Genfer Salon 2020: Aus für die Autoshow
28.2.2020, 15:19 UhrNun also auch der Genfer Autosalon. Die wichtigste Frühjahrsmesse der Automobilbranche sollte am kommenden Dienstag ihre Pforten für Journalisten öffnen, ab Donnerstag wurden dann mehr als 600.000 Besucher in zehn Tagen erwartet. Doch daraus wird nichts, die Angst vor dem sich auch in Europa weiter ausbreitenden Corona-Virus führte am Freitagmittag zur Absage der Autoschau.
Die allerdings kam reichlich spät: Noch am Mittwochabend verlautbarten die Veranstalter, die Messe finde wie geplant statt. Auch die Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA), Hildegard Müller, gab sich zuversichtlich und bestätigte ihre Pläne, am Montag nach Genf zu reisen.
Zahlreiche Absagen
In den vergangenen 48 Stunden allerdings überschlugen sich die Ereignisse: Mehrere Aussteller, darunter auch Toyota, entschieden, keine Vertreter an den Lac Léman zu schicken und sagten alle eigenen Veranstaltungen ab; der Messe-Stand sollte nur mit einer Minimal-Besatzung aufwarten. Auch der chinesische Autobauer Byton gab seine Absage bekannt, ebenso der Soundanlagen Hersteller Harman-Kardon und zahlreiche Vorstände und Unternehmenslenker, darunter auch der Ferrari-Chef und der oberste Manager des Bremsenherstellers Brembo.
Dazu kamen zahlreiche Absagen von Journalisten, die entweder nicht nach Genf reisen wollten oder aufgrund interner Sicherheitsmaßnahmen nicht durften. Nachvollziehbar: Schließlich will, abgesehen von der Gefahr, sich selbst mit dem Corona-Virus zu infizieren, niemand das Risiko eingehen, in einem Genfer Hotel unter wochenlange Quarantäne gestellt werden, oder – noch schlimmer – den Erreger unbemerkt nach Haus zu verschleppen und dort Familie, Freunde oder Kollegen anzustecken. Man stelle sich nur vor, die Mitarbeiter eines Autobauers brächten das Virus ins Werk und in Folge dessen käme die gesamte Produktion zum Erliegen.
Ausstieg vorbereitet
Donnerstagabend schließlich war bereits aus Branchenkreisen zu hören, dass auch die großen deutschen Autobauer - der VW-Konzern also, Mercedes und BMW - ihre Absage vorbereiteten.
Zudem wurden in den sozialen Medien immer mehr Stimmen laut, die eine Absage des Autosalons forderten. Vereinzelt wurde sogar aufgerufen, eine Petition zur Absage des Salons zu unterzeichnen.
Befeuert wurden die Forderungen durch weitere Stornierungen: Der Genfer Uhrensalon etwa, der erst im April stattfinden sollte, wurde bereits am Donnerstagvormittag gestrichen. Außerdem wurde vor einiger Zeit bereits die Automesse in China auf unbestimmte Zeit verschoben.
Skurrile Sicherheitshinweise
Dass die Veranstalter sich bis zuletzt entschlossen zeigten, die Show stattfinden zu lassen und mit teils skurrilen Sicherheitshinweisen versuchten, die potenziellen Besucher zu beruhigen – man teilte mit, ab einer gewissen Besucherzahl sei ein Arzt vor Ort und empfahl, sich jedem, der huste, auf maximal einen Meter zu nähern – ist verständlich. Schließlich steckt die Traditionsmesse, wie viele andere Autoschauen, ohnehin in der Krise. Mehr als ein Dutzend Marken hatte sich gar nicht erst für die Show angemeldet, darunter Schwergewichte wie Ford, Opel, Citroën, Peugeot, Jaguar, Land Rover, Volvo, Nissan und Mitsubishi.
Die Befürchtung der Genfer Verantwortlichen liegt also auf der Hand: Die Absage der 2020er-Auflage, die noch dazu das 90-jährige Jubiläum des Autosalons hätte feiern sollen, könnte das endgültige Aus für die Autoshow bedeuten. Denn: Anders als in Deutschland, Frankreich, China oder den USA gibt es in der Schweiz keine Hersteller-Lobby, die sich für eine weitere Auflage stark machen könnte.
Schuldiger ausgemacht
Keine guten Aussichten. Zumindest hat die Messe nun aber einen Schuldigen für die Annullierung des diesjährigen Salons gefunden: Die Schweizer Regierung war es, die am Freitagmorgen ein Verbot für Veranstaltungen mit mehr als 1000 Besuchern erlassen und damit dem Autosalon den Garaus gemacht hat. Die Veranstalter können so zumindest weiterhin guten Willen demonstrieren und sich auf höhere Gewalt berufen.
An der Situation ändert das freilich nichts, und noch sind die Konsequenzen nicht absehbar. Leidtragende dürften unter anderem die Genfer Taxifahrer sein, deren Gebührenzähler in der staugeplagten Stadt zur Messezeit heiß gelaufen sind - und die Restaurants, die nun auf großen Mengen Käsenfondue und Rinderfilet, die traditionell nach einem anstrengenden Messetag verdrückt wurden, sitzen bleiben.
Und natürlich müssen auch die Autobauer große, finanzielle Verluste hinnehmen, schließlich sind die Standgebühren bereits bezahlt, die Messestände komplett aufgebaut und die Hotelzimmer gebucht.
Daran, dass die Autohersteller ihre Neuheiten veröffentlichen und verbreiten können, wird sich dagegen nichts ändern: Die meisten Informationen wurden bereits vor Tagen oder Wochen preisgegeben oder den Journalisten zumindest vorab zur Verfügung gestellt. Exklusive Messe-Überraschungen wurden schon in den vergangenen Jahren immer seltener. Und selbst die lassen sich heutzutage problemlos kurzfristig in Online-Live-Shows enthüllen.
Die Auto-Welt dreht sich weiter
So steht am Ende also wahrscheinlich die Erkenntnis, dass sich die Automobil-Welt auch ohne das Stelldichein am Genfer See weiterdreht. Dass die Vorzeichen für den Auto Salon 2021 damit nicht besonders gut sind, dürfte den großen Autobauern vielleicht sogar gelegen kommen. Schade ist es allerdings um die vielen kleinen Exoten, die fest zum Rahmenprogramm der Genfer Show gehörten: Einen Hispano Suiza, Eadon Green, Koenigsegg oder Touring Superleggera werden viele Auto-Fans zukünftig vielleicht nie wieder live zu Gesicht bekommen.
Michael Gebhardt