"Militanter Dezember": Linksextreme brüsten sich mit Angriffsserie im Großraum Nürnberg
20.1.2021, 06:29 UhrDas Großkapital? Nein, das ist sie nicht, wirklich nicht. Die Ermüdung, die Resignation, die Hilflosigkeit ist der Immobilienmaklerin deutlich anzuhören. Zehn Menschen arbeiten bei dem Vermittler möblierter Apartments in Nürnberg. Ein kleines Büro am Rand von Gostenhof, ein paar Autos für Kundentermine, typisch Mittelstand. Die Eckdaten eines Investors, der ganze Stadtteile gentrifiziert, lesen sich anders. "Das sind wir auch nicht", sagt die Chefin. Ins Visier von Linksradikalen geriet sie trotzdem.
Immer wieder wird das Büro beschmiert, Autos ebenso, zuletzt ramponierten Unbekannte einen Dienstwagen vor der Privatwohnung einer Mitarbeiterin. Die Seitentüren beschmierten die Täter mit roter Farbe, die Reifen stachen sie auf. "Tieferlegen" nennen die selbsternannten Aktivisten das. "Es ist ein Grad erreicht, wo wir nicht mehr damit zurechtkommen", sagt die Unternehmerin, die seit über 30 Jahren in der Immobilienbranche tätig ist. Sie will anonym bleiben, aus Sorge vor weiteren Übergriffen. "Wir haben Angst und wissen uns nicht mehr zu helfen." Besonders die Ungewissheit nagt an der Frau und ihren Mitarbeitern. Wo enden die Übergriffe - bei Sachbeschädigung? Oder gibt es bald auch körperliche Attacken?
Linksextreme rufen den "militanten Dezember" aus
Elf Attacken gab es im Großraum Nürnberg allein im Dezember. Die Täter beschmierten Büros von Immobilienfirmen in Nürnberg, nahmen ein AfD-Büro ins Visier, auch Kriegerdenkmale wurden beschmiert. Kurz nach Weihnachten tauchten Parolen an der Geschäftsstelle der Erlanger CSU und dem Abgeordnetenbüro von Innenminister Joachim Herrmann auf. "Die CSU angreifen", wird es später in einer Erklärung zur Tat im Internet heißen, "die Festung Europa angreifen". Den Linken geht es darum, die Ordnung zu stürzen, den Kapitalismus ins Wanken zu bringen.
Die Linksradikalen haben den "militanten Dezember" ausgerufen. Auf dem Portal Indymedia bekennen sie sich zu den elf Attacken. Mit Plakaten in Nürnberg brüsten sich die Täter mit den Aktionen, eine Art Chronik der Gewalt, illustriert mit Flammen und einer martialischen Botschaft. "Schnappt euch vertrauenswürdige Freund:innen, besorgt euch Dosen, Hämmer oder Benzin", heißt es auf Indymedia. "Gute Planung, keine Handys und wenig Spuren sind das A und O." Die Botschaft: Es soll auch 2021 weitergehen mit den Angriffen. Wer der nächste ist, lässt sich nur erahnen.
Polizei spricht von Serie
Auch Nachfrage der Nürnberger Nachrichten bestätigt die Polizei, dass es sich um eine Serie handelt. "Alle Straftaten sind dem Phänomenbereich der linksextremistischen politisch motivierten Kriminalität zuzuordnen", sagt Michael Petzold, Sprecher des Präsidiums Mittelfranken. Der Staatsschutz und die Kripo ermitteln, doch: Noch habe man keinen einzigen Tatverdächtigen gefasst.
Dass Maßnahmen wie die nächtliche Ausgangsbeschränkungen und die Einschränkung von Grundrechten in der linken Szene für Unmut sorgen, das spüre man, sagt Petzold. Aber konkrete koordinierte Aktionen gebe es fernab von Protesten gegen "Querdenken" nicht. Auch das bayerische Innenministerium bestätigt das. Man registriere eine "wachsende Radikalisierung" unter Linksextremen, sagt ein Sprecher des Ressorts von Joachim Herrmann. Attacken wie die im Großraum Nürnberg würden sich aber "grundsätzlich nicht gegen die Corona-Maßnahmen, sondern beispielsweise gegen den Staat als solches, die CSU oder die sogenannten Querdenker" richten.
Masken halfen den Tätern wohl
Die Corona-Maßnahmen halfen den Angreifen der Serie im Dezember offenbar sogar. Auf Indymedia brüsten sie sich damit, die "Masken" als Tarnung genutzt zu haben. Die Aktionen hätten "bei Tageslicht" und im "vorweihnachtlichen Trubel" stattgefunden.
Gostenhof gilt als Hochburg der Linken, der Jamnitzerplatz als Symbol für ihren selbst ausgerufenen Kampf. Seit Monaten kommt es dort zu Protesten. in dem Bekennerschreiben auf Indymedia fordern die Autoren "Freiheit für die zwei Verurteilten vom Jamnitzer". Zwei Männer sollen bei einer Demo im Juni 2019 Polizisten bedroht haben. Damals rückte das Unterstützungskommando der Polizei an, es sei zu bedrohlichen Szenen gekommen, sagen Augenzeugen.
Das Präsidium Mittelfranken sprach von einem linken Mob, Anwohner kritisierten den "Kontrollverlust", fürchten, ihr Viertel könne zu einer "No-Go-Area" werden. "Wir wurden eingekreist, wir wurden die ganze Zeit angebrüllt", wird einer der Polizisten, die in jener Nacht im Einsatz waren, später vor Gericht sagen. Er spricht von einer Hetzjagd. "Es war klar: Wenn wir die Kontrolle fortsetzen, fliegen Steine und Flaschen."
Stadt will Interessenausgleich in Gostenhof
Die Stadt hat das Thema zur Chefsache erklärt. Ein Runder Tisch, an dem auch Oberbürgermeister Marcus König teilnimmt, soll den Frieden rund um den Jamnitzerplatz herstellen. "Die Aktivitäten sind vielfältig und (...) darauf ausgerichtet, den wichtigen Interessenausgleich voranzutreiben", heißt es aus dem Rathaus. Für rund eineinhalb Millionen Euro soll etwa der Platz umgestaltet werden - Geld gegen den drohenden Klassenkampf. Der Stadt sei ein friedliches Miteinander im Viertel "ein wichtiges Anliegen". Deshalb spreche man mit Anwohnern, der Polizei, aber auch mit Vertretern der "Schwarzen Katze", einer Art Stadtteilladen, in dem sich regelmäßig das Antifaschistische Aktionsbündnis trifft. Die Pandemie habe die Gespräche etwas ausgebremst, doch der Dialog laufe, sagt die Stadt.
Die Angst ist spürbar, trotz der Schlichtungsversuche. Auch Vonovia, der größte Immobilienbesitzer Deutschlands, geriet in Nürnberg ins Visier der Linken. Mehrere Autos sollen teils schwer beschädigt worden sein. Bestätigen will das eine Sprecherin auf Nachfrage nicht, zumindest nicht "in diesem Umfang", wie sie sagt. "Wir beteiligen uns an der gesellschaftlichen Diskussion zum Thema Wohnen und sprechen mit allen Beteiligten, um gemeinsam Antworten auf die offenen Fragen in der Debatte zu finden", heißt es aus dem Konzern. "Gewalt ist aus unserer Sicht keine Antwort und hilft niemandem weiter."
"Wohnraum darf kein Spekulationsobjekt sein"
Auch für die politische Linke ist der Konzern, dem über 400.000 Immobilien gehören, ein Symbol für die gesellschaftliche Spaltung. "Vonovia nutzt schamlos aus, dass wir alle ein Dach über dem Kopf brauchen", sagte etwa der Linken-Vorsitzende Bernd Riexinger. "Wohnraum darf kein Spekulationsobjekt sein."
Die Mieten - auch in Nürnberg - steigen, trotz Corona. Womöglich ist die Pandemie ein Treiber der sozialen Spaltung, die Krise macht Arme noch ärmer, warnen Experten. Doch wie Angriffe auf Büros und Autos helfen sollen, diese Antworten bleiben die Täter schuldig. Medien, erklären sie in dem Bekennerschreiben auf Indymedia, entpolitisieren die Angriffe, sprechen von Vandalismus statt vermeintlich ehrenwertem zivilem Ungehorsam, von blinder Zerstörungswut statt konstruktivem Aktionismus. Mehrere Anfragen unserer Zeitung an linke Gruppierungen in Nürnberg blieben unbeantwortet. Über die Taten, die helfen sollen, Ungerechtigkeit zu beenden, will niemand sprechen.
"Ich kann die Verantwortung nicht mehr tragen"
Warum bislang noch keine Verdächtigen ermittelt werden konnten? Ermittlungen im politischen Spektrum sind immer schwierig, sagen Experten. Portale wie Indymedia, auf dem das Bekennerschreiben veröffentlicht wurde, seien eine "Informationsquelle", sagt Petzold vom Präsidium Mittelfranken. "Die Seiten selbst liefern in der Regel jedoch keine Ansatzpunkte für die Ermittlung eines Tatverdächtigen." Die rechtlichen Hürden für die digitale Nachverfolgung seien hoch, Sachbeschädigung reiche da nicht aus. Dem Polizeistaat, den Linke gerne beschwören, sind die Hände gebunden. "Zudem sind die Verfasser solcher Beiträge oft nicht die Täter, vieles läuft über Hörensagen."
Die Immobilienunternehmerin, deren Büro regelmäßig beschmiert wird, fühlt sich im Stich gelassen, von der Stadt, der Polizei, den Behörden. In ihrer Verzweiflung sei sie bereits selbst in die Schwarzen Katze, dem Szenetreffpunkt im Stadtteil Gostenhof, gegangen. "Mit dem Einsatzleiter der Polizei im Ohr, weil ich schon etwas Bammel hatte", sagt sie. Geholfen hat es nichts. "Da haben zwei Versprengte die Tür geöffnet, die mit all dem nichts zu tun haben wollen." Auf einen Brief, den sie dort abgab, habe sie nur eine Antwort bekommen: weitere Attacken.
"Es reicht", sagt die Maklerin. Auf den Kosten für den beschädigten Wagen bleibt sie sitzen. "Die Versicherung zahlt nur, wenn es abgefackelt worden wäre." Die Unternehmerin zieht einen Schlussstrich. Mitte des Jahres will sie das Büro des deutschlandweit tätigen Vermittlers aufgeben. "Ich bin jetzt fast 60. Ich kann die Verantwortung nicht mehr tragen."