2. Mai 1970: Pfiffe auf dem Hauptmarkt
2.5.2020, 07:00 UhrAls Kreisvorsitzender Walter Ranzenberger den Bürgermeister Franz Haas, die Bundesgesundheitsministerin Käte Strobel, die Bundestagsabgeordneten Hans Batz (SPD) und Dr. Oscar Schneider (CSU) sowie den Präsidenten der Handwerkskammer, Hans Insenhüfer, begrüßte, stimmte ein Teil der Teilnehmer – vorwiegend aus dem Lager der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend stammend – ein Pfeifkonzert an. Es galt vorwiegend Bürgermeister Franz Haas, der als Polizeireferent in der Vergangenheit wiederholt die Einsätze der Beamten gegen demonstrierende Jugendliche geleitet hat, unter anderem, als es um die Verabschiedung der Notstandsgesetze ging.
Über Megaphone riefen die Linksradikalen: „Heute ist der 1. Mai, Haas wo bleibt die Polizei?“ Schon vorher hatten sie versucht, mit Parolen wie: „Mitbestimmung aufs Tablett, Unternehmer sind zu fett“ die Bundesbahnkapelle zu überstimmen. Bürgermeister Haas betrat sichtlich erregt das mit Fahnen und Blumen geschmückte Rednerpodium: „Diese jungen Leute, die hier krakeelen, scheinen nicht zu wissen, daß sie sich auf einer Gewerkschaftskundgebung befinden. Schämen Sie sich!“
Franz Haas führte an, daß er seit 50 Jahren der Gewerkschaft angehöre. „Hier muß ich mich von Leuten beleidigen lassen, von denen man nicht weiß, ob sie in 50 Jahren der Arbeitnehmerschaft noch die Treue halten.“ Der Hauptredner Fritz Strothmann, Mitglied des Vorstandes der IG Metall Frankfurt/Main, pflichtete ihm bei. „Diese Jugend, die sich so sehr auf Karl Marx beruft, könnte von Marx noch einiges lernen. Sie stimmt hier die Internationale an und kann nicht einmal den Text auswendig.“
„Unterdrückung“
Auftakt des Arbeitertages war nach langjähriger Pause ein Demonstrationszug gewesen, der sich vor der Müllverbrennungsanlage am Pferdemarkt formierte. Die Teilnehmer führten Transparente mit wie: „Gute Nachbarschaft mit der DDR – Für Gespräche DGB-FDGB“; „Schutz den älteren Arbeitnehmern.“ . Auch spanische und italienische Arbeiter erklärten sich mit ihren deutschen Kollegen solidarisch. Die Italiener forderten: „Wir wollen Arbeit in unserer Heimat!“
Kreisvorsitzender Walter Ranzenberger betonte, die Arbeitnehmer ließen sich nicht mit Teillösungen zufriedenstellen. „Solange die Unternehmer den Arbeitnehmern die volle Unterstützung verweigern, herrscht Unterdrückung.“ Zum Beginn des neuen Jahrzehntes stelle der DGB seine Kundgebungen zum 1. Mai unter das Schlagwort: „Wir sichern den Fortschritt.“
Hauptredner Fritz Strothmann hielt, während ein Graupelschauer niederging und viele Gewerkschaftler ein Dach suchten, ein politisches Referat, in dem die Interessen der Arbeitnehmer eigentlich nur in dem Satz anklangen: „Der 1. Mai ist unser Nationalfeiertag, an dem wir uns nicht mit Unternehmern an einen Tisch setzen, um Brüderschaft zu trinken.“ Ansonsten forderte der Redner die Anerkennung der Deutschen Demokratischen Republik, die Beendigung des Krieges in Vietnam und Kambodscha sowie den Abbau der Autoritäten in den Betrieben.