19. August 1970: Statt der Pflege Schläge?

19.8.2020, 07:00 Uhr
19. August 1970: Statt der Pflege Schläge?

© NN

Georg K. war ein schwerer Pflegefall. Fand er in Obernzenn die richtige Pflege? Das ist die Frage, die seine Witwe entschieden verneint, und auf die Gesundheitsminister Käte Strobel – wie wir berichteten – nun eine Antwort sucht. Sie hat mit den Hinterbliebenen am Sonntag einen Termin vereinbart. Als ihn Uffenheimer Sanitäter am 23. Februar auf einer Bahre aus dem „Feierabendhaus“ trugen, entdeckte Anna K. am Hinterkopf ihres kranken Mannes einen Bluterguß von der Größe eines Handtellers. Ob Georg K. sich den blauen Fleck durch einen Sturz zugezogen hat, oder ob er, wie Anna K. klagt, geschlagen wurde, bleibt im dunkeln.

Heimleiterin Margarete Weber erklärt den Bluterguß so: „Herr K. hat immer getobt und war geistig nicht mehr richtig da. Oft haben wir ihn zu dritt bändigen müssen.“ Der Patient sei so unruhig gewesen, daß man nachts eine schwere Kommode vor sein Bett gestellt habe, damit er die Liegestatt nicht verlassen konnte. Er habe die Kommode jedoch umgeworfen, die Gardinen heruntergerissen und die Nachtruhe der übrigen Insassen gestört.

Von Schlägen will Margarete Weber nichts wissen: „Wenn jemand geschlagen wurde, dann waren wir es.“ Den Angehörigen wirft die Frau vor, die Heimleitung bei der Einlieferung des Mannes über dessen Krankheitszustand im unklaren gelassen zu haben. Als sie nach 14 Tagen darum gebeten habe, den Patienten wieder abzuholen, habe Anna K. abgelehnt. Sie mußte sich zu dieser Zeit einer Unterarmoperation in der Erlerklinik unterziehen. So blieb Ehemann Georg fast genau einen Monat in Obernzenn, bevor er von seiner Frau nach Nürnberg gebracht wurde. Bei seinem Tode im Krankenhaus stellten die Ärzte fest: Lungenentzündung, Herzschwäche, Durchblutungsstörungen, schwerst reduzierter Allgemeinzustand. Blaue Flecken wurden nicht erwähnt.

Nürnberg geht Beschwerden nach

Das Sozialamt der Stadt Nürnberg ging Wochen später der Beschwerde eines anderen Insassen nach. Verwaltungsrat Heinrich Ries: „Am 25. Juni schrieben wir einen Brief an das Landratsamt Uffenheim und baten, in Obernzenn nachzusehen, was es mit den angeblichen Mißständen auf sich habe.“ So kam der Stein ins Rollen.

Die Uffenheimer Kommission bestätigte die Beschwerden. Der Leiter des Sozialreferats am Landratsamt, Kurt Woyna (53), stieß auf „mehr als schlechte Zustände“. Es gab weder einen geprüften Pfleger, noch eine Krankenschwester. Die im Dachgeschoß des Hauses ausgebauten Räume hatten nicht die vorgesehene Mindesthöhe, die Beleuchtung war für die alten Leute viel zu dunkel, die sanitären und hygienischen Einrichtungen waren äußerst mangelhaft.

Das Altenheim war überdies vom Landratsamt nur als eine Gaststätte mit Pension zugelassen. Folgen der Untersuchung: das Landratsamt hat bei der Regierung Mittelfranken die Schließung des Heims beantragt. Woyna zu den „NN“: „Ich kann keine Leute da reinlegen, weil ich keine Garantie habe, daß diese Mißstände aufhören.“ Die Behörden suchen jetzt neue Pflegestellen.

Für Margarete Webers Heim legt der Nürnberger Baumeister Hans F. seine Hand ins Feuer. Seine Mutter war über ein Jahr in Obernzenn und starb dort vor drei Monaten nach langem Siechtum. An der Pflege habe es nicht gemangelt, versichert Hans F., wenngleich ihm nicht bekannt sei, ob geschultes Personal diese Pflege besorgte. Aber einen Pflegeplatz in Nürnberg (es gibt deren 907) habe er nicht gefunden. Sie waren alle belegt. Der Baumeister resignierte: „Wenn ich bei kirchlichen Verbänden anfragte, hieß es, ich könne einen Platz bekommen, so es der Herrgott will – zu deutsch: so die Heiminsassen wegsterben.“

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