"Satiriker waren stets Freiheitskämpfer"

10.1.2015, 06:00 Uhr
Klaus Stuttmann macht auf Attacken auf die Pressefreiheit aufmerksam.

© Karikatur: Klaus Stuttmann Klaus Stuttmann macht auf Attacken auf die Pressefreiheit aufmerksam.

Horst Haitzinger erreicht die Anschlags-Nachricht im Radio. Zwei Gedanken schießen dem 75-Jährigen, dessen Karikaturen in den Nürnberger Nachrichten erscheinen, durch den Kopf: "In erster Linie war ich über dieses monströse Verbrechen entsetzt. Mein zweiter Impuls war: Jetzt erwartet jeder, dass du was drüber machst."

Und Haitzinger zeichnete. Doch den blutigen Anschlag selbst in den Mittelpunkt einer Karikatur zu stellen, das wäre nicht richtig gewesen, glaubt der Wahl-Münchner. Er konzentrierte sich stattdessen auf die politischen Reaktionen und Erklärungsversuche (siehe unten). "Die sind es sehr wohl wert, auf satirische Weise aufgegriffen zu werden."

© Horst Haitzinger

Auch Horst Haitzinger hat feindselige Reaktionen auf seine Karikaturen erlebt, "früher mehr als heute", erzählt er. Zu Zeiten Chomeinis, des iranischen Revolutionsführers, "habe ich massive Drohungen in Telefonanrufen und Leserbriefen bekommen". Die Polizei bietet Haitzinger damals Schutz an. Er lehnt ab.

Keine Angst vor Angriff

Die Furcht, selbst einmal Opfer eines Angriffs zu werden, kennt Haitzinger von seiner Frau, von seinen Kindern. "Ich selber habe diese Befürchtung nie gehabt." Das hat auch mit der Art und Weise zu tun, wie Haitzinger sein Handwerk versteht. "Ich habe noch nie den Ehrgeiz gehabt, um der Provokation willen zu provozieren", sagt der gebürtige Österreicher. Dass seine Karikaturen "einen vernünftigen Gedanken" vermitteln, das sei ihm schon wichtig.

Haitzinger hält eine trotzige Veröffentlichung besonders verletzender Karikaturen für die falsche Reaktion auf den Anschlag; ebenso falsch wie künftig vorsichtiger zu agieren, um ja keine religiösen Gefühle zu verletzen. "Ich plädiere dafür, den Grad an Schärfe weder zu verringern noch zu erhöhen."

Einschüchtern lassen will sich auch Deutschlands größte Satire-Zeitschrift Titanic nicht. Drohungen und Gewalt dürften nicht zu Selbstzensur führen, so Chefredakteur Tim Wolff. "Fanatiker vertreten eine todernste, einzige ewige Wahrheit, und der Witz bedroht diese Wahrheit." Titanic reagierte mit schwarzem Humor auf den Anschlag und lud zu einer Pressekonferenz: "Für Terroristen bietet sich hier die Möglichkeit, nicht nur eine Satireredaktion auszulöschen, sondern auch die gesamte deutsche Lügenpresse. Es gibt Schnittchen (hinterher)!"

"Ich bin immer noch schockiert und sprachlos", sagt Paul Derouet. Der Franzose, der seit langem in Deutschland lebt, ist seit 1986 künstlerischer Berater und Kurator des Internationalen Comic-Salons in Erlangen. Er kennt alle wichtigen französischen Zeichner und Karikaturisten. Auch mit den ermordeten Kollegen von Charlie Hebdo hatte er oft zu tun, mit Georges Wolinski, der vor einigen Jahren mit dem Großen Preis von Angoulême, dem wichtigsten Comic-Preis in Europa, ausgezeichnet wurde, war er eng befreundet.

Das Attentat wird die Welt in ähnlicher Weise verändern wie der 11. September 2001, meint Derouet: "Das war ein genau kalkulierter Anschlag auf die Freiheit und die Werte Europas. Die Satiriker von Charlie Hebdo waren Freiheitskämpfer und sind an der Front gestorben. Das Risiko war ihnen stets bewusst."

Der 67-Jährige weist darauf hin, dass Cartoons und Comics in Frankreich weitaus populärer seien als hierzulande. "Es gibt bei uns auch eine ganz andere Humor-Tradition, radikal, respektlos und politisch inkorrekt. Charlie Hebdo macht sich immer wieder über Religionen lustig. Ihr Credo heißt: Man darf über alles lachen. Satire kennt keine Grenzen." Der Anschlag macht nach Derouets Meinung klar, dass die Terroristen Zeichenstift und Papier sehr wohl für gefährliche Waffen halten.

"Künstler wie Wolinski, Coluche oder Reiser sind für die Nach-68er-Generation extrem wichtig, deshalb sind die Franzosen auch so erschüttert", sagt Derouet. Ein mutmachendes Signal sei die weltweite Solidarität, in den sozialen Netzwerken melden sich Künstler und Zeichner aus aller Welt, die jetzt erst recht gegen Extremismus auftreten wollen. Und Charlie Hebdo erscheint nächste Woche erstmals mit einer Rekordauflage von einer Million Exemplaren.

Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) hat die oben abgebildete Karikatur von Klaus Stuttmann an sämtliche Zeitungsverlage geschickt, um mit einer konzertierten Aktion die Diskussionen im Rahmen der verschiedenen Attacken auf den Pressefreiheit aus den vergangenen Tagen und Wochen auf eine breite und grundsätzliche Ebene zu führen.

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