Detailgespräche beginnen
Ampel-Koalition: Wer verhandelt denn da über unsere Zukunft?
25.10.2021, 10:04 UhrEs ist schwer, den Überblick zu behalten. Ganze Hundertschaften von Politikerinnen und Politikern werden dabei sein, wenn in den kommenden vier, fünf Wochen in den Parteizentralen von SPD, Grünen und FDP über die Details des Koalitionsvertrages verhandelt wird. Niemand dürfte in der Lage sein, auch nur ein Drittel der Beteiligten auswendig aufzuzählen. Auch nicht Olaf Scholz, der schon gar nicht. Denn der ist ja für das große Ganze zuständig.
Der Auftrag ist anspruchsvoll: Binnen zwei Wochen, bis 10. November, sollen schon die ersten Ergebnisse vorliegen. Dann blieben nochmal zwei bis drei Wochen, um die die übrig gebliebenen, strittigen Fragen zu klären. Etwa um den 6. Dezember herum soll im Bundestag der neue Kanzler gewählt werden. Keinesfalls wollen die Koalitionäre die Verhandlungen ins nächste Jahr hineinziehen. Da sind die Erinnerungen an die vergangene Legislaturperiode abschreckend, als wegen eines Partnerwechsels von Jamaika zur GroKo die Regierung erst ein halbes Jahr nach dem Wahltag stand.
Um den genauen Ablauf, vor allem um die Zusammensetzung der Arbeitsgruppen, kümmerten sich in erster Linie die Generalsekretäre. Herausgekommen sind dabei 22 Teams, in denen die klassischen Politikfelder wie "Gesundheit und Pflege", "Finanzen und Haushalt" und "Arbeit" behandelt werden. Das entspricht zum Teil den künftigen Ministerien innerhalb einer rot-grün-gelben Bundesregierung.
Ungewöhnliche Arbeitsgruppen
Interessanter wird es, wenn man auf die Arbeitsgruppen abseits der klassischen Ressorts blickt. Da erhalten zum Beispiel "Flucht, Migration, Integration", "Gute Lebensverhältnisse in Stadt und Land" sowie "Moderner Staat und Demokratie" eigene Verhandlungsteams. Ebenso "Digitale Innovationen und digitale Infrastruktur" und "Gleichstellung, Vielfalt". Damit will die Ampel signalisieren, dass sie sich gesellschaftspolitisch weit mehr vorgenommen hat als die drei Großen Koalitionen in den zurückliegenden 16 Jahren.
Und wer sind dann eigentlich diese 250 bis 300 Menschen, die über die Zukunft unseres Landes verhandeln werden? Den meisten Bundesbürgern dürfte in erster Linie die sogenannte "Hauptverhandlungsgruppe" bekannt sein. Das sind die Entscheider - von den Partei- und Fraktionsvorsitzenden bis zu den Generalsekretären. Sie werden immer dann gefragt sein, wenn es in den Fachteams knirscht. Vor allem gegen Ende der veranschlagten Zeit dürfte diese 18-köpfige Gruppe immer wichtiger werden, in der unter anderem Saskia Esken, Norbert Walter-Borjans, Christian Lindner, Volker Wissing, Robert Habeck und Annalena Baerbock sitzen.
Die Parteien beschränken sich nicht auf ihre Bundestagsabgeordneten, sondern laden auch ihre Expertinnen und Experten aus den Ländern ein. So werden sich etliche Ministerpräsidenten und Landesminister über den Weg laufen - unter anderem Stephan Weil (Niedersachsen, SPD), Andreas Pinkwart (NRW, FDP), Bernd Buchholz (Schleswig-Holstein, FDP), Peter Tschentscher (Hamburg, SPD) und Manne Lucha (Baden-Württemberg, Grüne. Aus Bayern kann - logischerweise - kein Kabinettsmitglied dabei sein, weil beide Regierungsparteien (CSU und Freie Wähler) nicht der Ampel-Koalition angehören. Mit Martin Hagen ist aber der FDP-Fraktionsvorsitzende von der Partie und mit Florian von Brunn sein Kollege von der SPD.
Zwei Urgesteine dabei
Zwei Namen erinnern noch an längst vergangene rot-grüne Zeiten. Jürgen Trittin, bis vor 16 Jahren Bundesumweltminister, arbeitet in der Gruppe "Klima, Energie, Transformation" mit. Es wird allerdings nicht für wahrscheinlich gehalten, dass der 67-Jährige eines der wenigen Grünen-Ressorts in der neuen Regierung erhält. Renate Künast, Ex-Ministerin für Landwirtschaft, kümmert sich auch jetzt wieder um das Thema. Fast alle anderen Kabinettsmitglieder von damals wie Gerhard Schröder, Joschka Fischer und Otto Schily sind übrigens längst im Polit-Ruhestand.
Einer der prominentesten Köpfe unter den jüngeren Unterhändlern ist Kevin Kühnert, stellvertretender SPD-Vorsitzender und direkt gewählter Abgeordneter von Berlin-Tempelhof. Der 32-Jährige sitzt in der überaus heiklen Gruppe "Bauen und Wohnen" - heikel deswegen, weil hier rot-grüne Mietendeckel-Pläne auf erheblichen Widerstand der FDP stoßen dürften. Viele sind neugierig, ob Kühnert einen Kompromiss schmieden kann.
Fast alle, die für Kabinettsposten gehandelt werden, sind auch in einem der Fachteams vertreten. Das trifft zum Beispiel auf Karl Lauterbach (SPD) zu, der sich um "Gesundheit und Pflege" kümmert, aber auch auf seinen Genossen Hubertus Heil ("Arbeit"). Bei den Liberalen wirkt Marie-Agnes Strack-Zimmermann in der Arbeitsgruppe zur Außenpolitik und Verteidigung mit. Sie ist als Verteidigungsministerin im Gespräch. Und bei den Grünen sitzt Cem Özdemir im Team "Wirtschaft".
Prominente Rückkehrerin?
Bemerkenswert ist die Personalie Christine Lambrecht. Sie war in der letzten GroKo Justizministerin (und ist es immer noch geschäftsführend). Doch sie hatte nicht mehr für den Bundestag kandidiert und öffentlich wissen lassen, dass "diese Art des Lebens einen Abschluss findet". Auch junge Leute sollten eine Chance bekommen. Nun verhandelt sie bei "Innere Sicherheit, Bürgerrechte, Sport" mit und wird als mögliche Innenministerin genannt.
Die Parteiflügel sollen in den Koalitionsverhandlungen angemessen vertreten sein. Die Sozialdemokraten haben zum Beispiel den Abgeordneten Matthias Miersch, Vorsitzenden der Parlamentarischen Linken im Bundestag, in das Team "Klima, Energie, Transformation" entsandt. Auch die Juso-Vorsitzende Jessika Rosenthal dürfte in der Gruppe "Bildung und Chancen für alle" die Position der Parteilinken vertreten, während der sächsische Wirtschaftsminister Martin Dulig eher zu den SPD-Realos zählt.
Die Arbeitsgruppen sollen gleich nach der konstituierenden Sitzung des Bundestages (am Dienstag, 26. Oktober) in die Verhandlungen einsteigen. Ausdrücklich hat man sich vorgenommen, nicht bis in die Nacht hinein und auch nicht am Wochenende zu tagen. Das war im Frühjahr 2018 bei der Gründung der GroKo noch komplett anders gewesen, da fielen wesentliche Entscheidungen in letzter Sekunde - weit nach Mitternacht. Mal sehen, ob die Ampel dieses Vorhaben auch dann einhalten kann, wenn es am Ende knapp werden sollte.
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