Toyota Mirai II: Elektrisch fahren mit Wasserstoff
1.12.2020, 20:58 UhrEs sollte der ganz große Aufschlag werden: Die Olympischen Sommerspiele von Tokio hatte Toyota als Bühne für seine Wasserstoff-Kompetenz ausersehen; ein Heimspiel, bei dem Brennstoffzellenbusse die Besucher transportieren, Fuel-Cell-Limousinen Athleten, Funktionäre oder VIPs befördern und Hydrogen-Stationen das Olympische Dorf mit Wasserstoff versorgen würden.
Dem hat Corona zumindest vorerst einen Strich durch die Rechnung gemacht. Und doch bleibt das Thema H2 aktuell: Im Frühjahr 2021 bringt Toyota die zweite Generation seiner Wasserstofflimousine Mirai auf den Markt. Und geht selbstbewusst davon aus, dass sich die Verkaufszahlen im Vergleich zu denen des Vorgängers verzehnfachen werden. Das hört sich geradezu gigantisch an, muss aber vor dem Hintergrund des bislang mehr als bescheidenen Absatzes gesehen werden: Der seit 2015 in Deutschland angebotene Mirai I hatte es bei den jährlichen (!) Neuzulassungen bestenfalls auf Ergebnisse im mittleren zweistelligen Bereich gebracht.
Das Klima ändert sich
Den Optimismus, dass daraus künftig mehr wird, leitet der japanische Hersteller zum einen von den freundlicheren Rahmenbedingungen ab. "Das Klima rund um H2 ändert sich", sagt Toyota-Sprecher Thomas Schalberger. Aber auch das Fahrzeug selbst hat hinsichtlich seiner Erfolgsaussichten gewonnen. Das fängt mit der Optik an: Während den arg futuristischen Formen des Vorgängers etwas leicht Verstörendes anhaftete, präsentiert sich der Mirai II als elegante, auf knapp fünf Meter Länge gewachsene Limousine, deren coupéhaft fließende Formen niemanden mehr in Rechtfertigungsnöte bringen.
Auch das ehedem unübersichtlich-zerklüftete Innenraumdesign wurde beruhigt, die Verarbeitungsqualität erschien uns bei einem ersten Kennenlernen über jeden Zweifel erhaben. Und statt vier stehen jetzt fünf Sitzplätze zur Verfügung.
Drei Wasserstoff-Tanks
Die verbesserte Raumökonomie ist der neuen modularen GA-L-Plattform und dem Umstand zu verdanken, dass die Brennstoffzelleneinheit nun unter die Motorhaube gepackt wurde. Mit der optimierten Antriebstechnologie gehen aber noch essentiellere Fortschritte in puncto Alltagstauglichkeit einher. Beschränkte sich der Vorgänger noch auf zwei Hochdruck-Wasserstofftanks, kann der Mirai II auf deren drei zurückgreifen, der größte sitzt mittig unter dem Fahrzeugboden, zwei kleinere befinden sich unter den Rücksitzen und dem Gepäckraum. Insgesamt nimmt das Trio 5,6 Kilogramm beziehungsweise 142 Liter Wasserstoff auf. Weil der Verbrauch gleichzeitig um zehn Prozent reduziert werden konnte, ergibt sich eine Reichweite von bis zu 650 Kilometern. Das sind gut 30 Prozent mehr, als der Mirai erster Generation geschafft hat.
Der Kälte gewachsen
Dass der Elektromotor nunmehr 134 kW/182 PS leistet (bislang: 110 kW/150 PS) und ein maximales Drehmoment von 300 Newtonmern produziert, nimmt der Kunde gerne mit. Ebenso wie das verbesserte Kaltstartverhalten. Minus 30 Grad sollten in unseren Breiten eher nicht vorkommen, dass die Brennstoffzellen-Limousine auch vor solchem Mega-Frost nicht kapituliert, beruhigt dennoch irgendwie.
Fahren mit H2 ist eine andere Form der Elektromobilität. Vereinfacht gesagt, reagiert der betankte Wasserstoff in der Brennstoffzelle mit Sauerstoff aus der Luft, dabei entsteht neben Wasser und Wärme vor allem Strom, der in einem Akku – im Falle des Mirai eine hinter den Rücksitzen untergebrachte Lithium-Ionen-Hochspannungsbatterie - zwischengespeichert wird und letztlich den E-Motor antreibt. Als einzige Emission entweicht Wasserdampf. Der Mirai, sagt Toyota, hinterlasse die während der Fahrt aufgenommene Umgebungsluft sogar sauberer, als er sie vorgefunden habe.
Welchen Saubermann er sich da ins Haus geholt hat, kann der stolze Mirai-Besitzer dem Nachbarn übrigens mithilfe der "Purge"-Taste demonstrieren – dann lässt der Wagen ostentaviv Wasser ab.
Im Fahrbetrieb benimmt sich der Mirai so fein, wie man es auch von batterieelektrischen Autos kennt. Sehr leise also, flink im Antritt und trotz des nicht unerheblichen Fahrzeuggewichts von 1,9 Tonnen sowie der vergleichsweise überschaubaren Motorleistung souverän kraftvoll. Der Standardsprint 0 auf 100 km/h erfolgt in 9,2 Sekunden, die Maximalgeschwindigkeit liegt bei 175 km/h. Drei Fahrmodi – Sport, Normal und Eco – bestimmen das Wesen des Hecktrieblers, dank der auf 50:50 austarierten Gewichtsverteilung und des niedrigen Schwerpunkts liegt der Mirai schön satt auf dem Asphalt und rollt angenehm komfortabel ab.
Am Ende unserer ersten Ausfahrt meldete der Bordcomputer einen Verbrauch von 1,22 Kilogramm H2/100 km. Der Kilopreis beträgt derzeit etwa 9,50 Euro, daraus ergeben sich also Kraftstoffkosten von rund 11,60 Euro.
Umweltbonus abzugsfähig
Wenn wir schon von Geld reden: Vorteile bringen auch die 0,5-Prozent-Dienstwagenbesteuerung sowie eventuelle regionale Förderprogramme.
Was die verschiedenen Antriebstechnologien betrifft, sieht Toyota "spezifische Vorzüge in unterschiedlichen Mobilitätsszenarien": Während man die markentypischen Hybride (HEV) und auch Plug-in-Hybride (PHEV) als Allrounder betrachtet, werden batterieelektrische Fahrzeuge (BEV) – von denen man lange Zeit nichts wissen wollte, die, zunächst in Gestalt des Lexus UX 300e, aber doch Eingang ins Portfolio finden – als Pendler- und Stadtfahrzeuge eingeordnet. Brennstoffzellenmobilen (FCEV) wie dem Mirai ist eine Rolle auf der Langstrecke zugedacht.
Dünnmaschige Infrastruktur
Wahr ist, dass ein "Fuel Cell" in wenigen Minuten betankt ist und nicht ewig an einer Ladesäule pausieren muss. Wahr ist aber auch, dass es um die Wasserstoffinfrastruktur noch eher betrüblich bestellt ist. Keine 90 H2-Tankstellen gibt es derzeit in Deutschland, das eigentlich für 2020 avisierte Ziel von 100 Stationen dürfte kaum noch zu erreichen sein.
Japan ist da schon weiter. Zu den Olympischen Sommerspielen sollen 160 Wasserstofftankstellen bereitstehen – jetzt eben 2021, wenn das Heimspiel nach aktueller Planung nachgeholt wird.
Ulla Ellmer
Toyota Mirai in Kürze:
Wann er kommt: Im Frühjahr 2021
Wen er ins Visier nimmt: Hyundai Nexo, batterieelektrische Limousinen wie Tesla Model S oder Polestar 2
Was ihn antreibt: Elektromotor mit 134 kW/182 PS
Was er kostet: Ab 63.900 Euro (19 Prozent MwSt)