18. August 1970: Heimstatt im Zelt gesucht

18.8.2020, 07:00 Uhr
18. August 1970: Heimstatt im Zelt gesucht

© NN

Mittlerweile haben sie resigniert: Seit fünf Wochen haust der Monteur mit seiner Frau nun in einem winzigen Zelt auf dem Campingplatz. Eine Wohnung haben sie bis auf den heutigen Tag noch nicht gefunden — und die Frau erwartet bald ein Kind.

Private Wohnungsangebote waren der jungen Familie oft zu teuer, oder der Vermieter wollte ihren Hund nicht dulden. Auch der Weg zur Wohnberatungsstelle der Stadt hat eich nicht gelohnt. „,Wir können leider nichts für Sie tun.´ Damit hat man mich wieder auf den Campingplatz geschickt", sagte Christi W.

Dieser und andere Falle werfen die Frage auf: Kann die Stadt Nürnberg im Zeitalter des „weißen Kreises" noch Wohnbedarf in eigener Regie decken? Wir sind dem Problem nachgegangen. Das ist das Ergebnis: Knapp 480.000 Nürnberger Bürger belegen gegenwärtig rund 185.000 Wohnungen.

Weil die Stadt 1965 die eigene Wohnraumbewirtschaftung aufgegeben hat, verfügt sie heute nur über das Belegungsrecht in Häusern aus dem sozialen Wohnungsbau, eigenem Besitz und in Gebäuden der Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft WBG. Mit Zuschüssen hat sie sich bei anderen Bauträgern außerdem ein Mietvorschlagsrecht gesichert.

Zusammen kann das Amt für Wohnungs- und Siedlungswesen kaum über die Hälfte der 67 000, mit öffentlichen Mitteln geförderten Wohnungen verfügen. Im Rathaus geben sich die Bewerber vor der Wohnberatungsstelle im Rathaus die Klinke in die Hand. Ein großer Teil muß jedoch abgewiesen werden. Nur selten wird eine der verfügbaren Wohnungen frei.

Der Leiter des Amtes, Alfred Maas: „Das ist für uns ein Tropfen auf den heißen Stein. Auf jedes leerstehende Zimmer hoffen schon eine Menge Leute." Jahrelange Wartezeiten sind keine Seltenheit. 4.500 Fälle, oft kinderreiche Familien, wurden bisher in diesem Jahr registriert. 2.000 junge Ehepaare suchen ihr neues Nest, 1.500 Umsiedler oder Evakuierte wollen untergebracht sein.

Auch Baumaßnahmen der Stadt nehmen Bürgern alten Wohnraum weg: so müssen 1.000 Familien, deren Haus dem U-Bahn-Bau, dem Kanal oder der Auflockerung der Wohnungsdichte zum Opfer fallen wird, entschädigt werden. Auch die Beseitigung von Behelfsunterkünften setzt neue Unterbringungsmöglichkeiten voraus.

Natürlich bleibt jedem Wohnungssuchenden noch der freie Markt. Doch gerade für Nürnberger, die sich nach einer Sozialwohnung umsehen müssen, sind die hohen Ausgaben und Mieten oft unerschwinglich.

Die Wohnberatungsstelle nimmt sich nur besonderer Fälle an: der Haushaltsvorstand darf nicht mehr als 9.000 DM im Jahr verdienen, für jeden Familienangehörigen werden 2.400 DM zugeschlagen. Dies gilt jedoch nur, wenn keiner der Mitverdienenden mehr als 6.000 DM im Jahr nach Hause bringt.

1968 konnte die Stadt Nürnberg den Wohnungsbau noch mit 27.598.700 DM aus Bundes- und Landesmitteln fördern. Schon 1969 waren diese Zuweisungen auf rund 19 Millionen zusammengeschrumpft. Das hatte zur Folge, daß die Bewilligung von Wohnungsförderungen um 33 Prozent zurückgingen.

Alfred Maas: „Wenn wir optimistisch sind, können wir in diesem Jahr noch 1.500, vielleicht sogar etwas mehr Wohnungen übergeben." Darauf hofft aber schon eine lange Warteliste mit Nürnberger Bürgern. Nicht einmal ein Drittel der Bewerber wird deshalb 1970 ein neues Heim bekommen.

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