Die Feuerwehr in der Automobilentwicklung

29.5.2017, 12:00 Uhr
Die Feuerwehr in der Automobilentwicklung

© Schnitzer Group

Das Büro ist unscheinbar. Im Glasbau der ehemaligen Profhal-Niederlassung an der Dettenheimer Straße deutet nur ein dezentes Schild an den Briefkästen auf die Schnitzer Group hin. Hinter der verspiegelten Glasfront stehen nüchterne Büromöbel. Ein Besprechungstisch mit Bänken ohne Rückenlehne ist noch das Auffälligste. An der Wand hängt ein Organigramm im Stil eines Wimmelbildes. Einzig ein paar Frontend-Module (der Nichtfachmann würde vermutlich von Kühlergrill reden) lassen erahnen, dass in diesem Büro an Autos getüftelt wird.

Neun von zehn Aufträgen haben bei der Schnitzer-Gruppe mit dem Segment Automotive zu tun. Ein bisschen großspurig könnte man sagen: Hier wird neuen Autos das Fahren beigebracht. Bei der Entwicklung eines neuen Autos reden viele Leute mit: Designer, Ingenieure, Ein- und Verkäufer, Vertreter der Produktion, Zulieferer. Und jeder hat andere Sorgen und Erwartungen. Wenn das aus dem Ruder zu laufen droht, ist Zeit für „Systemic Projectmanagement“. So nennt Peter Schnitzer das, was er und seine Leute tun. Es geht darum, alle Interessen zu kanalisieren, damit am Ende das beste Produkt herauskommt.

Weißenburgs Niederlassungsleiter Klaus Rößler und seine Kollegen sind eine Art Feuerwehr in der Fahrzeugentwicklung. Ein Beispiel: Designer haben eine genaue Vorstellung, wie die Mittelkonsole im Auto aussehen soll. Doch der Zulieferer bekommt die Stabilität der Spritzgussteile nicht in den Griff. Gemeinsam ändert man dann entweder das Design, das Material oder man holt einen anderen Zulieferer ins Boot. Lieber ist es der Beratungsfirma freilich, man holt sie schon zu Beginn der Entwicklung ins Boot.

Stetig gewachsen

Klaus Rößler war früher bei Dynamit Nobel als Meister tätig und lernte Peter Schnitzer Anfang des Jahrtausends kennen, als dieser mithalf, den Smart auf die Straße zu bringen. Rößler passte ins Team, und damit war das Fundament für die Weißenburger Nie­derlassung gelegt. Erst mal als One-Man-Show mit Büro im Dachgeschoss von Rößlers Wohnhaus. Die Region mit ihren vielen Automobilzulieferern und die Nähe zu Herstellern wie Audi oder BMW war ein Vorteil. Doch letztlich sind die Mitarbeiter ohnehin viel in der Welt unterwegs – immer da, wo es gerade ein Problem gibt. Deshalb setzt Peter Schnitzer auf wohnortnahe Niederlassungen, damit die Mitarbeiter zumindest an den Bürotagen und an den Wochenenden Zeit für ihre Familien haben.

Im Lauf der Jahre wuchs Rößlers Team, und inzwischen sind in Weißenburg vier Leute für die Schnitzer Group tätig. Zu viel für das Büro im Wohnhaus. Man machte sich auf die Suche nach repräsentativen Räumen, und seit einem Jahr residiert man im Industriegebiet, wo sich das Unternehmen nun auch ein wenig aus dem Schatten traut. Kürzlich lud Schnitzer zum After-Work-Cocktail mit einem Referenten der Daimler AG, der über Kulturveränderungen in Großkonzernen sprach.

„Da wird sich in der Branche viel umdrehen“, ist Peter Schnitzer überzeugt. Bald werde der Käufer eines Premiumfahrzeugs im Sitzbezug seine Initialen eingearbeitet finden, nennt er als ein Beispiel zunehmender Individualisierung in der Produktion. Frühzeitig über solche Entwicklungen Bescheid zu wissen, ist für eine externe Beraterfirma natürlich existenziell.

Die pfiffige Lösung

Gegründet hat Peter Schnitzer das Unternehmen 1991 in Bietigheim. Er war bei Opel im Bereich Logistik tätig. Ein neues Auto war in Planung, und schon früh war klar: „Es gibt so zehn Teile, die sie nicht unter Kontrolle kriegen.“ Eine Nacht drüber geschlafen, und der Entschluss, sich als Entwickler-Feuerwehr einzuschalten, stand fest. So erzählt Peter Schnitzer das heute. Fünf Jahre war er der Mann, der immer dann zum Einsatz kam, wenn bei Opel irgendwas nicht rundlief. Dass er selbst kein Ingenieur, Techniker oder ausgebuffter Spritzgussexperte ist, stand dem nicht im Weg. „Es erfordert vor allem analytisches Denken, um den Prozess aufzusplitten und in den Griff zu bekommen.“

Der Smart ist hier ein gutes Beispiel, über das der Unternehmer mit dem entsprechenden zeitlichen Abstand nun auch offen plaudern darf. Der kompakte Zweisitzer war voll gepackt mit innovativen Denkansätzen. Um für den Lüftungsschacht nicht mehrere Teile verkleben und umständlich einbauen zu müssen, wurde der Kanal für Frischluft und Heizung einfach in die Armaturenabdeckung integriert und zusammen mit dieser in einem Stück gegossen.

Peter Schnitzer bekommt einen verträumten Blick, wenn er solche Details erzählt. Das Beispiel verdeutlicht recht gut, was die Spezialisten aus der Dettenheimer Straße und ihre Kollegen tun. Sie betrachten das gesamte Vorhaben von außen, dröseln es in einzelne Pakete auf und finden Lösungsansätze, die die Entwickler selbst übersehen haben. Zu nah dran.

Wissen über Kunststoffe und Bearbeitungsverfahren sowie Praxisbezug sind dabei von Vorteil, aber letztlich auch nur Puzzleteile des Erfolgs. „40 Prozent ist Technik, der Rest Diplomatie und Sozialverhalten“, sagt Klaus Rößler. Nicht selten sind die Verhandlungen zwischen den Beteiligten so festgefahren, dass es eines objektiven Experten mit kühlem Blick und klarer Sprache braucht, um gemeinsam die Lösung zu finden.

In Zeiten der Globalisierung geht es dabei auch um Mentalitäten. Ein Chinese will anders angesprochen werden als ein Europäer oder ein Mexikaner. Hier kommt der Schnitzer Group die internationale Bandbreite zugute. Denn Weißenburg findet sich in einer illustren Runde internationaler Standorte, beginnend am Hauptsitz in Wangen im Allgäu und gefolgt von Kornwestheim bei Stuttgart, Zürich (Schweiz), Turin (Italien), Shanghai (China), Marinha Grande (Portugal) und Charlotte (USA). In Deutschland erwirtschaftet das Unternehmen mit 38 Mitarbeitern vier Millionen Euro Umsatz. Weltweit sind es 50 Beschäftigte.

Ist das Problem gelöst und die Serienproduktion kann anlaufen, werden Peter Schnitzer, Klaus Rößler und ihre Kollegen nicht mehr gebraucht. „Wenn das Auto dann ein Jahr später auf den Markt kommt, redet keiner mehr davon, was wir da gemacht ha­ben.“ Auch das erklärt, warum keiner, der nicht in der Automobilbranche arbeitet, die Schnitzer Group kennt.

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