Selbstbestimmung

Gehsteigbelästigung ab heute verboten: Neues Gesetz soll vor Abtreibungsgegnern schützen

Alicia Kohl

Redakteurin

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13.11.2024, 11:26 Uhr
100 Meter Abstand müssen Abtreibungsgegnerinnen und -gegner in Zukunft von Beratungsstellen, Kliniken und Praxen halten.

© Sachelle Babbar via www.imago-im/imago images/ZUMA Wire 100 Meter Abstand müssen Abtreibungsgegnerinnen und -gegner in Zukunft von Beratungsstellen, Kliniken und Praxen halten.

Mit Plakaten und Schildern stehen sie vor Kliniken und Beratungsstellen. "Abtreibung ist Mord" oder "Danke, Mama, dass du mich gerettet hast" steht darauf. Manchmal sprechen sie sogar Menschen an, die die Praxen betreten wollen. Es wird laut gebetet, gerufen und gesungen.

Daran müssen Betroffene vorbei, die abtreiben wollen oder darüber nachdenken. Damit soll jetzt aber Schluss sein. Der Bundesrat hat vor Kurzem ein Gesetz durchgewunken, das sogenannte Gehsteigbelästigungen verbietet. Ab Mittwoch, 13. November, ist es nun gültig. Vor Praxen, Kliniken und Beratungsstellen gibt es dann Schutzzonen geben, die Abtreibungsgegnerinnen und -gegner für ihren Protest nicht nutzen dürfen. 100 Meter Abstand müssen mindestens gehalten werden. Wird das missachtet, müssen die Protestierenden mit Ordnungsstrafen rechnen. Das zu verhängende Bußgeld kann bis zu 5000 Euro hoch sein. Dem Gesetz entsprechend muss außerdem ein ungehinderter Zugang zu den Einrichtungen möglich sein.

Verboten ist dann in Zukunft auch, Betroffene "entgegen ihrem erkennbaren Willen" die eigene Meinung zu einem möglichen Schwangerschaftsabbruch aufzudrängen, sie unter Druck zu setzen oder zu beeinflussen. "Wir stärken die Rechte von Schwangeren und gehen einen wichtigen Schritt für die Selbstbestimmung der Frau", sagt Bundesfamilienministerin Lisa Paus. Hier habe Meinungsfreiheit ihre Grenzen.

Kleine Schritte zum Schutz von Frauen?

"Ich bin sehr froh, dass die Regierung das nun angegangen ist", sagt Simone Hartmann vom Verein ProFamilia Nürnberg, der unter anderem Beratungen zu Schwangerschaftsabbrüchen anbietet. Das sei ein kleiner Schritt, "aber wir müssen kleine Schritte gehen". Politik sei eines der schwierigsten Arbeitsfelder. Diese kleinen Schritte seien besonders für die betroffenen Frauen* unglaublich wichtig. "Es ist unbedingt notwendig, die Frauen und die Beratungsstellen zu schützen."

Auch Thoralf Fricke vom ProFamilia Landesverband Bayern geht davon aus, dass das Gesetz helfen wird. Er berichtet von solchen Gehsteigbelästigungen vor den Beratungsstellen in München, Regensburg und Passau. "Wir haben in den Phasen, in denen sich die Selbstbestimmungsfeinde vor den Einrichtungen platzieren, schon erlebt, dass die Klientinnen verstörter und unsicherer waren." Es sei so schwerer, eine vertrauensvolle Beratungsatmosphäre zu schaffen.

In Passau werde zweimal im Jahr 40 Tage lang protestiert, einmal im Frühling während der Fastenzeit, einmal im Herbst. "Dieses Jahr haben wir es in Passau das erste Mal seit 2018, dass in dieser ‚Fourty Days for Life‘-Periode niemand vor unserer Beratungsstelle protestiert", sagt Fricke. In Regensburg ziehe eine Gruppe einmal monatlich durch die Stadt und platziere sich dann direkt gegenüber von einer Beratungsstelle. Eine ähnliche Situation gebe es in München, wo einmal im Monat eine Gruppe an Abtreibungsgegnerinnen und -gegnern singend und betend mit Transparenten vor der Einrichtung in der Türkenstraße steht. Die Beratungsstelle in Nürnberg hat mich solchen Gehsteigbelästigungen aktuell nicht zu kämpfen.

Ob das Gesetz etwas bewirkt, hänge aber auch davon ab, "was die Selbstbestimmungsfeinde daraus machen", sagt Fricke. Die seien nämlich finanziell gut ausgestattet und würden von bestimmten Anwälten regelmäßig vertreten werden.

ProFamilia fordert: Artikel 218 muss abgeschafft werden

So oder so, ProFamilia ist mit dieser geplanten Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes noch lange nicht zufrieden. Denn es sei zwar eine Erleichterung, aber noch keine Verbesserung der aktuellen Lage, sagt Hartmann von ProFamilia Nürnberg - schließlich gebe es die Stigmatisierung weiterhin.

Begünstigt werde diese öffentliche Wahrnehmung von Schwangerschaftsabbrüchen durch den Artikel 218 im Strafgesetzbuch. Dieser Artikel existiert schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts und sieht für Schwangerschaftsabbruch eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe für die Person vor, die diesen durchführt. Nur unter bestimmten Bedingungen ist es demnach zulässig, eine Abtreibung durchführen zu lassen. Dazu gehört eine verpflichtende Beratung und dass die Schwangerschaft vor der zwölften Woche abgebrochen wird.

"Durch diese Verortung entsteht ein Klima, das nicht zu unterschätzen ist", sagt Hartmann. Gegnerinnen und Gegner bekämen dadurch Rückenwind, Arztpraxen dagegen überlegen sich zweimal, ob sie sich der Kritik aussetzen und Schwangerschaftsabbrüche anbieten. Dadurch würde es an Beratungs- und Betreuungseinrichtungen und an der nötigen Unterstützung für Frauen* fehlen.

"Frauen müssen selbst über ihr Leben und ihren Körper entscheiden können. Und sie müssen auch das Gefühl haben, das zu dürfen." Dafür sei es unglaublich wichtig, dass der Artikel 218 abgeschafft wird. "Für uns ist es nicht nachvollziehbar, warum der selbstbestimmte Schwangerschaftsabbruch im Strafgesetzbuch geregelt sein sollte", sagt Fricke von ProFamilia Bayern. Der Verband spricht sich sogar dafür aus, auch keinen bestimmten Zeitpunkt für eine Abtreibung festzulegen. "Wir gehen davon aus, dass man den Frauen vertrauen kann, bis zu welchem Zeitpunkt es okay ist, eine Schwangerschaft nicht fortzuführen."

Es sei aber wichtig, dass ein ausreichendes Beratungsangebot gegeben ist. Die Versorgungslage gerade in Bayern sei katastrophal. Ungewollt Schwangere müssten oft weite Wege oder lange Wartezeiten auf sich nehmen oder hätten Probleme, eine Praxis zu finden. Sowohl die Unterstützung als auch das Verständnis für die Selbstbestimmung von Frauen fehlen, eine Gesetzesänderung und eine Abschaffung des Artikel 218 könnte laut ProFamilia besonders das gesellschaftliche Klima verbessern. Zumindest Beratungsstellen, Praxen und Kliniken sollten Betroffene in Zukunft aber weitgehend ungestört aufsuchen können.