Ruf gegen das Vergessen

28.1.2016, 17:58 Uhr
Ruf gegen das Vergessen

© Foto: Margot Jansen

Auch die Stadt Herzogenaurach setzt seit 2004 mit einer Kulturveranstaltung ein Zeichen gegen das Vergessen der Gräueltaten der Nazis. Bürgermeister German Hacker erinnerte daran, dass in den sieben Vernichtungslagern Millionen Menschen – die genaue Zahl ist nicht bekannt – umkamen. Es waren nicht nur Juden, sondern auch Sinti, Roma, Homosexuelle und Behinderte.

Die letzten Zeitzeugen leben noch und ihre Berichte sind die wichtigsten Dokumente für diese Zeit. Sechs Wochen arbeiteten die 27 Schüler mit ihrer Lehrerin Julia Rosche an dem Projekt. Sie recherchierten akribisch im Archiv der Dachauer Gedenkstätte und sichteten Bücher, Briefe, Zeitungen und Protokolle von Zeitzeugengesprächen.

„Wir wollten den Lebenden und Toten eine Stimme geben“, erläuterte Rosche ihre Intention. Sie weiß, dass viele Überlebende ihre Befreiung mehr feiern als ihren Geburtstag. Die Schüler stellten in ihrer szenischen Lesung das Schicksal des Einzelnen und dessen ganz persönliches Erleben in den Mittelpunkt. Fotos ließen die ehemaligen KZ-Häftlinge und ihre Befreier aus der Anonymität der Masse heraustreten.

Mit vier Fragestellungen befasste sich die Klasse: Wie war die Situation bei der Befreiung, wie die Heimkehr, wie war der Umgang mit den Überlebenden in ihrer Heimat und wie ging man mit den verschiedenen Häftlingsgruppen nach 1945 um?

Stets vier Sprecher lasen aus Protokollen Überlebender. Die Amerikaner, die Dachau befreiten, waren fassungslos angesichts der ausgemergelten Gestalten. Da gab es dann die überhastete Nahrungsaufnahme der hungernden Menschen, die nach der Befreiung deshalb an Durchfall starben.

Die Einmaligkeit des Geschehens erkannte der niederländische Schriftsteller Nico Rost: „Ich fühlte den historischen Augenblick.“ Nach der Befreiung fanden die ehemaligen Häftlinge ein chaotisches, zerstörtes Europa vor. Die KZ-Insassen kamen aus allen Ländern, nicht alle konnten direkt in ihre Heimat zurück.

Den Sowjetbürgern gelang dies erst sehr spät. Anfangs hassten sie alle die Deutschen für das, was sie ihnen angetan hatten. Aber bei vielen veränderte sich langsam die Einstellung zu den Menschen in Deutschland und etliche wollten nicht mehr in ihre alte Heimat zurück. Es hatte in vielen osteuropäischen Staaten Kollaborateure gegeben und antisemitische Tendenzen waren weiterhin spürbar.

Erst 1990 wurden durch den russischen Präsidenten Boris Jelzin die Insassen der Konzentrationslager offiziell als Häftlinge anerkannt.

In Deutschland waren weiterhin alte Nazis in Ministerien und der Verwaltung tätig. Die von den SS-Leuten willkürlich in verschiedene Kategorien eingeteilten Häftlinge erhielten größtenteils keine Entschädigung. So wurde einem Polen keine Haftentschädigung zugestanden, weil Deutschland keine diplomatischen Beziehungen zu Polen unterhielt. Die Roma und Sinti wurden nicht als politische Häftlinge anerkannt, da sie von den Nazis als „Asoziale“ eingestuft worden waren. Der Rumäne Nikolaus Lehmann ließ sich mit 150 DM monatlicher Entschädigungszahlung abspeisen, was er später bereute und einer Stiftung zukommen ließ.

Die Schüler hatten für die Aufführung mit ihrer aktuellen Deutschlehrerin Ulrike Deavin-Spindler noch einmal geprobt. 2015 hatten sie die Lesung zum 70. Jahrestag der Befreiung der deutschen Konzentrationslager in Dachau vorgetragen. An über 1000 Menschen, darunter Bundeskanzlerin Angela Merkel und Ministerpräsident Horst Seehofer, hatten sie ihren Appell gerichtet: „So etwas darf es nie wieder geben, auch heute werden Menschen wieder verfolgt, wir dürfen nicht schweigen, wenn in unserer Gegenwart Unrecht geschieht.“

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