„Jeder bringt hier ein Schicksal mit“

11.3.2016, 19:01 Uhr
„Jeder bringt hier ein Schicksal mit“

© Foto: Petra Bittner

„Es kann jeden treffen – von heute auf morgen“. Franz Kreidl ist kein Sozialromantiker, sondern einer, der’s am eigenen Leib erfahren hat: Wie das ist, wenn der Arbeitgeber dicht macht, wenn man plötzlich auf der Straße steht und wenn der Hartz IV-Antrag unumgänglich wird. Er, ein g’standener Arbeiter...

Zur „Rother Tafel“ sei er 2007 als Ein-Euro-Kraft gestoßen. Die würden bisweilen bei der Arbeitsagentur angefordert, wenn Helfer fehlen.

Kreidl landete schließlich hinterm Steuer eines Kleintransporters. Damit sollte er im weiten Rother Umkreis Supermärkte, Metzger und Bäckereien abklappern, um übrig gebliebene, aber noch genießbare und gesundheitlich einwandfreie Nahrungsmittel abzuholen: das Brot von gestern, die reifen Bananen oder den Joghurt, bei dem das Mindesthaltbarkeitsdatum gerade erst abgelaufen ist.

Eine existenzielle Hilfe für Mitbürger, in deren Geldbeutel Ebbe herrscht. Leute wie er damals.

Vor einem halben Jahr hat Franz Kreidl wieder eine feste Anstellung gefunden. Doch der Tafel will er als ehrenamtlicher Fahrer erhalten bleiben - „weil’s Spaß macht“. Das sei wie in einer Familie, sagt irgendjemand und Kreidl lacht.

Eine Familie, in der man früh aufstehen muss. Schon um 7.15 Uhr herrscht unterm Fernmeldeturm der Telekom in der Friedrich-Ebert-Straße Betriebsamkeit. Fahrer und Beifahrer rüsten sich für ihre erste Tour. Mit dabei ist nicht nur Michael John (60), ehemaliger Pädagoge, der hier „eine Anforderung ohne Überforderung“ gefunden hat.

Die Abhol-Listen im Anschlag trägt auch Ahmed Jar-Allah. Der junge Mann ist Urologe. Nach Roth verschlagen hat ihn der syrische Bürgerkrieg. „Mir ist geholfen worden, jetzt will ich auch helfen“, lautet die Überzeugung des anerkannten Flüchtlings.

Doch viel Zeit zum Reden bleibt nicht. Schließlich soll hier ein zeitlich durchgetakteter Plan eingehalten werden. Immerhin seien es inzwischen „an die 40 Stationen, die angefahren werden“, meint Hans-Jörg Wonitzki (73). Da hätte sich „wirklich viel Gutes getan“. Vorbei die Zeiten, als man „blöd angeredet“ wurde oder „den letzten Müll“ von den Lieferanten erhalten habe.

Die Tafel sei zum anerkannten Glied in der sozialen Kette geworden. Mittlerweile gibt es einen deutschen Dachverband mit über 900 Mitgliedern und ein Nordbayerisches Netzwerk mit eigener „Foodbank“ (zwei Zentrallagern, in denen Großlieferungen landen, die dann bei den Tafeln in ganz Franken verteilt werden). Plus: Regelmäßiger Erfahrungsaustausch!

„Mich hält das jung“

Erfahrungen — diesmal eher persönlicher Natur — werden jetzt auch in der Küche und im Warenausgabe-Raum gewechselt. Denn gegen 9.30 Uhr kommt dort Leben in die Bude. Der erste Wagen ist zurückgekehrt und bringt kistenweise Lebensmittel.

Petra Paditz und Alla Chimitsch machen sich ans Sichten und Putzen der Ware. „Mich hält das jung“, meint Rentnerin Paditz und sortiert ein paar schimmelige Zitronen aus.

Einsortiert werden derweil Brot, Obst oder Gemüse in die Regale der gegenüberliegenden Warenausgabe. Alles läuft nach einem funktionierenden System. Die Stimmung ist gut. Rosa Fuchs (79), ihre Schwester Erna Rothmeier (80) und Christine Barth (71) sind ein eingespieltes Team.

Die Schwestern mischen von Anfang an mit. „Wenn sich die Leute freuen, mich zu sehen, dann tut mir das gut. Ich hab’ so liebe Kunden...“, schwärmt Rosa Fuchs. Gleichwohl weiß sie um die Entbehrungen derer, die da zu ihr kommen. „Jeder bringt hier ein Schicksal mit“, bilanziert Christine Barth.

Es ist vor allem Gisela Wonitzki, die sich gerne unter die Wartenden mischt. Um die 150 stünden wöchentlich ab 16 Uhr in der Friedrich-Ebert-Straße an. Wonitzki kennt ihre „Pappenheimer“: die älteren Damen, die den Kaffee von zu Hause mitbringen, um – endlich raus aus der Isolation – gemütlich plauschen zu können. Oder die Frau, deren Sohn nun eine Lehrstelle gefunden hätte: „Man freut sich mit“. Oder den jungen Vater mit drei kleinen Kindern, dessen Frau schwer krank sei - „da kullern schon mal die Tränen“. Oder Leute, „denen man bessere Zeiten noch immer ansieht.“

Oder, oder, oder. Not hat viele Gesichter. Dazu zählen auch jene, „die einfach nicht mit Geld umgehen können“, weiß Hans-Jörg Wonitzki. Pro Person oder Familie wird samstäglich ein Euro verlangt (für einen Warengegenwert von 25 Euro). „Manche haben nicht mal das. Aber umsonst gibt es nichts“, unterstreicht er. Und: „Unsere Abgabekriterien sind relativ restriktiv“. Lebensmittel sowie „Chemieartikel“ würden nur gegen Nachweis herausgegeben: Hartz IV-Bescheinigung, Rentenbescheid, Verdienstbogen (bei Alleinerziehenden etwa), einen Nachweis vom Job-Center, ein anerkannter Asylantrag oder ein dezidiertes Empfehlungsschreiben. Wer das einmalig vorlegen kann, kriegt den Tafel-Ausweis.

Flüchtlinge der Zentralen Aufnahmeeinrichtung würden nicht mit versorgt. Dazu fehlten einfach die nötige Manpower und die entsprechenden Lebensmittelmengen.

Gegen 14 Uhr steigt die Betriebstemperatur im angemieteten Telekom-Anwesen. Kisten und Kästen stapeln sich im Flur. Es geht Hand in Hand. Die Regale füllen sich. Isolde Dürnberger, die heute als koordinierender „Kümmerer“ den Überblick behalten soll, nickt zufrieden.

Geschenke zu Ostern

„Bald ist Ostern“, überlegt Gisela Wonitzki. Da gebe es wieder kleine Geschenke für die Kunden. Dafür seien beizeiten schon ein paar Euro auf die Seite gelegt worden. Wie auch zu Weihnachten und zum Schulanfang. Soviel Weitblick muss sein. Schließlich finanziere sich die „Rother Tafel“ ausschließlich über Spenden.Doch das werde nun bald nicht mehr Sorge der Wonitzkis sein.

Dass es dennoch in deren Sinne weitergeht – diese Gewissheit wirft Isolde Dürnberger mit einer offenen Geste in den Raum: „Lauter gute Seelen!“

Die Rother Tafel sucht für ihre Ausgabestelle in der Friedrich-Ebert-Straße dringend Helfer/innen zur Aufbereitung und Ausgabe der Lebensmittel sowie Fahrer und Beifahrer mit guter körperlicher Kondition. Wer in regelmäßigen Abständen mitmachen will, wende sich an Heinz Ripka, Telefon (0 91 74) 8 06 oder (01 76) 76 78 35 94. Es ist auch möglich, erst einmal zu schnuppern.

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