Kalenderblatt: Vor 50 Jahren
23. Mai 1971: Das Goldene Buch der Stadt beginnt mit Kaiser Wilhelm
23.5.2021, 07:00 UhrGoldene Bücher sind durchaus Ausdruck der Geschichte einer Stadt und sogar, wenn die Stadt ein bißchen größer ist, der Geschichte eines Volkes. Das Goldene Buch der Stadt Nürnberg offenbart die Historie weniger durch die Namen, die darin stehen, mehr schon durch die, die man nicht oder nicht mehr lesen kann.
Der erste, der sein wohlgeformtes Autogramm ins Nürnberger Buch malte, war Kaiser Wilhelm II., seligen Angedenkens. Es war am 2. September 1897. Und dann folgt Eintrag auf Eintrag, etwa bis ins Jahr 1918. Und dann kommt nichts mehr. Das Dürer-Jahr 1928 beispielsweise ist im Goldenen Buch von Nürnberg mit keinem Namen erwähnt.
Erst ab 1933 scheint wieder der eine oder andere politisch allerdings höchst unverfängliche Name auf.
Mag sein, daß die Stadt Nürnberg von 1918 bis 1933 so demokratisch war, daß sie das Führen eines Goldenen Buches für undemokratisch hielt und es gleich gar nicht mehr auflegte. Wahrscheinlicher scheint, daß die Machthaber nach 1933 alle die Seiten eliminierten, auf denen Persönlichkeiten unterschrieben hatten, die nicht in ihr Konzept paßten.
Und für die Zeit zwischen 1933 und 1945, da gibt es keinen Namen in jenem Buch, der an diese Zeit erinnern könnte. Der Adolf Hitler und wie sie alle hießen – wo sind sie geblieben? Kenner sagen, die Seiten wurden vorne herausgeschnitten und im Hinterteil des Buches versteckt. Sic transit gloria mundi.
Bleibt die Frage nach dem Wert eines Goldenen Buches. Nach 1948 lief natürlich alles wieder mehr oder weniger normal. Da sind wieder die deutschen Bundespräsidenten Heuss und Lübke und Könige und Bürgermeister und überhaupt honorige Leute „verewigt“. Bleibt bloß die Hoffnung, daß die Zeiten so bleiben. Nicht daß eines Tages wieder einer kommt mit der großen Schere und die Kameraden herausfitzelt. Am Ende gibt es überhaupt keine Seiten mehr, zwischen denen man lesen kann.
Fazit: Goldene Bücher sind so überflüssig wie der Blinddarm.
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