WM-Kolumne: Geschichte schreiben nur die Gescheiterten

17.6.2018, 11:00 Uhr
Auch Marco van Basten, Weltfußballer 1992, war nie Weltmeister. Und trotzdem ist etwas aus ihm geworden.

© dpa Auch Marco van Basten, Weltfußballer 1992, war nie Weltmeister. Und trotzdem ist etwas aus ihm geworden.

Deutschland verlor einst 3:8 (gegen Ungarn), kam weiter und wurde Weltmeister (3:2 gegen Ungarn), und man muss bloß zwei Jahre zurückblicken, als Portugal 1:1 gegen Island, 0:0 gegen Österreich und 3:3 gegen Ungarn spielte, erstaunlicherweise nicht ausschied und am Ende die Europameisterschaft 2016 gewann.

Die Gruppenphase ist nichts als eine Art Vorspiel, das man je nach Temperament gestalten kann: lustvoll wie Spanier und Portugiesen, überrascht von der eigenen Kühnheit (die Russen), lässig-routiniert (Frankreich) oder verklemmt-gehemmt (Argentinien, Messi, 1:1 gegen - huh - Island). Mit dem Achtelfinale ist alles komplett vergessen – wie die drei Tore von Cristiano Ronaldo jetzt gegen Spanien, nur hübsche Randnotiz, falls Portugal nicht Weltmeister wird.

Oder kennt noch wer Oleg Salenko? Der schoss sogar fünf Tore in einem WM-Spiel, beim 6:1 gegen Kamerun, bis heute ist das Weltrekord, aber weil Salenko und seine Russen die Gruppenphase 1994 trotzdem nicht überstanden, taugt das bloß noch als Nerd-Wissen beim Kneipen-Fußballquiz. Per Selbstversuch lässt sich das sofort beweisen: Wer heute noch - ohne zu spicken - die drei Gruppenspiele der Deutschen auf dem Weg zum WM-Triumph 2014 aufzählen kann, käme da auch schon eine Runde weiter.


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Geschichte schreiben kann in der Gruppenphase bloß, wer als Weltmeister achtkantig scheitert, was ja ein bisschen Mode geworden ist (Frankreich 2002, Italien 2010, Spanien 2014). Aber so ein Schicksal droht ja weder Argentinien noch Portugal, und reduziert man die Vorspiele der beiden Superstars auf Zahlen, dann hat jetzt der grandiose Cristiano Ronaldo genauso einen Punkt wie der traurige Elfmeter-Fehlschütze Lionel Messi - und bleibt die Frage völlig offen, ob einer der beiden Außerirdischen, die sich seit exakt zehn Jahren als Weltfußballer des Jahres abwechseln, endlich auch Weltmeister wird.

Falls nein, befänden sie sich in prominenter Gesellschaft, Wahlsieger wie Marco van Basten, Roberto Baggio, George Weah oder Luis Figo waren das auch nie - Weltmeister, und trotzdem ist etwas aus ihnen geworden. George Weah ist seit fünf Monaten sogar Staatspräsident der Republik Liberia. Vermutlich hat er beim Fußball viel gelernt. Wahlen und Weltmeisterschaften haben eins gemeinsam: Entscheidend ist nicht, wie man reinkommt. Sondern, was am Ende rauskommt.

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