Große Lust aufs Reinschicken

30.3.2016, 07:59 Uhr
Große Lust aufs Reinschicken

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Herr Tissot, gibt es bei Ihnen einen 1. April ohne Aprilscherz?

Oliver Tissot: Nö, das wäre ja wie Vater ohne Morgana oder Schnaps ohne Idee. Im Ernst: Wer alles ernst nimmt, beraubt sich der köstlichen Momente, über Fragwürdiges auch mal zu lachen oder das Lächerliche infrage zu stellen. Schließlich ist dieser Tag neben Karneval einer der seltenen Gelegenheiten, seinen Lachverstand unter Beweis zu stellen und nicht alles für bare Münze zu nehmen, sondern jemanden auf den Arm. Ich hoffe also, dass man auch mit mir Schabernack treibt, mich hinters Licht führt und in den April schickt.

Große Lust aufs Reinschicken

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Das bedeutet, dass der Aprilscherz eine gewisse geistige Herausforderung ist?

Tissot: Auf jeden Fall, zumindest bei jedem guten Einfall! Kleine Kinder kann man noch mit naiven Fantasien foppen und nach draußen locken, indem man so tut, als wäre ein Ufo auf dem Dach gelandet oder hätte sich ein Dino übers Gemüse im Garten hergemacht. Ältere, denen seit Jahrzehnten nur Rindviecher, aber niemals Saurier oder grüne Männchen begegnet sind, lassen sich mit solch billigen Tricks nicht mehr täuschen. Positivismus nennt man das in der Philosophie, wenn man nicht mehr positiv denkt, sondern nur noch glaubt, was man schon kennt und zweifelsfrei erlebt hat. Der Franke ist somit der Idealpositivist, weil er einem gar nix abkauft und anfangs immer skeptisch ist. Ihn in den April zu schicken, ist die höchste Kunst konspirativer Kommunikation, weil einem dann jemand auf den Leim geht, der es mit seinem steten kritischen Hinterfragen partout vermeiden wollte.

Ist es schöner, jemand in den April zu schicken oder geschickt zu werden?

Tissot: Das ist wie bei gutem Sex. Wenn beide großen Spaß haben, ist es am schönsten. Aber man sollte nicht immer die Hosen runterlassen müssen. Spätestens, wenn man jemanden mit einem vermeintlichen Spaß in eine wirklich peinliche Situation bringen würde, sollte der Spaß ein Ende haben.

Wie gehen Sie als Familienvater mit dem Aprilscherz um?

Tissot: Da ich mit Humor mein Geld verdiene, wäre es ja wohl ein Witz, meinen Kindern nicht mit auf den Weg zu geben, wie leicht man sich das Leben machen kann, indem man nicht alles so schwer nimmt. Ich beziehe somit „Po“-sition und verarsche sie. Natürlich niveauvoll, also nie wo voll auf Ernsthaftigkeit Wert gelegt werden muss.

Was waren Aprilscherze, auf die Sie gern reingefallen sind?

Tissot: Ein guter Scherz ist nie ein Reinfall, nicht mal für den Reingefallenen, selbst wenn er dadurch ins Schwimmen kommt. Mir Lang- und gerne Ausschläfer haben meine Kinder mal weisgemacht, ich hätte einen Termin verschwitzt und ein Kunde stehe an der Haustür. Ich sprang also in Windeseile in meine Klamotten und rannte mit offenem Hemd und wehendem Haaren, — ach ne, die hatte ich ja schon damals nicht mehr —, nach unten. Fand ich prima, dass mir die Kids so keck den Spiegel vorhielten, also meine schusselige Verschlafenheit am Morgen.

Wie ist der 1. April für den professionellen Humoristen? Müssen Sie da bei einem Auftritt besonders witzig sein?

Tissot: Für den Auftritt, den ich am 1. April habe, spielt das nur eine nette Nebenrolle. Ich darf ja das ganze Jahr die Leute derblecken. Schön ist aber doch, dass an diesem Tag nicht nur wir Profis, sondern jedermann und -frau zu Scherzbolden werden dürfen, sofern sie mögen.

Juckt es Sie trotzdem immer wieder, Leute in den April zu schicken?

Tissot: Es juckt nicht nur, es reizt mich richtig. Je mehr Menschen mir am Freitag über den Weg laufen, die den Kopf frei haben für Bluffs und Verblüffungen, umso lieber. Ich hoffe also auf möglichst viele Begegnungen, die komödiantisch enden. Lachen erweitert ja den Horizont.

Haben Sie schon eine perfekte Idee für einen Aprilscherz?

Tissot: So wie es keinen perfekten Mord gibt, gibt es Gott sei Dank auch keinen perfekten Scherz. Wäre man nicht jedes Mal selbst sehr aufgeregt, ob der Scherz gelingt, wäre der Spaß nur halb so groß. Wenn am Ende alle herzhaft lachen, ist der Scherz nahezu perfekt und der Aufwand einer guten Planung und Vorbereitung hat sich auf jeden Fall gelohnt.

Sie haben in Ihrer Doktorarbeit den ökonomischen Nutzen von Humor untersucht. Wie lautet die Quintessenz?

Tissot: Wie schon erwähnt: Lachen entschärft Konflikte, erleichtert Kommunikation und hilft selbst bei Schmerzen und Krankheiten. Deshalb empfehle ich jedem, den 1. April mehr oder minder sinn- und unsinnvoll für reichlich Lachsalven zu nutzen.

Historiker haben zwischen dem Wetter und Ereignissen wie dem Augsburger Reichstag unterschiedliche Erklärungen für den Ursprung des Aprilscherzes. Welche gefällt Ihnen am besten?

Tissot: Vielleicht will man uns ja selbst mit den Aprilscherz-Histörchen zum Narren halten. Merkwürdig halte ich jedenfalls, dass die Redensart „in den April schicken“ erstmals in Deutschland in einem Schriftstück aus Bayern dokumentiert ist — aus dem Jahre 1618. Zur nächsten bayerischen Landtagswahl feiern wir also 400 Jahre Hinters-Licht-führen. Passt gut zusammen! Beim derzeitigen Ministerpräsidenten und seinen Nachfolgekandidaten weiß man ja auch nie, wer wen auf den Arm nehmen will.

Gibt es auch am 1. April Grenzen des Humors?

Tissot: Ja, wie beim guten Geschmack. Wenn es zu bitter ist, wird es ungenießbar. Leider auch geschmacklos. Einen Herzinfarkt oder eine Bombendrohung vorzutäuschen und „April, April“ zu rufen, ist nicht lustig. Man sollte auch nicht davon ausgehen, dass dann Bombenstimmung aufkommt oder sich jemand totlacht.

Warum ist der Aprilscherz trotzdem wichtig?

Tissot: Weil er uns lehrt, den Kopf zum Selberdenken zu nutzen statt zum unreflektierten Aufnehmen und Nachplappern. Somit hat es fast etwas Aufklärerisches, wie es Immanuel Kant verstanden hat. Der Aprilscherz ist ein kleiner Hinterausgang aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit. Jeder, der einmal in den April geschickt worden ist, wird ein klein wenig wachsamer gegenüber allem, was ihm abverlangt und vorgesetzt wird. Deshalb ist auch die Tageszeitung ein ideales Medium für Aprilscherze. Durch leichte Übertreibung aktuell kontrovers diskutierter Themen bringt man den Leser dazu, stutzig zu werden und auf die Glaubwürdigkeit von Details zu achten. Die Finte mit dem Fahrradkreisel am Plärrer letztes Jahr war ein köstliches Beispiel für eine gelungene 1. April-Zeitungsente. Ich freue mich schon auf die diesjährige Falschmeldung.

Wie fänden Sie es denn, wenn wir täglich in der Zeitung einen kleinen Aprilscherz abdrucken würden?

Tissot: Zur Schulung des eigenen kritischen Verstandes wäre es eigentlich begrüßenswert. Doch ich hätte dann ein Problem: Die beste Recherchegrundlage für meine Arbeit ist seriöse Berichterstattung. Und wenn die immer schon humorvoll überzeichnet und witzig wäre, bräuchte man bald keine Humoristen mehr. Besser also, man macht das doch nur einmal im Jahr.

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