16. August 1970: In den alten Vierteln ist die Miete billig

16.8.2020, 07:00 Uhr
16. August 1970: In den alten Vierteln ist die Miete billig

© Bauer

Ähnlich sieht es in Gostenhof aus. Häuserblöcke mit einem Gewirr von Schuppen und Werkstätten in ungepflegten Hinterhöfen sind in großer Anzahl in der Nähe von Nürnbergs Verkehrsdrehscheibe, dem Plärrer. Viele Wohnungen in diesen Gebieten haben weder Bad noch Dusche, manche nicht einmal WCs. In anderen Stadtgebieten sind die Verhältnisse oft nicht besser. In diesen Vierteln wird die Stadt sanieren müssen. Noch wartet Nürnberg auf das Städtebauförderungsgesetz, das schon lange zur Verabschiedung ansteht.

Zwei Vorteile soll es den Städten bringen: rechtliche Handhaben für die Sanierung, vor allem wirksamere Enteignungsbestimmungen und die finanzielle Hilfe des Bundes. Sanierung ist aber nicht nur eine Rechts-, Finanz- und architektonische Frage. Sie greift in das Leben der Menschen ein und die Probleme, die sich daraus ergeben, versucht die folgende Untersuchung anzureißen. Das Fazit: eine große Aufgabe steht bevor.

Bereits 1965 wurden im Flächennutzungsplan der Stadt zwei Sanierungsgebiete ausgewiesen: Das Bleiweißviertel und der zum Plärrer liegende Teil Gostenhofs – die Gegend um die Bauerngasse. Die Entscheidung, ob auch andere Gebiete und welche zuerst saniert werden sollen, ist nach Auskunft des Stadtplanungsamtes noch nicht getroffen. Eine Gruppe dieser Behörde untersucht zur Zeit alle Grundstücke und Gebäude zwischen der Stadtmauer und dem äußeren Ring. Jedes Grundstück wird dabei nach sieben Merkmalen erfaßt; nach bestimmten Flächenkennziffern, dem Alter der zugehörigen Gebäude und der Zahl der Bewohner. Solche Detailerhebungen liegen bereits für das Bleiweißviertel und einen Teil Gostenhofs vor.

Grundstücke und Gebäude wurden dort nach 13 bzw. 14 Merkmalen erfaßt. Der eigentlichen Sanierung sollen noch umfangreichere Untersuchungen freier Planerbüros vorgeschaltet werden. Diese Arbeiten stecken noch in der Vorbereitung. Die Ergebnisse werden darüber entscheiden, wo in Nürnberg saniert wird und ob Flächen-, Objekt- oder Blocksanierung in Frage kommt. Flächensanierung bedeutet Kahlschlag eines Stadtgebietes und völlige Neuaufforstung. Während bei ihr die Planierraupe alles wegräumt, werden bei der Objektsanierung nur einzelne Gebäude abgerissen oder von Grund auf erneuert. Sie wird dann eingesetzt, wenn in einem Straßenzug neben Abbruchobjekten mehrere neue oder gut instand gehaltene Gebäude stehen.

Probleme der Sanierung im Vordergrund

Bei der Blocksanierung – dem dritten Sanierungsverfahren – werden Häuserblocks neu gestaltet. Diese baulichen Probleme der Sanierung stehen im Vordergrund der Betrachtungen. Eine Reihe sozialer Fragen wird dabei übersehen oder unterschätzt:

1. Mit der Sanierung entstehen Wohnungen mit mehr Komfort in einer schöneren Umgebung. Ein Großteil der Bewohner wird jedoch die erheblich steigenden Mieten nicht zahlen können. Er muß in andere Stadtteile umziehen, etwa in den sozialen Wohnungsbau nach Langwasser oder in die Unterkünfte des Schafhoflagers.

2. Familien in Problemgebieten werden häufig deshalb nicht zu Problemfamilien, weil die niedrige Miete ihnen einen vergleichsweise hohen Lebensstandard und das damit verbundene Prestige sichert. Die Kontakte zu den Nachbarn und Freunden im Stadtteil bewahren sie vor dem sozialen Abgleiten. Ziehen diese Familien nach der Sanierung z.B. nach Langwasser um, so sinkt ihr übriger Lebensstandard durch die höhere Miete, die alten Kontakte gehen verloren, neue können nur schwer angeknüpft werden, weil sie aus einem Stadtteil mit „schlechtem Ruf“ kommen. Sie werden zu Problemfamilien, zu Fällen für die Sozialämter.

3. Die alteingesessene Stammkundschaft und die kostengünstige Miete halten viele kleine Einzelhändler und Handwerker in Sanierungsgebieten über Wasser. Nach der Sanierung werden jedoch neue Bewohner höhere Ansprüche an Sortiment und Bedienung stellen, eine neue Stammkundschaft kann nur langsam aufgebaut werden, die Mietbelastung steigt. Für viele Selbständige bedeutet dies Verlust der Existenzgrundlage. Zum Aufbau einer neuen fehlt vielleicht der Mut, sicher jedoch das Kapital.

Diese Probleme werden nicht auf alle Mieter, Familien und Gewerbetreibende In den Sanierungsvierteln zukommen. Ganz ohne Schmerzen läuft jedoch keine Sanierung ab. Sie soweit wie möglich zu vermeiden und dort, wo sie auftreten, zu lindern, ist eine schwere Aufgabe, ein Prüfstein für die soziale Einstellung einer Stadtverwaltung.

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