4. Mai 1969: Blow Up mit Blues

Hendrik Bebber

4.5.2019, 08:12 Uhr
4. Mai 1969: Blow Up mit Blues

© Distler

B. B. King hat dieses Feeling und läßt es jeden hören: "I‘ve got the Blues every day." Aus der Zeit, da er als Landarbeiter im Mississippi-Delta die Misere erfuhr, die es bedeutet, dort Schwarzer zu sein, hat er die archaische Blues-Substanz in sich aufgesogen. Der ländliche Blues ist von dem Big-City-Blues von den Konzertpodien verdrängt worden. King interpretiert ihn vor dem Hintergrund des bohrenden und brüllenden Detroit-Sounds. Die Verschmelzung ist perfekt.

Schneidende Riffs des Trompeters und des Tenorsaxophonisten lassen die Pointen seiner Aussagen noch schärfer herauskommen. Die kochende Orgel schafft unerträgliche Spannungszustände, in die dann die Stimme des Sängers hineinbricht.

Und doch bleiben Gitarre und Stimme Kings das beherrschende Instrument der Szene. Sie bilden die Einheit von Form und Aussage im Blues. Die Gitarre ist der Gesprächspartner, sie fragt und antwortet, sie inspiriert und liefert die Entwürfe. Der Dialog spiegelt sich im Gesicht des Sängers. Wenn er schweigt, setzt die Gitarre das Gespräch mit den Zuhörern fort.

Welche Wahrheit schreit, stammelt und flüstert B. B. King nun ins Publikum? Er erzählt von Situationen, in denen man den Blues hat. Augenblicke, die viele seiner Zuhörer schon selber erfahren haben und die er nun für sie transparent macht. In der dreiteiligen Form der Blues-Lyrik mit der zweimaligen Frage und der darangesetzten Antwort wird eine Geschlossenheit und Dichte der Aussage geschaffen, die Jean Cocteau als einzig echte Volksdichtung unseres Jahrhunderts bezeichnet.

King singt von dem Bett, in dem man morgens aufwacht und den Platz daneben leer findet. Er erzählt, wie man in seinen Taschen nach einer Münze sucht, um sich etwas zu essen zu kaufen und vergißt, daß man gestern alles verspielt hat: kleine menschliche Tragödien ohne jede Sentimentalität, mit einer Mischung von Tristesse und trotzdem nacherlebt. Daß man ihn versteht, beweisen die ekstatischen Zwischenrufe und die fast familiäre Begeisterung seiner Zuhörer.

1 Kommentar