Nürnbergs schönster Liebesbeweis

3.1.2019, 17:33 Uhr
Ein Traum aus Tausendundeiner Nacht: die „Alhambra“ im Jahre 1876. Der orientalische Palast war jahrzehntelang eine der kuriosesten Sehenswürdigkeiten der Stadt.

© Johann Friedrich Stiehm (Sammlung Sebastian Gulden) Ein Traum aus Tausendundeiner Nacht: die „Alhambra“ im Jahre 1876. Der orientalische Palast war jahrzehntelang eine der kuriosesten Sehenswürdigkeiten der Stadt.

Der Tadsch Mahal ist einer der schönsten und zugleich protzigsten Liebesbeweise der Weltgeschichte. Der indische Großmogul Shah Jahan ließ ihn im 17. Jahrhundert als Grablege für seine Lieblingsfrau Mumtaz Mahal erbauen. Der Kaufmann Johann David Wiß tat es ihm – im Rahmen seiner ungleich bescheideneren Mittel – gleich, sorgte aber dafür, dass seine geliebte Ehefrau noch zu Lebzeiten etwas hatte von ihrem orientalischen Palast: 1839 bis 1840 ließ er von Karl Alexander Heideloff die "Alhambra" errichten, ein märchenhaftes Gartenhaus im "maurischen Style".

Es lag im Süden des Rosenauparks, dessen Name vermutlich auf besagte Rosina Alexandrina Wiß zurückgeht. Den größten Teil der übrigen Gartenlandschaft hingegen bedeckte damals der halbmondförmige "Bleichersweiher", die einst größte Wäschebleiche der Stadt. Jahrzehntelang war die "Alhambra" eine der kuriosesten Sehenswürdigkeiten Nürnbergs und durfte in keinem Reiseführer fehlen. 1888 aber waren die Tage des Märchenbaus gezählt – er wurde abgerissen. Man sieht: Schon im 19. Jahrhundert siegte allzu oft die Pragmatik über die Kunst.

Auch im Frühjahr verströmte der Prachtbau – das Parkrestaurant – märchenhaftes Flair. Diese Aufnahme entstand um 1907.

Auch im Frühjahr verströmte der Prachtbau – das Parkrestaurant – märchenhaftes Flair. Diese Aufnahme entstand um 1907. © unbekannt (Sammlung Sebastian Gulden)

Immerhin, man schaffte Ersatz für die verlorene Perle. Die nicht minder märchenhafte Architektur der Neorenaissance, die gleichwohl weniger an die Märchen aus Tausendundeiner Nacht als an das Haus des Weihnachtsmannes auf dem Nordpol erinnerte, hielt Einzug im Rosenaupark.

Der Hintergrund: Ende des 19. Jahrhunderts hatte die Parkrestauration der Rosenau, die auf einer Insel im Bleichersweiher lag, mit massiven Platzproblemen zu kämpfen. Es fehlten ihr jene großen Säle, die die Gesellschaft der Gründerzeit für Festgelage, Konzertabende und opulente Tanzveranstaltungen so sehr schätzte.

Nachdem Valentin Nickel das klassizistische Bestandsgebäude umgebaut hatte, entstand im Südwesten ein gewaltiger Saalbau. Seine feingliedrige Konstruktion bestand aus Gusseisenteilen, die Wände aus Ziegeln. David Röhm, einer der führenden Nürnberger Architekten seiner Zeit, versah die Fronten des Gebäudes mit riesigen Fenstern, die das Innere geradezu mit Licht fluteten.

2018 sind Parkrestaurant und Bleichersweiher Geschichte. Immerhin blieben einige der Prunkfassaden an der Bleichstraße erhalten.

2018 sind Parkrestaurant und Bleichersweiher Geschichte. Immerhin blieben einige der Prunkfassaden an der Bleichstraße erhalten. © Sebastian Gulden

Zu dem üppigen Bauschmuck gehörten zwei Dachreiter – sie enthielten die Auslässe der Lüftungsanlage –, die von Welschen Hauben und Obelisken bekrönt wurden. 1886 errichtete Zimmermeister Michael Birkmann zusätzlich ein polygonales Freilufttheater, den sogenannten Baumsaal, in dem eine reisende "südafrikanische Truppe" auftrat.

All dieser Prachtentfaltung zum Trotz war der Rosenau Actiengesellschaft der Betrieb des Parks und der Restauration auf Dauer zu teuer: 1893 stieß sie das Gelände an die Stadt Nürnberg ab. Dann aber, so scheint es, brummte die Parkgastronomie so sehr, dass die Stadt Pächter Carl Oberndorfer 1910 einen Rüffel verpassen musste, da "anscheinend bedeutend mehr Eintrittskarten ausgegeben werden als Plätze vorhanden sind".

Wie das Haus des Weihnachtsmannes präsentierte sich das Parkrestaurant im Winter 1897.

Wie das Haus des Weihnachtsmannes präsentierte sich das Parkrestaurant im Winter 1897. © Verlag Johann Philipp Raw(Sammlung Sebastian Gulden)

Abhilfe für den enormen Auftrieb schufen 1927 Hans Müller und Karl Kröck, die im Park eine hölzerne Halle im Stil des Expressionismus für den Biergartenbetrieb und ein "Salettl" – eine Art Pavillon – errichteten.

In all der Zeit blieb der Bleichersweiher, der gleichwohl wegen der Umleitung und Überbauung seiner Zuflüsse mehr und mehr schrumpfte, ein gesellschaftlicher Hotspot: Im Sommer verlebten hier verliebte Pärchen ein romantisches Stelldichein im Ruderboot, im Winter sausten Jung und Alt auf Schlittschuhen über die Eisfläche.

So wie die Alhambra sind auch der märchenhafte Saalbau und der Weiher längst Geschichte. Im Zweiten Weltkrieg pflügten Bomben den Park förmlich um und vernichteten die Vergnügungstempel innerhalb seiner Grenzen. Im Zuge des Wiederaufbaus hat man den Bleichersweiher endgültig zugeschüttet, die letzten Reste des alten Parkrestaurants verschwanden 1972. Wer heute in der warmen Jahreszeit im Park einen Kaffee oder ein Eis genießen will, sucht den kleinen, aber durchaus reizvollen Pavillon des "Café Kiosk" auf.

Schlendert man heute über die Rosenau und kennt die Geschichte, der mag sie vermissen: die alte Zeit, die zwar in vielerlei Hinsicht keine "gute Zeit" war, aber doch eine Zeit, in der man wusste, wie man stimmungsvoll und gediegen baut, feiert, tanzt, speist und eisläuft.

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