Uni Erlangen: Geld bloß bei Gefahr?
8.11.2013, 10:00 UhrDie Stimme hallt nach, wenn Martin Boss spricht. Er stapft durch das verwaiste Institut in der Kochstraße. Die hohen Regale stehen leer, an der Wand bröckelt der Putz ab. Wo sonst Trubel herrscht, Studenten über die Gänge eilen und quatschen, ist es jetzt still. Nur ab und zu hört man Baulärm aus anderen Stockwerken oder begegnet einem Wachmann. Sicherheitsleute sollen aufpassen, dass niemand die gesperrten Gebäudeteile betritt. Zu gefährlich. Außerdem herrscht Helmpflicht.
Gut vier Monate nachdem im Untergeschoss der Philosophischen Fakultät Putz von der Decke gekracht ist und den Schreibtisch eines Archäologen unter sich begraben hat, ist noch lange kein Normalbetrieb eingekehrt.
„Ein Drittel des Gebäudes haben wir schon saniert“, sagt Martin Boss, der nicht nur Leiter der archäologischen Sammlung, sondern auch Hausvorstand des Gebäudes ist. 1,5 Millionen Euro hat der Freistaat Bayern als Sofort-Finanzspritze zur Verfügung gestellt, damit die nötigsten Sanierungsarbeiten erledigt werden können.
Viel zu spät kommt dieses Geld, findet Katja Zapf von der Fachschaft der Philosophischen Fakultät. Die Studentin kritisiert: „Es ist schon lange klar, dass das Gebäude saniert werden muss.“ Sie erinnert sich noch gut daran, als es vor einigen Jahren hieß: „Macht bloß nicht die Fenster auf, die könnten rausfallen.“ Tatsächlich sind damals zwei Fensterscheiben herausgebrochen. Dass dabei niemand verletzt wurde, war ein glücklicher Zufall. Ausgetauscht wurden die weiteren 420 Fenster allerdings nicht — zu teuer. Sie wurden vergittert.
Freilich hatte die Universitätsleitung Gelder für den Bauerhalt beantragt — doch statt der geforderten 40 Millionen erhielt sie gerade mal schlappe 3,8 Millionen. Mit solchen Problemen steht die Erlanger Uni nicht alleine da. „Erlangen ist kein Einzelfall“, sagt etwa Christiane Kling-Mathey, Pressefrau des Wissenschaftsrates, der die Politik berät. Geld für den Bauerhalt der Unis fehlt an allen Ecken — und nicht selten kommt es wie in Erlangen schlichtweg zu spät. In Köln zum Beispiel mussten erst Deckenlampen herunterkrachen, bis Geld floss. Im Uniklinikum Halle lagen Rohre blank. Und an der Uni in Kiel sickerte chlorhaltiges Wasser aus dem Schwimmbecken ins Grundwasser.
Eine Umfrage der Wochenzeitung "Die Zeit" bei allen 16 Bundesländern hat ergeben: In ganz Deutschland müssen die Hochschulen dringend saniert werden. Die Summe, die dafür nötig wäre, beziffert der Wissenschaftsrat auf 30 Milliarden Euro.
In der Erlanger Kochstraße reichen 1,5 Millionen, um das Nötigste zu erledigen: Überall in den sieben Stockwerken — die Gesamtfläche beträgt nahezu 6100 Quadratmeter — werden die Decken ausgetauscht. Durchaus eine aufwendige Sanierungsmaßnahme.
Sanieren, abreißen, sanieren
Das Paradoxe daran: Schon heute ist nach Ansicht des Bauamts klar, dass das Gebäude in zehn bis 15 Jahren wieder abgerissen werden muss. Dann nämlich garantiert keiner mehr für die Statik des Baus, der im Jahr 1957 errichtet wurde. „Eigentlich müsste jetzt eine langfristige Lösung her“, fordert Zapf von der Fachschaft. Doch wo sollen die Studenten dann hin?
Derweil finden die Vorlesungen in anderen Uni-Gebäuden statt. Seit dieser Woche haben auch einige Bibliotheken aus der Kochstraße 4 geöffnet. Sie befinden sich jetzt in Tennenlohe, in einem — vorher ungenutzten — Bürogebäude des Konzerns Areva. Reibungslos läuft der Betrieb aber noch nicht: Die Computer dort sind noch nicht angeschlossen, Internet gibt es auch nicht. Das heißt: Wer Bücher ausleihen oder dort lesen will, muss vorher schon nachgucken, wo sie stehen.
Erschwerend kommt hinzu: „Die Busse fahren nur selten raus, zwischen zwei Vorlesungen mal schnell ein Buch ausleihen — das klappt nicht“, sagt Zapf, die Lehramt für Deutsch, Geschichte und Sozialkunde studiert und selbst betroffen ist. Was die 22-Jährige der Uni zugute hält: „Zumindest sind keine Lehrveranstaltungen wegen der Sanierung ausgefallen.“
Doch bei Studenten und Uni-Mitarbeitern bleibt die Kochstraße ein Aufregerthema, wie jüngst der Dies Academicus zeigte. Auch auf den Seiten von nordbayern.de kritisieren Viele die Hochschulpolitik. Für die technischen „Vorzeigefächer“ würden horrende Summen ausgegeben, während die Geisteswissenschaften oft leer ausgingen.
Diesen Vorwurf weist Karl-Dieter Grüske, Präsident der FAU, entschieden zurück. „In der Physik gab es vergangenes Jahr doch auch Ärger, weil er reingeregnet hat.“ Das eigentliche Problem ist seiner Ansicht nach, dass die Unis „grundsätzlich unterfinanziert“ sind. Bevorzugt würden Technik oder Medizin nicht. Deutlichere Worte spricht Martin Boss: „Wir leben eben in einem technischen Zeitalter. Die Industrie und Verbände haben ein Interesse daran, die Technik zu fördern. In der Philosophie gibt’s das nicht.“
Auch die sogenannten "Philosophen-Türme" in der Bismarckstraße sind stark sanierungsbedürftig. Diese sind möglicherweise mit dem krebserregenden PCB verseucht, die Uni bestreitet aber bisher, dass es konkreten Handlungsbedarf gibt.
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