Geschwisterliebe?

9.4.2016, 10:00 Uhr
Geschwisterliebe?

© Illus: B. Hava

Björn-Hendrik Otte (18), großer Bruder: Erst vor kurzem sagte eine Freundin zu mir, es müsse toll sein, einen großen Bruder zu haben. Ich hoffe, meine Schwester kann das bestätigen. Ich bin gerne der Ältere. So war und bin ich überall zuerst dran: die erste Tanzstunde, das Abi, den Führerschein – alles hatte ich drei Jahre früher als meine kleine Schwester.

Bis es dann bei ihr ernst wird, weiß sie von mir schon, welche Lehrer blöd sind oder was im Abitur gefragt wird. Als großer Bruder bin ich sozusagen ihr Vortester. So kommt es, dass ich sämtliche Schulaufgaben von der 5. bis zur 12. Klasse kopiert und abgeheftet habe. Wenn meine Schwester dann soweit ist, hat sie es leichter.

Ich bin auch froh, dass ich keinen kleinen Bruder bekommen habe. Ich bin da – zugegebenermaßen – doch sehr klischeehaft. Ein großer Bruder und eine kleine Schwester, das passt so schön in meine Vorstellung von Familie. Und zweitens finde ich, kann ein großer Bruder viel besser auf seine kleine Schwester aufpassen und sie verteidigen. Zum Beispiel gegen aufdringliche Jungs. Da kommt dann der Beschützerinstinkt raus, den wohl jeder große Bruder gegenüber einer kleinen Schwester hat.

Natürlich gibt es auch mal Streit. Eine Geschichte hält mir meine Schwester heute noch vor: Früher habe ich ihr meinen ganzen Krims-Kram gegeben. Zuvor hatte ich sie davon überzeugt, wie sinnvoll es wäre, dieses oder jenes zu behalten. Wenn sie heute zu mir sagt, ich hätte ihr Zimmer als Müllhalde benutzt, gebe ich ihr leider recht. Aber heute können wir darüber herzlich lachen.

 

Geschwisterliebe?

Elisabeth Adam (17), eine unter vielen: An manchen Tagen beneide ich die Kinder, die keine Geschwister haben. Die Freunde, deren Eltern immer Zeit für sie haben, sie mitten in der Nacht von Partys abholen und deren Urlaube und Aktivitäten von den Eltern nur auf sie abgestimmt werden – anstatt an dem Interessenkonflikt von fünf Jungen und Mädchen zu scheitern. So ist das bei uns.

Meine Familie kann ganz schön chaotisch sein. Ich bin als Zweitälteste mit einer großen und einer kleinen Schwester und zwei kleinen Brüdern mittendrin. Da kommt es schon mal zu lautstarken Auseinandersetzungen darüber, wer die Hausarbeit erledigen soll oder welcher Film angeschaut wird, und jeder noch so banalen Entscheidung geht eine stundenlange Diskussion voraus.

Wie gesagt, an manchen Tagen nerven mich meine Geschwister. Aber an den meisten Tagen ist es wunderbar, eine so große Familie zu haben. Meine Schwestern sind für mich gleichzeitig so was wie meine besten Freundinnen. Und es wird nie langweilig, solange sie da sind. Auch rein emotionslos betrachtet profitiert man von großen und kleinen Geschwistern, weil man sich zum Beispiel in Sachen Schule gegenseitig helfen kann. Und man lernt früh, gegenüber seinen Geschwistern Verantwortung zu übernehmen und selbstständig Dinge erledigt, weil man nicht so verhätschelt wird wie viele Einzelkinder.

Das heißt, auch wenn unsere Mutter oft damit zu kämpfen hat, all unsere verschiedenen Forderungen unter einen Hut zu bringen, halten wir fünf doch ganz fest zusammen – und das hoffentlich noch unser ganzes Leben lang!

 

Julia Ahlfeld (16) hat ihren Bruder gefragt, wie es ist, der kleinere zu sein: Manchmal ist es gut eine große Schwester zu haben, die einem beim Schreiben von Liebesbriefen helfen kann oder bei schwierigem Stoff in der Schule. Eine Schwester kann die Vokabeln für Fremdsprachen abfragen, die sie selbst lernt. Oder Hilfestellungen bei Hausaufgaben geben, durch die sie sich selbst schon quälen musste.

An einem langweiligen Samstagnachmittag ist sie diejenige, mit der man stundenlang Hörbücher gehört hat oder riesige Lego-Wohnlandschaften baute. Aber natürlich gibt es auch mal Streit. Denn es ist nicht immer einfach, „der Kleine“ zu sein, wenn die große Schwester versucht, einen herumzukommandieren. Die Großen wissen genau, wie man den anderen am besten provoziert. Sich in so einer Situation zu wehren, ist nicht leicht!

Dennoch ist es praktisch, der Jüngere zu sein, denn Eltern lassen einem öfter mal etwas durchgehen, weil man eben so süß und klein ist. Außerdem bekommt man von den Großen mit, wie alles läuft. Die große Schwester ist in manchen Dingen auch ein Vorbild: Man lernt neue Sachen und möchte so weit sein wie sie.

Und man strengt sich besonders an in der Schule, um genauso viel Lob von den Eltern zu bekommen. Es ist gut, eine große Schwester zu haben, auch wenn man sich streitet: Mit ihr kann man immer reden, ob über Stress mit den Eltern oder Mädchen!

 

Linda Ringel (22), Zwillingsschwester: Immer wenn Fremde herausfinden, dass meine Schwester und ich Zwillinge sind, können wir eine fast identische Reaktion beobachten: Das Gegenüber reißt die Augen auf, schaut verwirrt und sagt dann etwas wie „Was? Wirklich? “.

Zugegeben, mit ihren blonden Haaren und blauen Augen sieht meine Zwillingsschwester mir, dunkle Haare und dunkle Augen, nicht sehr ähnlich. Zwillinge sind wir aber trotzdem. Die allgemeine Vorstellung von Zwillingen ist wohl immer noch eine Art Doppeltes Lottchen, bei dem ein Zwilling dem anderen aufs Haar gleicht. Es verwirrt, wenn man nicht in dieses Schema passt.

Nachdem die Leute dann verstanden haben, dass wir mehr als „nur“ Schwestern sind, kommt die nächste Frage: „Wie ist es denn so, eine Zwillingsschwester zu haben?“ Für mich ist das eine komische Frage, auf die ich nicht genau weiß, wie ich antworten soll – denn wie ist es denn, keine Zwillingsschwester zu haben? Ich kann mir ein Leben als Nicht-Zwilling nicht vorstellen.

Geschwisterliebe?

Ich würde also antworten: Ein Leben als Zwilling ist toll, denn man ist niemals allein. Problematisch ist es nur, wenn andere Leute denken, dass man als Zwilling nicht nur nie alleine ist, sondern nicht alleine sein kann. Oft wurden meine Schwester und ich schon als „die Zwillinge“ angesprochen, Infos über die eine einfach auf die andere übertragen oder angenommen, dass wir alles gemeinsam machen. Ja, wir sind Zwillinge – aber trotzdem ist jede von uns eine eigene Person.

 

Anastasia Stark (17), Einzelkind: „Einzelkinder sind verwöhnt!“ – ein typisches Vorurteil gegenüber Menschen ohne Geschwister. Und es stimmt, denn so kann man selbst entscheiden, mit welchen Leuten man seine Freizeit verbringt. Das ist meine Meinung. Und die zählt für mich, denn ich halte es glücklich ohne Bruder oder Schwester aus.

Natürlich habe ich mir schon das ein oder andere Mal einen genetischen Komplizen gewünscht. Aber wenn ich darüber nachdenke, bin ich mit meinen sozialen Kontakten vollkommen zufrieden: Für vertraute Gespräche habe ich sehr gute Freunde, zum Spaßhaben nette Bekannte und zum Streiten Leute, die ich nicht leiden kann.

Geschwisterliebe?

Abgesehen davon kann ich mir gar nicht vorstellen, was für ein Mensch so ein Geschwisterchen wäre: Würde meine Schwester mir ähnlich sein? Oder wäre mein Bruder die Miniausgabe meines Vaters? Die pädagogische Einzelkinddiskussion finde ich seltsam. Es gibt kein typisches Einzelkind, genauso wenig, wie es ein klassisches Geschwisterchen gibt.

Manche Menschen sind schüchtern, andere selbstbewusst, manche eingebildet und andere unkompliziert. Warum sollte das bei Einzelkindern anders sein, nur weil sie ihr Stockbett nicht mit einem zweiten Kind teilen? Ach so, dadurch werden sie nicht mit Konfliktsituationen konfrontiert. Na wer das behauptet, der hat im Kindergarten wohl noch nie um das Bauklötzchenset gekämpft!

 

Vanessa Druse (24), große Schwester: Lieblingsmensch – das ist wohl das beste Wort, um zu beschreiben, was meine kleine Schwester für mich ist. Seit 20 Jahren sind wir unzertrennlich. Schon damals, als sie erst ein paar Tage alt war, war sie – so winzig wie sie war – das Größte für mich. Von Anfang an habe ich sie in mein Herz geschlossen und mich um sie gekümmert. Wir bringen uns zum Lachen, sind Seelentröster und passen aufeinander auf – immer.

Natürlich haben wir uns als Kinder öfter gestritten. Hauptsächlich ging es darum, wer welche Puppe haben darf. Manchmal fliegen bei uns heute noch die Fetzen. Meistens dann, wenn die eine die andere schon am Morgen vollquatscht, obwohl man doch gerade erst aus dem Bett gekrochen ist.

Bei meiner Schwester kann ich sein, wie ich bin. Wir verstehen uns ohne Worte. Wenn ich nicht mehr weiter weiß, frage ich sie um Rat. Wenn es sein muss, tritt sie mir auch mal in den Hintern und umgekehrt. Das Leben hat sie zu meiner Schwester gemacht. Wenn nicht, wäre sie sicher meine beste Freundin geworden.

 

Alicia Göpner (22), große Schwester: Ich lege viel Wert auf Unabhängigkeit. Soll heißen, für mich war es nie schwierig, etwas, was mir Spaß bereitet, alleine zu machen. Das Problem? Das ging nicht immer. Denn schon im Kindesalter gab es eine Person, die sich bei solchen Aktionen an meine Hand geklammert hat: meine vier Jahre jüngere Schwester.

„Nein, nein“, korrigiert mich meine Mama, als ich ihr erzähle, dass ich diesen Artikel schreibe. „So war das gar nicht.“ Sie habe sich sehr viel Mühe gegeben, dass ich nie das Gefühl hatte, mit meiner kleinen Schwester festzusitzen. Sie hat nie gezögert, mich zu Freundinnen zu fahren. Aber trotzdem hat sich der Gedanke bei mir eingenistet: Ich wollte etwas anderes machen, musste dann aber mit meiner Schwester Schule spielen.

Und das, obwohl Lea eine sehr dankbare Mitspielerin war: Beim gespielten Casting für „Deutschland sucht den Superstar“ hat sie brav meine Stimme nach dem Vorsingen gelobt – und zwar genauso, wie ich es ihr zuvor diktiert hatte. Auch als ich älter wurde, gefiel mir die Rolle der großen Schwester nicht besser: Manchmal überfällt einen die Mami-Perspektive. Man möchte verhindern, dass die Schwester die gleichen Fehler wie man selbst macht.

Und nicht nur das. Als älterer Geschwisterteil ist man für seine Eltern gewissermaßen das „Erziehungsexperiment“. Bei der kleinen Schwester kann es sein, dass die gleichen Regeln nicht mehr so ernst genommen werden.

Als große Schwester ist man lebendes Vorbild, die Kleinere darf sich dann die Sachen kopieren, die sie gut findet, und sonst eine 180-Grad-Kehrtwende vollziehen. Tja, und was bleibt? Heute bin ich froh, dass ich eine kleine Schwester habe. Sie macht mich auf neue Trends aufmerksam – und hat einen Schlafplatz für mich in Berlin. Dort studiert sie mittlerweile.

 

Nina Dworschak (21), Einzelkind: Jedes Kind wünscht sich das, was es noch nicht hat. Bei mir war es eine Schwester oder ein Bruder. Doch dieser Wunsch blieb unerfüllt. Eine große Schwester, die mir ihre Klamotten weitergibt, ein großer Bruder, der mich vor allem Bösen beschützt oder ein kleines Geschwisterchen, mit dem ich spielen kann – Hauptsache noch ein Kind im Haus.

Als Einzelkind war es für mich total langweilig zu Hause. Ich habe mich immer geweigert, aus dem Kindergarten abgeholt zu werden, schließlich waren dort so viele andere Kinder. Aber auch später hätte ich oftmals gern einen Verbündeten gegen meine Eltern gehabt. Jemanden der mir hilft, Strafen abzuwenden oder bei Familienfeiern sämtliche Verwandte abzuknutschen.

Geschwisterliebe?

Außerdem eilt einem als Einzelkind ein gewisser Ruf nach: egoistisch, keine Kompromissbereitschaft, verwöhnt . . . Aber was soll man dagegen tun? Man lernt es nicht anders. Irgendwann hab ich angefangen, mir meine Geschwister selbst auszusuchen. Statt Schwester oder Bruder habe ich beste Freunde. Trotzdem kann man das nicht mit einer echten Schwester oder einem Bruder vergleichen, Freunde können kommen und gehen, die Blutsverwandtschaft bleibt.

 

Lena Prytula (15), sehr große Schwester: Ich bin 15, mein Bruder ist 3. Ich wollte immer ein kleines Geschwisterchen, doch ich wusste nicht, was mich alles erwarten würde, als mein Bruder auf die Welt kam. Die ersten paar Monate habe ich meinen Bruder kaum wahrgenommen. Er hat die ganze Zeit geschlafen!

Mittlerweile ist das anders. Ich bin mir nur noch nicht sicher, ob mir das gefällt oder nicht. Es ist so lustig, ihm zuzuhören, wenn er neue Wörter oder Zahlen lernt. Aber manchmal hat man keine Zeit, weil man was für die Schule lernen muss oder sich mit Freunden treffen will.

Das gefällt meinem Bruder nicht. Wenn er nicht die ungeteilte Aufmerksamkeit bekommt, versucht er alles, um diese zu erlangen – er hat sogar mein Handy ins Klo geworfen. Aber kann man das einem Dreijährigen übelnehmen? Nein.

 

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