Fränkischer Experte: Jeder kann zum Corona-Leugner werden

Kathrin Walther

Kinder- und Jugendredaktion

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6.10.2020, 05:20 Uhr
Fränkischer Experte: Jeder kann zum Corona-Leugner werden

Das Coronavirus ist harmlos oder eine gefährliche Biowaffe, Bill Gates will die Menschheit zwangsimpfen und die 5G-Strahlung ist schuld an den vielen Todesfällen: Sind Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben, etwa dumm oder psychisch krank? Keineswegs, sagt Professor Dr. Claus-Christian Carbon. Der Wahrnehmungspsychologe forscht an der Universität Bamberg über Verschwörungstheorien und mahnt: Jeder könne dazu verleitet werden, und Verschwörungstheorien müssen mitnichten immer gefährlich sein – auch wenn sie es manchmal sein können. Professor Carbon hält am Lehrermedientag des Verlags Nürnberger Presse, der am 18. November digital stattfindet, einen Vortrag zum Thema.

Warum sollte das Thema auch in der Schule angesprochen werden?

Claus-Christian Carbon: Weil Verschwörungstheorien Einzug in den Alltag unserer Welt genommen haben. Man muss verstehen, was sie bedeuten, wie man sie erkennt und wie man sich ihnen gegenüber positionieren soll. Dabei ist ein wacher und differenzierter Blick nötig, denn Verschwörungstheorien an sich müssen nicht problematisch sein, können sie aber.

Fränkischer Experte: Jeder kann zum Corona-Leugner werden

© Foto: privat

Was heißt: Sie müssen nicht problematisch sein?

Das Wesen der Verschwörungstheorie ist nicht böse. Das Gefährliche ist, wenn die Geschichte, die darunter liegt, hetzerische oder menschenverachtende Qualitäten besitzt. Dass man der Idee einer alternativen Wahrheit positiv gegenübersteht, ist opportun und gehört zu einer pluralistischen Gesellschaft. Verschwörungstheorien können sogar eine wichtige Aufgabe übernehmen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Zum Beispiel der Dieselskandal. Wenn ich Ihnen sage: Die Daten für den Abgasausstoß Ihres Wagens stimmen, dann glauben Sie es so lange, bis aufgedeckt wird, dass sie gefälscht sind. Wer das vor der Aufdeckung behauptet hätte, hätte gut und gerne als Verschwörungstheoretiker gelten können – letztlich zeigte sich aber, jene Theorie hat sich bewahrheitet. Die Wahrheit kennen wir immer erst im Nachhinein, wenn überhaupt. Das ist das Schwierige an dem Thema. Wir dürfen Menschen, die alternative Ideen entwickeln, nicht von vornherein verunglimpfen. Weil dahinter zumindest bei den Menschen, die ernsthaft besorgt sind, eine ernst zu nehmende Motivation steckt.

Wann wird es problematisch?

Problematisch sind diejenigen, die bewusst Unwahrheiten verbreiten und behaupten, wir würden in einer Diktatur leben. Das sind äußerst zersetzende und gefährliche Elemente. Personen, die das übernehmen, sind sich vielleicht nicht bewusst, dass sie benutzt werden. Man darf ihnen nicht das Recht absprechen, zu zweifeln. Aber von einer Pauschalbehauptung, auch mancher Politiker, dass das alles "Covidioten" seien, halte ich nichts. So wie man prinzipiell einzelne Menschen nie generell aburteilen soll.


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Was halten Sie vom Begriff Verschwörungstheoretiker?

Den Verschwörungstheoretiker gibt es nicht. Der Begriff ist extrem verunglimpfend und abwertend. Ich muss zunächst wertfrei analysieren, um welche Verschwörungstheorie es sich handelt. Denken Sie an Edward Snowden. Die ganze Geschichte begann als Verschwörungstheorie – und zum Schluss hat sie sich als wahr herausgestellt: Ja, die NSA hat auch deutsche Bürger ausspioniert – dass so etwas in dem Ausmaß möglich ist, haben wir uns nicht vorstellen können. Wir alle gehören in gewisser Weise zu Anhängern von Verschwörungstheorien, nur eben mehr oder weniger stark.

Also warnen Sie vor einer Polarisierung: Verschwörungstheoretiker gegen Nicht-Verschwörungstheoretiker?

Ja, denn solche Polarisierungen sind gefährlich. Nur wenn sich jemand konservativ äußert, ist er noch kein Nazi. Ob mir das gefällt oder nicht, was mein Gegenüber sagt, ist nicht das Entscheidende. Die Grüneren oder Liberaleren sind ja nicht per se die besseren Menschen. In einer Demokratie geht es darum, viele Meinungen zu tolerieren, um am Ende ein besseres System zu haben in dem sich viele repräsentiert und wohl fühlen. Ein echter Nazi gehört da natürlich nicht mehr rein, da er per Definition ein radikaler Anti-Demokrat ist. Alle Seiten müssen sehr aufpassen bei dieser Debatte, die ja unfassbar emotionalisiert ist, und teilweise im Bewusstsein geführt wird, jemanden falsch verstehen zu wollen.