Philipp macht das Spiel für Blinde sichtbar

11.12.2015, 10:00 Uhr
Philipp macht das Spiel für Blinde sichtbar

© Klaus Lutz

Es ist Freitagabend im Fürther Stadion. Trotz einer Temperatur nahe des Gefrierpunkts haben sich die Ränge gut gefüllt. Die Spielvereinigung Greuther Fürth spielt gegen den 1. FC Kaiserslautern. Mittendrin ist wie immer: Philipp Lutz auf der Pressetribüne. Der 14-Jährige ist alle zwei Wochen im Stadion, bei jedem Heimspiel und oft auch bei den Auswärtsspielen.

Aber Philipp ist nicht nur ein sehr begeisterter Fürth-Fan, er ist Blindenkommentator. Ohne Pause spricht er in ein Mikrofon hinein, damit die blinden Zuschauer, oder besser: Zuhörer, auch ja nichts vom Spiel verpassen. Heute sind es sieben Zuhörer, meistens fünf bis zehn. Jeder von diesen hat ein Empfangsgerät mit Kopfhörern, ähnlich einem Walkie-Talkie.

So kriegen sie alles mit: Auf welcher Höhe sich der Ball befindet, wer das Tor geschossen hat, welcher Spieler sich nun wieder theatralisch auf den Rasen wirft. Aber Philipp analysiert das Spiel auch, erklärt, was die Spieler anders machen müssten, erkennt die Strategie der gegnerischen Mannschaft. Das hört sich so professionell an, dass man beim bloßen Zuhören kaum glaubt, es mit einem 14-Jährigen zu tun zu haben.

Aber Ahnung vom Fußball hat er eben. Seit er fünf Jahre alt ist, wurde er von seinen Eltern regelmäßig ins Stadion mitgenommen. Das Fansein hat er praktisch mit der Muttermilch aufgesogen. „Wenn ich heute nicht kommentieren würde, wäre ich jetzt hinten im Fanblock“, sagt Philipp und zeigt auf die grüne Menschenmasse, während seine Mutter das Mikrofon übernimmt. Die macht das schon seit drei Jahren, zusammen mit ihrem Mann, der schon fünf Jahre dabei ist.

Unterstützt werden sie von Christian Rupp, einem Redakteur bei der Zeitschrift Kicker. Vor eineinhalb Jahren durfte Philipp es zum ersten Mal ausprobieren, da war er gerade mal zwölf. Seitdem sind die vier ein eingespieltes Team. Mindestens zwei sind immer da, die sich in Fünf-Minuten-Einheiten abwechseln.

Philipp macht das Spiel für Blinde sichtbar

© Fotos: Sportfoto Zink

Jetzt ist Philipp wieder an der Reihe. Plötzlich spricht er etwas schneller und lauter in das Mikrofon. Mit seinem Körper geht er instinktiv nach hinten, damit das Jubeln des Publikums seine Stimme nicht überschallt. Fürth hat das zweite Tor geschossen, in der 34. Spielminute.

Dann in der Halbzeit geht es in den Presseraum, rein in die warme Stube mit Tee und Gebäck. Hier tauscht man sich schon freudig über den Spielstand aus, 2:0 für Fürth. Hastig schluckt Philipp zwei Stücke Apfelkuchen runter, bevor er sich wieder auf den Weg zur Tribüne begibt.

Bis zur 60. Spielminute schaut es so aus, als wäre das Spiel schon gewonnen. Doch dann hagelt es ein Tor nach dem anderen für die Gäste, in 23 Minuten bringen sie viermal das Runde ins Eckige. Philipp schimpft mit seiner Mannschaft, versucht, Erklärungen zu finden für diese Enttäuschung, hofft nun wenigstens auf ein Unentschieden. Doch vergebens.

Die Lauterner fahren mit einem Auswärtssieg nach Hause. Während die enttäuschten Fürther Fans aus dem Stadion ziehen, bringen die Kommentatoren ihre Mikros und Kopfhörer zurück. Philipps Kommentare waren offenbar sehr anschaulich, denn bei der Abgabestelle tummeln sich auch schon die blinden Fans und diskutieren heftig über das Spiel. Entscheidungen des Trainers werden kritisiert.

Viele fragen sich, was das jetzt für den Tabellenplatz und die Zukunft des Vereins bedeutet. Was Philipps Zukunft angeht, steht die noch ziemlich offen. Der Neuntklässler würde gerne auch weiterhin Sportberichterstattung leisten, später vielleicht auch als Journalist bei einer Zeitung. Aber egal was kommt, eins ist sicher: Beim nächsten Heimspiel kann man Philipp wie immer im Stadion antreffen. Entweder oben auf der Pressetribüne oder jubelnd im Fanblock.

Verwandte Themen


Keine Kommentare