanzen im Leib den Sound richtig fett genießen könnte.

Es gibt nichts Ergreifenderes

Okay, eine Frau im Kilt ist nicht ganz alltäglich (ist das eigentlich erlaubt?). Aber Lone Wulff steht, derart gewandet und unerschütterlich, im Hinterhof von Metallbau Drebinger, klemmt sich den Luftsack ihrer schottischen Bagpipe unter die Achsel – und los geht’s. Dudelsack-Musik muss man mögen, dann ist es klasse. Lone Wulff erläutert die Kompositionen: hier Musik, wenn man in die Schlacht zog, dort Musik, wenn’s wieder heimwärts ging. Und dann: "Amazing Grace" auf dem Dudelsack – es gibt nichts Ergreifenderes. Ehrlich!

Kleine Stars und große Prominenz: So war das

Wollen wir eine solche Zukunft wirklich erleben? Ein blinkender Roboter segnet jene, die seine Dienste in Anspruch nehmen, in für Franken überwiegend exotischen Fremdsprachen wie Chinesisch oder Hessisch. Eine nicht ganz ernst gemeinte Erfahrung, die sich auch der Herzogenauracher Kulturmacher Helmut Biehler nicht nehmen ließ, ein Zwerchfell-erschütterndes Erlebnis zwischen Staunen, Amüsement und höchster Verblüffung – nicht nur für Biehler.


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Er macht sich so seine Gedanken und schert sich dabei wenig um Schulmeinungen und Klischees. Im Lang’schen Hinterhof las Günther M. Doliwa aus seinem Taschenbuch "Revolution" und gewann dem Leitmotto des "hin & herzo"-Festivals noch ein paar bis dato nicht in Gänze beleuchtete Facetten ab. Dass der Deutsche im Allgemeinen und der Franke im Besonderen eher der Restauration, also der nachrevolutionären Rückkehr zu vorrevolutionären Zuständen zuneigt, ist Doliwa eine Portion bissiger Seitenhiebe Wert, ehe er mit Bob Dylan singenderweise feststellt, dass die Zeiten sich wandeln. Ach was . . .

Kleiner Junge wird zum Musikstar

Starker Auftritt: Ein gestandenes Mannsbild und ein kleiner Junge unternehmen einen Streifzug durch das American Songbook, lassen als Zweimann-Band "Jojo" am helllichten Tag einen Hauch Lagerfeuer-Romantik durch die Hauptstraße schweben und zeigen, wie einig sich ein stolzer Vater und ein hochbegabter Sohn in Sachen Musik sein können.

Die Altneihauser Feuerwehrkapell\'n spielte auf.

Die Altneihauser Feuerwehrkapell\'n spielte auf. © Juergen Petzoldt

Das Coþkun-Wuppinger-Duo blendet den Revolutions-Aspekt aus. Und das ist gut so. Weil höchste Virtuosität ebenso wie höchste Perfektion keine Dreingaben verträgt, geschweige denn nötig hat. Frank Wuppinger und Ozan Coþkun zählen ohne Frage zu den großen Gitarristen-Persönlichkeiten. Und sie hauchen selbst totgespielten Standards wie Rodrigos "Concierto de Aranjuez" wieder neues Leben ein. Im Herbst kommt die per Crowdfunding realisierte Debüt-CD der beiden Ausnahme-Solisten heraus.

Eine potenzielle Nebeneinnahmequelle: die Teamjacken des "hin & herzo"-Festivals mit eingesticktem Logo, schick und warm. Bitte für alle!

 


Kommentar: Dem Festival fehlen Zuschauer

Stell Dir vor, es passiert etwas Tolles – und kaum einer ist da. So ging es dem an sich sehr gelungenen "hin & herzo"-Festival: Es fehlte an der nötigen Resonanz.

Selbst bei sicher geglaubten Publikumsmagneten wie Barbara Dennerlein blieben viele Plätze frei. Was bei zu bezahlenden Highlight-Veranstaltungen noch erklärlich erscheint, irritiert beim immens reichhaltigen Gratisprogramm dann doch: Zu manchem Konzert, zu mancher Lesung kamen nur ganz wenige Gäste – oder gleich gar niemand.

Ob das Festivalteam auf der Suche nach Gründen für den lauen Zuspruch fündig wird, lässt sich an dieser Stelle nicht sagen. Für künftige "hin & herzo"-Ausgaben hätten wir aber zwei Tipps: Das Datum sollte früher angesetzt werden, damit man flaniert statt friert. Und das Programm darf schlanker werden, weniger ist halt doch mehr.

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