1 Jahr Abgeordnete Tessa Ganserer: "Lebe als die Frau, die ich bin"

10.12.2019, 05:57 Uhr
1 Jahr Abgeordnete Tessa Ganserer:

© Foto: Tim Händel

Es sind jetzt 363 Tage. 363 Tage, an denen Tessa Ganserer auch offiziell die Frau sein darf, die sie in ihrem Inneren zeitlebens gewesen war. Gegen die sie sich in ihrer Jugend gewehrt, die sie über Jahre aus ihrem Bewusstsein gesperrt hat. Und die doch immer da gewesen war, nur im falschen Körper.

Es war das Ende eines Martyriums, als sich die Nürnbergerin an jenem 12. Dezember vor einem Jahr outete, als sie ihre Transidentität publik machte. Und der Beginn eines neuen, steinigen Wegs. "Ich möchte als Tessa Ganserer akzeptiert werden", sagt die Nürnbergerin, "als die Frau, die ich bin." 41 Jahre konnte sie das nicht sein, haben die Menschen sie als Markus Ganserer gekannt, ein Name, den sie nicht mehr hören will. "Ich bin die Tessa. Ich bin nicht der Markus, der ich nie war."

Im Landtag haben die meisten das akzeptiert. Dort sitzt Ganserer für die Grünen, seit gut einem Jahr führt sie stellvertretend den Ausschuss für den öffentlichen Dienst. Landtagspräsidentin Ilse Aigner von der CSU hat ihr vom ersten Tag ihres Outings an zugesagt, sie werde sie als die Frau behandeln, die sie sei, ganz egal, was das Gesetz dazu sage. Und das sagt eine Menge dazu.

Operation erforderlich

Wer die Paragrafen liest, bekommt ein Gefühl dafür, was sich die Autoren gedacht haben – und wie absonderlich ihnen erschienen ist, worüber sie befinden mussten. Im Transsexuellengesetz ist viel davon die Rede, dass, wer seine Vornamen und später seine sexuelle Identität ändern wolle, "mindestens drei Jahre unter dem Zwang" stehen müssen, diese Identität auch zu leben. Dass ein Amtsrichter darüber zu entscheiden habe, gestützt auf das Urteil zweier Gutachter.

Und dass das amtliche Geschlecht nur ändern könne, bei dem eine Operation "eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts" gebracht habe und bei dem klar sei, dass er/sie "dauernd fortpflanzungsunfähig" sei. So steht es bis heute im Gesetz, auch wenn die Verfassungsrichter das für nichtig erklärt haben.

Kein Unterschied

Entwürdigend findet Tessa Ganserer das Prozedere. In den amtlichen Dokumenten steht immer noch der Markus, ist die Tessa ein in Klammern gesetztes Anhängsel. "Warum muss der Staat überhaupt unser Geschlecht erfassen?", fragt sie. "Juristisch macht es keinen Unterschied mehr, ob ich ein Mann oder eine Frau bin." Persönlich schon. Und umso mehr empört es sie, dass "die besser wissen wollen als ich, wer ich bin". Es gibt Länder, denen reicht es, wenn Transidente auf dem Standesamt ihren Willen erklären. In Dänemark zum Beispiel. Oder auf Malta.

Tessa Ganserer hält das für richtig. Wer sich oute, sagt sie, habe einen qualvollen Weg der Erkenntnis hinter sich, der über viele Jahre geführt habe. "Das ist kein Fetisch, den wir ausleben. Es ist das Bedürfnis, sich selbst zu leben, auch öffentlich." Sie selbst hat ihr Leben lang damit gerungen, heimlich ihre eigentliche Identität ausgelebt, dort, wo sie sich ungefährdet gefühlt hat. Zum Beispiel zu Hause bei ihrer Frau, die ihr bis heute eine riesige Stütze sei, sagt sie.

Ihre Söhne wissen Bescheid; sie haben das akzeptiert, ohne Probleme, sagt Tessa Ganserer. Kinder blicken anders auf die Welt, neugieriger, offener, unvoreingenommen. Die Erwachsenen tun das nicht. Vor allem in den sozialen Medien. Seit ihrem Outing bekommt Tessa Ganserer positive Briefe und Zuspruch aus der ganzen Welt. Und unverblümten Hass und Ablehnung ebenfalls.

Grenze liegt bei der Familie

Die schlimmsten Mails und Postings gibt sie an die Sicherheitsbehörden weiter. Niemand, sagt sie, dürfe ungestraft davonkommen, wenn er sie bedrohe, ihr und ihrer Familie den Tod wünsche, sie zum Selbstmord auffordere. "Im Netz verrohen die Sitten", sagt Ganserer, entsetzt, mit welch krimineller Energie manche vorgehen, die sich eigens Fake-Accounts zulegen, damit sie nicht ermittelbar sind.

 

Woher dieser Hass rührt, Tessa Ganserer weiß es nicht. Sie will nur ihr Leben leben, endlich sie selbst sein. Für viele, auch die Wohlwollenden, ist sie dennoch eine Exotin. Manchmal erschüttert es sie, wie direkt die Leute sie fragen, etwa, welche Toilette sie benutzt, als ob sie ein Forschungsobjekt wäre. Dabei sei das doch ganz klar, sagt sie, antwortet aber dann doch, geduldig, immer wieder. Die Grenze ist für sie nur dort erreicht, wo es um ihre Familie geht. "Und unterhalb der Gürtellinie."

Wie es mit ihr weitergeht, beantwortet sie deshalb nur vage. Seit zehn Monaten nimmt Tessa Ganserer Hormone; ihre tiefe Stimme wird bald passé sein. Die Kosten trägt die Krankenkasse, auch die für die Bartentfernung; dafür muss Ganserer allerdings eine Psychotherapie durchlaufen, so verlangt es die Vorschrift. Als ob sie psychisch krank wäre, ein kostspieliger Irrsinn. Natürlich, sagt sie, gebe es Transidente, die nach dem oft jahrzehntelangen Ringen mit sich selbst eine solche Hilfe brauchen. Doch das lasse sich ohne Zwang feststellen.

So wird ihr altes Ego täglich ein bisschen mehr verschwinden aus ihrem Leben, jener Markus, den sie nicht mehr beim Namen nennt. Tessa Ganserer ist endlich das, was sie ihr Leben lang sein wollte.

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