Pflegekräfte wegen Corona am Limit: "Viele sind nach ihrer Schicht völlig platt"

André Ammer

Region und Bayern

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22.12.2020, 06:00 Uhr
Pflegekräfte wegen Corona am Limit:

© Bodo Schackow/dpa


Der Stationsleiter

Klaus Eichenmüller (62): Ich arbeite seit 1976 im Klinikum Nürnberg, im Intensivbereich seit 1988 und seit 2013 in der damals neu eröffneten Intensivstation 10 II. In dieser Zeit habe ich gewaltige technische Fortschritte und fachliche Entwicklung in der Intensivmedizin und in der Intensivpflege miterlebt. In meiner jetzigen Funktion bin ich unter anderem für Personalführung und -entwicklung, aber auch für die Koordinierung der Abläufe in Absprache mit dem ärztlichen Dienst zuständig. Im Normalfall arbeiten um die 110 Pflegekräfte auf unserer Station, aktuell sind es jedoch um die 150, 160. Dieses zusätzliche Personal ist zur Unterstützung aus anderen Abteilungen abgezogen worden. Wir haben in Nürnberg inzwischen etliche Operationssäle geschlossen und viele planbare Operationen verschoben, was natürlich wieder ganz andere Probleme aufwirft.

Aber das war notwendig, weil man auf einer Covid-19-Station ausschließlich Fachpflegepersonal einsetzen kann. Ein großer Teil der Patienten dort ist so schwerst krank – da muss jeder, der an diesen Betten arbeitet, ganz genau wissen, was er tut.

"Massive diffuse Krankheitsbilder"

Als Maximalversorger kriegen wir schwerst kranke Patienten aus dem gesamten Großraum, und in meinen 32 Berufsjahren in der Intensivpflege habe ich solche massiven Krankheitsbilder wie nun bei Covid-19-Patienten bislang allenfalls bei Schwerstbrandverletzten erlebt. Viele Corona-Opfer haben so massive diffuse Krankheitsbilder, das war vor dieser Pandemie unvorstellbar für mich. Viele Patienten sind bei ihrer Ankunft noch ansprechbar, doch innerhalb kürzester Zeit bekommen sie massive Atemnot und ebenso massive Ängste. Wir versuchen, diese Menschen möglichst nicht zu intubieren, also einen Beatmungsschlauch in die Luftröhre einzuführen, sondern sie per Maske zu beatmen. Denn inzwischen weiß man, dass Covid-19-Patienten deutlich bessere Überlebenschancen haben, wenn man es mit Maskenbeatmung hinkriegt. Ist aber ein Wahnsinnsaufwand, weil über eine Maske beatmete Patienten noch intensiver betreut werden müssen.

"Für die Bauchlagerung braucht man mindestens vier Mann"

Viele Covid-19-Patienten mit schwerem Krankheitsverlauf haben auch Vorerkrankungen, zum Beispiel massives Übergewicht. Wir hatten einen Patienten mit 250 Kilo, wir hatten drei gleichzeitig mit 170 Kilo, und wenn Sie sich dann eine Krankenschwester mit vielleicht 60 Kilo vorstellen, die diese Leute bewegen muss, können Sie sich vorstellen, was das für eine körperliche Belastung für unser Personal ist.

Solche Patienten muss man in Bauchlage drehen, weil dann der Gasaustausch besser ist. Anders kriegt man viele Corona-Opfer nicht mehr beatmet. Für diese Bauchlagerung braucht man in der Regel vier Mann, dass man das mit den ganzen Schläuchen hinkriegt, und bei solchen übergewichtigen Patienten benötigt man noch mal deutlich mehr Personal. Und die müssen dabei alle doppelte Schutzkleidung und FFP3-Masken tragen. Man kriegt also selber schlecht Luft, weil diese Schutzmasken nochmal deutlich dichter sind als FFP2-Masken, Das ist körperlich und auch psychisch extrem belastend.

Wir haben deshalb vor Beginn der zweiten Welle festgelegt, dass eine Pflegekraft nicht mehr als zwei Patienten betreut. Wenn man es wirklich optimal machen wollte, bräuchte man einen Personalschlüssel von 1 zu 1 oder 1 zu 1,5, aber diese Menge an Intensivpflegepersonal gibt es einfach nicht.

Zwei Schutzkittel übereinander

Wir arbeiten mit Schleusen, denn eine Station mit Covid-19-Patienten ist ja ein hoch infektiöser Bereich. Vor dem Einschleusen zieht eine Pflegekraft deshalb erst mal eine Atemschutzmaske und eine Schulter-Kopf-Haube an, weil diese Keime aufgrund der Aerosolbildung, zum Beispiel beim Absaugen, überall eindringen können.

Dann zieht man sich in der Regel zwei Schutzkittel und zwei Paar Handschuhe übereinander an. Wenn man dann auf der Station ist, kann man das äußere Paar Handschuhe wechseln und ist trotzdem noch geschützt. Dazu kommen OP-Schuhe, bei Tätigkeiten wie Absaugen noch eine Schutzbrille und ein transparenter Schutzschild, den man vors Gesicht klappen kann.

"Leute sind bis auf die Unterhose durchgeschwitzt"

Die Leute sind nach ein paar Stunden bis auf die Unterhose durchgeschwitzt. Wir haben zwei Personalduschen in der Nähe, da wird dann geduscht, und nach dem erneuten Anziehen von Schutzkleidung geht es wieder rein. Das ist echt heftig.
Wenn man eingeschleust ist, kann man ja auch nicht dauernd rein und raus. Deshalb braucht man auch noch Leute, die von außen die ganze Koordination übernehmen. Der Datenaustausch zwischen den Mitarbeitern erfolgt dabei über Tablet-PCs.
Seitdem die Pandemie uns erreicht hat, haben wir jeden Tag dazugelernt. Ich kenne kein anderes Krankheitsbild, das uns derart überrascht hat. Wir waren auf vieles vorbereitet, und dann kam es oft völlig anders.

"Mitarbeiter fühlen sich drinnen sicherer als draußen"

Angst vor einer Ansteckung haben unsere Pflegekräfte angesichts unseres aufwendigen und transparenten Hygienekonzepts jedoch nicht. Nach der ersten Welle haben wir alle unterstützenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter interviewt, und die haben durchwegs gesagt, dass sie sich bei uns sicherer gefühlt haben als draußen beim Einkaufen. Im Dienst hat sich auf unserer Station bisher auch kein einziger angesteckt.