Wo sich das alte und das neue Nürnberg treffen
11.4.2019, 16:02 UhrEs ist eine Tatsache: Wenn sich doch mal ein Tourist ans Nürnberger Marientor verirrt, dann knipst er sein Erinnerungsfoto todsicher in Richtung Altstadt und lässt den Blick gen Osten in die Marienvorstadt links liegen. Wer mag’s ihm verdenken: Selbst heute noch, nach Weltkrieg und Umbau im Zeichen der "autogerechten Stadt", ist das Marientor eine der Schokoladenseiten am südöstlichen Zugang zur Altstadt.
Die Stadtmauer mit ihren trutzigen Türmen öffnet sich hier, um den Durchblick zum gewaltigen spätgotischen Hallenchor der Lorenzkirche freizugeben. Etwas näher am Tor buhlen die Türmchen und Erkerchen des ehemaligen Hotels "Maximilian" um die Blicke des Betrachters.
Das "Maximilian", eine Schöpfung des Architekten Georg Richter im vollendeten Nürnberger Stil aus den Jahren 1890 bis 1891, zeigt eindrucksvoll, dass die Stadtplaner und Architekten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts klug genug waren, sich an diesem neuralgischen Punkt keinen brachialen Mauerdurchbruch à la Färbertor zu erlauben.
Mit dem "Maximilian" – heute befindet sich dort im Erdgeschoss unter anderem ein Teeladen –, dem Marientorzwinger (rechts des Tores, erbaut 1894 von Emil Hecht) und seinem südlichen Gegenstück, der Kunsthalle (erbaut 1913 von Otto Seegy), gaben sie der Verbindung zwischen dem alten und dem neuen Nürnberg einen reizvollen städtebaulichen Rahmen.
Tatsächlich gab es an dieser Stelle schon einmal einen richtigen Torbau, mit spitzbogigem Portal, Erkern und Wappenreliefs, doch keineswegs einen aus alter Zeit: 1858 endete die Lorenzer Straße noch vor der Stadtmauer. Ganz traditionsbewusst verfiel die Stadt auf die Idee, die künftige Direktverbindung zwischen der Lorenzer Altstadt und der neu angelegten Marienvorstadt mit einem Tor im Mauerring zu verschönern.
Stadtbaurat Bernhard Solger, im Übrigen einer der geistigen Väter der Stadterweiterung, zeichnete dafür die Pläne. Leider hinkte die Stadtspitze der Entwicklung hinterher: Schon 1890 schleifte man das Tor wieder, weil es den Durchgangsverkehr zu sehr behinderte. Seitdem ist das Marientor ein "Tor ohne Torbogen", denn der Name lebte weiter.
Der Zweite Weltkrieg schlug am Marientor empfindliche Schneisen in das gewachsene Weichbild der Stadt. Die Nachkriegszeit und das Baulinien-Geschiebe der Stadtplaner sorgten dafür, dass weitere Bauten, die den Bomben widerstanden hatten, im wahrsten Sinne des Wortes unter die Räder kamen: Die Baugewerkeschule, die auf unseren historischen Bildern hinter der Kunsthalle aufragt, war das prominenteste Opfer.
Das stadtbildprägende Monument des Klassizismus aus dem Jahre 1874 und Alma Mater Tausender Baumeister, Bauführer und Bautechniker wurde 1958 für die Verbreiterung der Lorenzer Straße plattgemacht. An ihrer Stelle steht heute ein architektonisch durchaus nicht reizloses städtisches Ämtergebäude von 1960, in dem das Dienstleistungszentrum Bau und – Achtung: Treppenwitz! – das Stadtplanungsamt untergebracht sind.
Auch die Kunsthalle und der Marientorzwinger sehen ihren Alter Egos von 1936 heute nur noch bedingt ähnlich. Nach Kriegsschäden ersetzte man ihre ramponierten Mansarddächer durch ein weiteres Vollgeschoss mit Walmdächern.
Und das war noch Glück im Unglück: Die noch ärger zerstörten Bauten am Marientorgraben, ein Gebäude ist auf der Fotografie von 1936 rechts angeschnitten, wurden komplett abgebrochen. An ihrer statt zog man die gläsernen Bürogebäude der Aachener und Münchener Lebensversicherung und der Stadtsparkasse empor.
Unsere Aufnahme von 1936 entstand übrigens nach der Verbreiterung des Altstadtrings und der Neutrassierung der Straßenbahn – beides Infrastrukturmaßnahmen für die Reichsparteitage. Heute sind die Gleise zwischen Marien- und Lorenzer Straße gänzlich zugunsten eines begrünten Mittelstreifens verschwunden. Na ja, irgendwo müssen die Touristen ja Zuflucht vor dem Verkehr finden, wenn sie ihr Erinnerungsfoto schießen wollen von dem "Tor ohne Torbogen".
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