28. März 1971: Getändel mit Geschmack
28.3.2021, 00:07 UhrImport von der Bayerischen Staatsoperette war denn auch das gesamte Konzept, das da als opulentes Suppé-Souper aufgetischt wurde: entschärfte Decameroneepisoden als munteres Liebesgetändel, aufgeputzt als fette Augenweide, als verschwenderisches italienisches Stil- und Kostümfestival. Der erste Szenenbeifall ging darum auf das Konto von Max Bignens. Sein Klein-Florenz, mit schneeweißen Kuppeln, Campanile, Türmchen, Treppen und Rundbögen aufgestaffelt bis zur Hinterbühne, wurde zum idealen Spielraum für verschwiegenes Geturtel und lauten Trubel.
Vor dem sich luftig und lustig aufschwingenden Schwarzweißpanorama ließ Sophie Schröck ihre Kostümparade als plastischen Farbfilm ablaufen. Der Kontrast zwischen neutraler Silhouette und bewegtem Figurenkunterbunt wurde zum kaum abnutzbaren ästhetischen Reizmittel.
Stilparodie (wie die als Renaissance-Footballspieler ausstaffierten Sbirren) und ironiesierende Farbregie der Gast-Kostümbildnerin gewannen der Vokabel „verschwenderische Ausstattung“ die Bedeutung optischer Regiehilfe ab. Denn mit überwiegend distanzierenden Regiemitteln rückte Kurt Pscherer Suppés Spätwerk zu Leibe. Der Gast im Nürnberger und Chef im Münchner Haus am Gärtnerplatz stilisierte den so wenig historischen „Boccaccio“ zur italienischen Spieloper hoch. Die verstohlene Freude am Operettentinneff, die er dabei immer wieder unter dem graziös drapierten Faltenwurf seines Inszienierungsmusters vorblitzen ließ, verhinderte zu weite Entfernung von der Werkbasis.
Die von Pscherer zugrunde gelegte Neufassung Kurt Nachmanns lag in der gleichen Richtung. Den von den Librettisten Zell-Genée gründlich verlegten Zugang zu Boccaccios frivoler Gesellschaftsenthüllung konnte sie zwar auch nicht eröffnen. Doch klärte die neue Version das Novellengestrick durch eine glockenspiel-umbimmelte Rahmenhandlung und durch Eliminierung einer der liebesfreudigen Florentinerinnen. Da die Charaktere trotzdem nur Commedia-dell'Arte-Typik hergaben, war die Drapierung alles. Mit genau überlegten Griffen in seine unerschöpfliche Gagkiste zeigte sich Pscherer als Verpackungsmeister. Parodierte Elemente aus Schauspiel und Oper rehabilitierten dabei Suppé als „Offenbach von Wien“. Der Münchner Inszenierungsgast ließ Koketterie Tonleitern rauf- und runterseufzen, setzte die Faßbinder als stupide Handwerkermannschaft in die selbstgezimmerte Bütt, formierte die empörten Ehemänner zur Schlachtordnung im Watschelgang.
Die vom Bühnenbildner mehrstöckig gelieferten Aus- und Einstiegsmöglichkeiten in die Szene wurden zu Angelpunkten einer lückenlosen Bewegungsregie, die auch da, wo sie um Operettenmätzchen nicht ganz herumkam, nicht die Form verlor.
Das Ballett wurde zum folgerichtigen Destilat des genauen szenischen Wirbels. Hildegard Krämers Truppe hatte nach einer akrobatisch-grotesken Zirkusnummer und der stimmungsseligen Rosenimpression im präzis exerzierten Zeremoniell des Schachballetts den Höhepunkt der Stilisierung erreicht.
Auf erhöhtem Niveau
Nürnbergs Ensemble bestätigte unter Münchner Führung, daß es bei ihm eben nur an der Führung liegt. Zwar verwunderten einige Chargendegradierungen – Frieder Stricker durfte wieder nur ein paar seiner hübschen Tenortöne hören lassen, Jonny Born gar nur drei Sätze reden –, doch sonst spielte und sang man auf durchweg erhöhtem Niveau.
Der von Barry Hanner trotz nicht ganz deckender Besetzung zum Edel-Kavaliersbariton aufgebaute Boccaccio drehte mit Casanovacharme am Liebeskarussell, in dem drei Frauenstimmen zwitscherten: die blitzsaubere von Sonja Knittel, die silbrige, manchmal etwas angestrengt klingende von Marita Krâl und die verläßliche von Hella Ruttkowsky.
Als karikaturferne Typen kreisten die Mitspieler und die, denen mitgespielt wird: der durnmfrohe rosa Geck von Kurt Huemer, die Pantalonefiguren des tenorprotzenden Robert Licha und des beweglichen Albert Vogier, der aus der Komikerschablone befreite Höfling von Rudolf Rock und der leutselige Fürst von Karl Mikorey, der erste und letzte Lacher über Boccaccio.
Daß das Programmheft mit dem Klischeetitel „Operette“ unrecht hat, machte Edgar Schmidt-Bredow hörbar. Er polierte den fast südländischen Schmelz von Suppés Partitur auf, trieb mit lockerer Hand die dramatischen Akzente an und ließ den Boccacciomarsch auf Zehenspitzen daherkommen.
Die Dürer-Jahr-Überforderung des Philharmonischen Orchesters brachte die Nürnberger Symphoniker unter seinen präzisen Taktstock. Bis auf einige Streicheruneinigkeiten und ein unausgeschlafenes Horn zu Anfang äußerte sich dies aber nur als durchsichtiger, differenzierter Klang. Womit Pscherers heftig umjubelte Nürnberger Gärtnerplatzdependance auch musikalisch im Lot war.
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