Steinerne Zeugen der Geschichte

20.10.2015, 06:00 Uhr
Steinerne Zeugen der Geschichte

© Christian Enz

Der Sonntagnachmittag im Aischgrund war regnerisch. Dicke Nebelschwaden hatten sich über den Baumwipfeln festgesetzt und die eigentlich bunt gefärbten Wälder präsentierten sich mangels Sonnenstrahlen als dezent morbides Beiwerk. Kein ideales Wanderwetter, wohl aber die perfekte Kulisse für eine heimatkundliche Führung unter dem Motto „Steinkreuze – Martern – Feldaltäre“. Zahlreiche Heimatfreunde waren der Einladung von Georg Schockel und Reinhard Grasse gefolgt.

Gemeinsam mit seiner Frau Sabine gestaltete Grasse die von Georg Schockel initiierte Fahrt zu den Flurdenkmälern im nordwestlichen Einzugsgebiet des Höchstadter Heimat- und Verschönerungsvereins schauspielerisch aus. Als launischer uniformierter Droschken-Fahrer begrüßte er die Gäste mit dem Hinweis, dass es keine reich ausgestatteten Kirchen und Schlösser zu besichtigen gäbe. „Dafür aber alte Steinkreuze, Martern und Feldaltäre, mit denen der Aischgrund wahrlich gespickt ist.“ Das Interesse war so groß, dass der bereitgestellte Bus für die Teilnehmer nicht ausreichte und mancher auf Privatautos ausweichen musste.

An der Bannmeile

Die erste Station der Exkursion konnte freilich noch zu Fuß erreicht werden. Georg Schockel stellte seinen Zuhörern die an der Rothenburger Straße, Ecke Engelgarten, gelegene Marter vor. „Sie markierte die Höchstadter Bannmeile. Wer sie passierte, der musste sich dem Recht der Stadt unterwerfen“, erklärte Schockel. Gleichzeitig erinnerte er daran, dass die Stele nur dank einer im Jahr 1997 für stolze 14 700 DM durchgeführten Sanierung heute so schmuck zu betrachten sei. „Allerdings wurde bei der Gestaltung der Bilder nicht auf Sonnenbeständigkeit geachtet, weshalb schon wieder Handlungsbedarf besteht.“

Weiter ging die 35 Kilometer lange Tour den Wachenrother Weg entlang bis hinauf an den Sonnenstuhl. Dort steht seit dem 19. Jahrhundert ein stolzer Feldaltar – errichtet zum Gedenken an die Höchstadter Landwirtsfamilie Dresel. Doch das Augenmerk der Zuhörer galt weniger den historischen Daten als den Geschichten hinter den stummen Zeitzeugnissen. Etwa dem Schicksal der Anna Kupfer aus Nackendorf. Die Tochter der renommierten Ziegelei-Besitzer war im Jahr 1890, nicht einmal siebenjährig, ums Leben gekommen, was ihre Eltern veranlasste an die alte Verbindungsstraße nach Höchstadt einen Feldaltar zu setzen.

Viele, doch bei weitem nicht alle Flurdenkmäler sind mit Bus und Auto heute gut zu erreichen. Immer wieder hieß es für die Gruppe deshalb aussteigen und Wandern – oft auch abseits guter Wege. Der Stimmung tat dies keineswegs Abbruch, gab es doch zur Belohnung spannende Geschichten. Hinter Nackendorf gedachte man des am 29. März 1941 verstorbenen Georg Weber. Als Chronist verlas Reinhard Grasse dazu den Bericht des zeitgenössischen Aischtal-Boten. Salbungsvoll pries dieser den tugendhaften Fleiß sowie das wirtschaftliche Geschick des Gastwirtes vom Weberskeller. Dieser sei gestolpert und Kopf über in den Weiherzulauf gefallen. Weil er seine Hände in den Taschen hatte, konnte er sich aus dieser Lage nicht befreien und ertrank. „Eine Geschichte, die ich den jungen Leuten bis heute erzähle – damit sie lernen, dass man seine Hände nicht ständig in die Hosentasche steckt“, ergänzte Georg Römer, Vorsitzender des Heimatvereins.

Nur wenige Gehminuten entfernt trafen die Mitglieder und Freunde des Höchstadter Heimatvereins dann auf das Schicksal der Nackendorferin Anna Scheer. Dieses wurde vorgestellt von Sabine Grasse – im Gewand einer bäuerlichen Zeitzeugin. Sie berichtete authentisch, wie der 39-jährige Schreinermeistertochter auf abschüssiger Straße vom Leiterbaum des väterlichen Gespanns das Genick gebrochen wurde. Vor allem aber beklagte sie, dass den Eltern nun eine tüchtige Stütze im Betrieb verloren gegangen sei. „Sie sehen also worauf es früher ankam. Fleiß in der Arbeit und Geschick in wirtschaftlichen Angelegenheiten“, betonte Georg Schockel.

Auf verschlungenen Wegen über Schirnsdorf, Horbach und Wachenroth führte die Route schließlich zum Höhepunkt der Exkursion – der Müllermarter linker Hand des Bahnübergangs vor Volkersdorf. Dieses wurde zunächst durch die Eheleute Grasse präsentiert. Beide spielten kurzweilig und schauspielerisch versiert den Dialog zwischen einem Stubenmädchen und einem Tagelöhner – die sich über das Schicksal der Müller aus der Volkersdorfer Mühle verlustierten. Dabei gaben sie die unverbriefte Mähr zum Besten, nach der eine Müllerstochter zwei uneheliche Kinder zur Welt gebracht hatte. „Da sie den Vater nicht benennen wollte, geriet der Bruder in Verruf“, führte Reinhard Grasse aus. In Folge ereilte den Bruder der Strang, die Schwester übersiedelte mit ihren Kindern nach Ungarn. „Wobei ein Nachfahre inzwischen in Fürth wohnen soll“, wie Sabine Grasse nebulös ergänzte.

Legenden und Fakten

Nicht ganz zur Freude von Werner Rühl. Als Vertreter der Deutschen Steinkreuzforschung hält sich der Hallerndorfer lieber an Fakten als an den Volksmund. „Diese Geschichte entbehrt jeglicher Grundlage. Sie ist nicht einmal in den Klosterbüchern verzeichnet“, so der Heimatforscher. „Der Stein ist also eher als Prestigeobjekt der damals sehr wohlhabenden Müller zu betrachten“. Den Zuhörern war dies jedoch einerlei. Vielmehr zeigten sie sich von Georg Schockel beeindruckt, welcher die Renovierung der Stele auf eigene Faust in die Hand genommen hat. Er betätigte sich als „Fundraiser“, sammelte Spenden und nutzte internationale Kontakte. „Aus einem 7,6 Zentner schweren Sandstein wurde schließlich in 250 Arbeitsstunden eine Replik angefertigt. Wir hatten zum Glück alte Fotos“, berichtete Schockel. Aber auch wenn das Steinbildnis heute wieder an vergangene Zeiten erinnert, fertig ist es noch immer nicht. „Ganz oben fehlen noch zwei Pinien-Zapfen und ein Kreuz. Das Geld dafür bekomme ich auch noch zusammen“, so Schockel.

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