Ortskernsanierung läuft in die falsche Richtung

18.11.2018, 16:00 Uhr
Ortskernsanierung läuft in die falsche Richtung

© Foto: Ingrid Jungfer

Die Hauptstraße liegt im Sanierungsgebiet "Ortsmitte Weisendorf", wird vom Staat bei Einhaltung der Regeln finanziell gefördert und vom Büro Topos team, Nürnberg, seit 2012 begleitet. Dennoch blutet sie mehr und mehr aus, was die Nahversorgung betrifft.

Erst in der diesjährigen Aprilsitzung des Gemeinderats hatte Topos team bei der Vorstellung zur Fortschreibung des Flächennutzungsplans "Weisendorf 2030" darauf hingewiesen, dass eine Erweiterung der Märkte im Osten neu überprüft werden müsse, da das Nahversorgungskonzept der Landesplanung zu berücksichtigen sei. Es sollte also einen Versorgungsbereich am Mühlberg und (!) im Ort geben.

Die Realität sieht anders aus. Denn zum Jahresende schließen in der Hauptstraße zwei Nahversorger: die Bäckerei Reuthlingshöfer und am anderen Ende, am Marktplatz, die Trattoria Cardelli.

Die Bäckerei kurz vor der Straßenkurve gen Westen blickt auf eine lange Familientradition zurück. Bernd Reuthlingshöfers Urgroßvater und Großvater hatten die Backstube noch schräg gegenüber im grün gestrichenen Haus. Vater Georg ließ 1966 einen Neubau, Nummer 28, am heutigen Standort errichten. Jetzt werden aus der Bäckerei mit großem Hinterhof Wohnungen, eventuell zieht im Parterre ein Büro ein. Obwohl noch nicht ganz im Ruhestand, hat Reuthlingshöfer das Kaufangebot eines einheimischen Interessenten angenommen.

Pippo Cardelli, seit acht Jahren am Marktplatz mit seiner Trattoria zuhause, wäre eigentlich gerne als Pächter in seinem typisch italienisch gestalteten Lokal geblieben. Der neue Eigentümer des großen Komplexes, der momentan den ersten Stock zu Wohnungen umbauen lässt – allerdings nicht nach Denkmalschutzvorschriften – hat dem Wirt wohl das Bleiben verdorben.

Wegen einer höheren Pacht, die nicht mehr von der Kundenfrequenz getragen werde, so Cardelli. Eine neue Bleibe hat er bereits gefunden. Jahresbeginn 2019 wechselt er nach Großenseebach in das dortige Lokal des Sportheims.

Demnächst wird die kleine Filiale des Bäckers Helmut Gumbmann aus dem Ortsteil Buch an Weisendorfs Marktplatz das einzige Geschäft in der Hauptstraße sein, das die Bewohner des Ortskerns noch mit Lebensmitteln versorgt.

Denn Chefin Rosi hat schlicht "fast" alles, neben Backwaren, Getränken aller Art, Leckerem in Glas und Dose, Kühlprodukten von Milch bis Wurst, Süßwaren, Zeitungen und Illustrierten auch Glückwunschkarten, Putzmittel, selbst Toilettenpapier, Zigaretten und noch viel mehr – nur kein frisches Obst und Gemüse. Einziger Nachteil: Der Laden ist nur bis 13.30 Uhr geöffnet.

Weggezogen vom alten Standort neben der Bäckerei Reuthlingshöfer ist auch Friseur Haagen. Vor erst einem Jahr hatte man den Salon von Grund auf renoviert. Jetzt residiert der Salon mit 50-jähriger Erfahrung unter dem Namen Evas Barber Shop in der Kirchenstraße 12, inzwischen in der dritten Generation.

Auch die Galerie fuenFinga fehlt seit einiger Zeit an ihrem früheren Sitz an der Ecke Hauptstraße/Birkenhof. Nach fünf Jahren und 18 Ausstellungen im Marktort bereitet Galerist Johannes Birzer in seinem Wohnort Rezelsdorf neue Räumlichkeiten vor. Mitte 2019 wird er dort dann wieder seine Galerie eröffnen.

Das Interesse Weisendorfer Bürger war zu marginal, sagt er auf Nachfrage. Und so hängt wieder einmal an er Ecke Birkenhof/Hauptstraße das Schild "zu vermieten". Ähnlich geht es dem Gasthaus "Goldner Engel" in der Hauptstraße 24, das im Jahr 1833 erbaut und 2009 aufwendig renoviert wurde. Und dennoch nur noch freitags, samstags und sonntags einen Mittagstisch wie früher bietet. Abends geöffnet ist dann ab Mittwoch bis Sonntag. Die Nachfrage ist inzwischen schlichtweg zu gering, trotz Biergarten. Die Gesellschaft hat ihr Essverhalten grundsätzlich geändert.

Der Vorgänger des Lokals, die namengebende Wirtschaft "Zum Goldenen Engel", war in den Annalen des Ritterguts Weisendorf erstmals 1785 erwähnt worden. Zusammen mit einem "Engelwirt", der damals schon die Wirtschaft betrieb.

Allerdings in jenem kleinen Gebäude, das heute in der Hauptstraße die Hausnummer 16 trägt. Und wo die Sanierung seit Jahren nur äußerst langsam und nicht den Richtlinien des Denkmalschutzes gemäß vorangeht.

Noch in den 1980er Jahren war die Hauptstraße eine florierende Geschäftsmeile. Da gab es in dem Gebäude Hausnummer 7, das momentan für anerkannte Flüchtlinge teilrenoviert wird, das Geschäft von Jakob Dreßel. Im Erdgeschoss verkaufte er Lebensmittel und Feinkost, im ersten Stock warteten Textilien und Bekleidung, komplette Herrenanzüge.

Gleich nebenan wohnte und arbeitete der Schmiedemeister Hans Meyd mit der Schmiede im Hof, wo er sich um landwirtschaftliche Geräte wie auch Zäune der Neubürger kümmerte. Und selbst besondere Wünsche erfüllte wie die Fertigung eines Doppelstockbetts. Ab 1964 verkaufte man dann im Ladengeschäft an der Hauptstraße Haus- und Küchengeräte. Die machten später einer Apotheke Platz, die heute noch existiert. Weiter gen Westen schlossen sich in den 80ern noch zwei weitere Geschäfte mit Lebensmitteln und Kurzwaren samt Schneidereibedarf an.

Heute dagegen ist die Nahversorgung in der Hauptstraße nahezu tot. Geblieben sind die Metzgerei Zink, die Apotheke, gegenüber am Marktplatz die Filiale der Bäckerei Gumbmann und die der Kreissparkasse.

Aus Verkaufsräumen wurden Wohnungen. Damit ist das landesplanerische Ziel, die Hauptstraße als Lebensader der Gemeinde zu stärken, in weite Ferne gerückt.

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