Sperrige Faltkarten, volle Filme: So haben wir in den 1990ern Urlaub gemacht
28.01.2021, 15:46 UhrAm Anfang standen die Reisekataloge – erst schleppen, dann wälzen: Etwa so dick wie das Telefonbuch einer Millionenstadt war ein Spanien-Reisekatalog. Vier bis fünf davon gab´s im Reisebüro – zum Mitnehmen im Neckermann-Jutebeutel. Vorm Schmökern und Auswählen auf dem Sofa stand das Symbole-Lernen auf der Vokabel-Seite vorne: Was bedeuten noch mal zwei Sonnen, eine durchgestrichene Dusche und der eingeklammerte Hund?
Zur Buchung wieder zurück ins Reisebüro. Mit den Reise-Unterlagen im Umfang einer Gerichtsakte lagen Wochen später auch die Flugtickets im Briefkasten. Längliche Papierstreifen, mit unendlich vielen Durchschlägen. Die waren LSD-quietschbunt und von wächsern-lila Tintenstrahl-Druck auf rosafarbenen und beigen Feldern mit seltsamen Krypto-Kürzeln versehen. Hatte man das Ticket verloren, war quasi auch die Reise verloren. Neu-Ausstellung? Ganz schwierig. . .
Kein Urlaub ohne Plattensammlung
Ob Gregorianische Choräle oder Elektrobeats – heute ist jeder weltweit aufgenommene Ton im Smartphone verfügbar – dank Spotify & Co. Damals musste der Discman mit, eine lustige Abspiel-Brotdose, hinter dem (meist zerkratzten) Fenster kreiste eine CD. Doch welche 20 CDs aus der heimischen Sammlung dürfen mit? Meist gewannen Kuschelrock und Bravo Hits.
Bordkino hieß: Runterklapp-Bildschirm im Flieger. Der hing immer zehn Reihen weiter vorn, war kaum größer als heutige Tablet-PCs. Und so wurde jedes Bordkino zum Quiz: Läuft da jetzt "Forrest Gump"? Oder "Rain Man"? Oder doch "Mission Impossible"?
SMS oder WhatsApp schon aus dem ausrollenden Flieger? Ging vor 25 Jahren nicht. Also Schlange stehen und dann rein in eine dieser Telefonzellen. Wenn man vorher Geld gewechselt hatte! Inmitten von Roms Soundtrack aus Vespa-Gehupe, Straßenpalaver und Polizeisirenen-Geheul reichte es leider nur für "Hallo, wir sind…", weil dann das Kleingeld durchfiel und das Gespräch abriss. Weitere Versuche scheiterten am Operator, der verbinden sollte, aber nur völlig unverständlichen Anleitungs-Kauderwelsch sprach.
Auf der Vespa zum Gardasee knattern
Kreditkarten hatten nur Geschäftsleute. Man tourte daher als wandelnde Reisebank durch die Lande – mit D-Mark, Ösi-Schillingen, Lira, alles unter Büroklammern gebündelt und vor Langfingern sicher verstaut im Brustbeutel. Speckig war der, aus beigem Leder, er baumelte an einer Kordel um den Hals. Eiserne Reserve: Travellers Cheques. Künstlerisch aufwändig gestaltete Papiere, etwas kleiner als Geldscheine, dafür aber mit einem Feld zum Unterschreiben.
In Italiens Banca Risparmo hofften wir mit schweißnassen Händen und Puddingknien, dass der gegelte Krawattennadelträger hinter dem Panzerglas das Papier in Berge von Lira eintauschen möge.
Hoffentlich sind noch Bilder auf dem Film
36 Bilder pro Filmrolle, Profis holten 38 raus, klemmten sie kürzer als empfohlen in die Plastiknasen des Transportrades der Analog-Kamera. Selfies? Pure Verschwendung! Einfach draufgehalten wurde auch nicht, sondern gut überlegt, wie man den Eiffelturm knipst. Beim besten Motiv war dann der Film garantiert alle. Nach dem Urlaub dann zwei Wochen warten, bis die Bilder entwickelt waren! Kundenorientierte Drogisten nahmen entwickelte Fotos, "die nichts geworden waren", gnädig zurück.
Preisvergleich: So teuer und so billig kann Strandurlaub sein
Schumi wurde Formel I-Weltmeister? Erich Honecker verhaftet? "Verdammt, ich lieb Dich ist Nummer 1" in Deutschland? Alles Nachrichten, die heute binnen Sekunden im Handy-Display aufploppen. Damals bekam man auf Fernreisen gar nichts und in europäischen Nachbarländern fast nichts davon mit. Mit etwas Glück klemmte im Kiosk-Ständer eine vergilbte, drei Tage alte BILD-Zeitung. Mit Finger-Feinsensorik konnte man die Deutsche Welle im Radio so einjustieren, um deren Nachrichten einigermaßen rauschfrei zu hören.
Bis zur Autobahnabfahrt lief es meist problemlos mit dem ADAC-Atlas. Die wahre Herausforderung begann kurz hinterm Ortseingangsschild: Die Beifahrerin (meist in Personalunion Freundin oder Ehefrau) nestelte den zehn Jahre alten Stadtplan von Falk aus dem Handschuhfach. Ganz auseinandergefaltet, nahm die Beifahrerin dem Fahrer kurz die Sicht, vermochte es aber nicht, den Plan zügig wieder so zusammenzufalten, dass sie den Weg darauf finden konnte. Meist kam es zum Zoff und mindestens einem Umweg.
Vor 9/11 war es am Sicherheits-Check im Flughafen wie im Loriot-Sketch aus den Siebzigern: Darin schlendert eine Schlange von Passagieren an einem Bundespolizisten vorbei, der jeden im Vorbeigehen nachlässig mit einem kreisförmigen Detektor abtastet. Bei einem schwer bewaffneten Passagier piept der Detektor, und weil der Polizist nicht hinschaut, was der Passagier an Handgranaten und Schießprügeln im Gürtel trägt, hält er den Detektor für defekt und bearbeitet ihn so lange, bis er Ruhe gibt. Man bestieg ein Flugzeug, ohne dass die Hose rutschte, Gürtel durften ebenso drin bleiben wie Shampoos und Parfums im Koffer. Niemand musste sich von oben bis unten befummeln und seinen Kofferinhalt durchwühlen lassen.
Früher konnte man Nachbarn noch neidisch machen
Um sich heute von Freunden als Power-Offroad-Marco Polo geadelt fühlen zu können, muss man mindestens im Heißluftballon durch die Innere Mongolei gefahren oder in der Antarktis zur Neumayer-Station getrampt sein. Vor 25 Jahren reichten noch die USA, um Reiseneid zu erzeugen. Und wer damals nicht gerade nach Mallorca, Rimini oder an die Costa Brava flog, konnte sogar mit Europa-Zielen punkten. Wusste ja eh keiner, wo das Urlaubsziel lag – ohne Google Maps.
Besonders tolle Restaurants oder Sehenswürdigkeiten wurden als Geheimtipps weitergereicht an Freunde, die in denselben Urlaubsort wollten, aus dem man selbst gerade mit abendfüllendem Dia-Abend-Programm zurückgekehrt war. Sie standen in keinem Reiseführer – geschweige denn am weltweit einsehbaren Pranger namens "Tripadvisor" mit Sternchen als Schulnoten und Gastro-Hinrichtungen von Gästen mit Haar in der Suppe.
Schön, dass Kreuzfahrten demokratisiert und beim Discounter neben No-Name-Cola erhältlich sind. Auch der Name Kreuzfahrt passt heute genau genommen besser. Denn die dafür eingesetzten schwimmenden Hochhaus-Siedlungen fahren kreuz und quer über die Weltmeere, während ihre Teilzeit-Bewohner in blubbernden Pools Pommes mit Caipi inhalieren, vom Schornstein aus Wasserrutschen-Gnubbel runterglitschen und gemäß Armbändel-Farbe exakt zwischen 18.45 und 19.00 Uhr zur Buffet-Fütterung erscheinen müssen. Gefolgt von der Abendshow im "Theatre Dome". Nein, früher war nicht alles besser, aber Kreuzfahrten hatten Stil und ein Ziel: Alle paar Tage den Hafen einer Stadt, für deren Besichtigung ausreichend Zeit im Reiseplan stand.
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