20. August 1970: Von der Preislawine überrollt
20.8.2020, 07:00 UhrWerner Röthel, kaufmännischer Geschäftsführer der DEBA, die im fränkischen Raum bisher 4500 Eigentumswohnungen gebaut und verkauft hat, klagt: „Ich bin entsetzt.“ Nach seinen Erfahrungen sind die Baukosten in den letzten beiden Jahren bis zu 80 Prozent gestiegen. Ottmar Sulzer, Gesellschafter der EIWO-Bau: „1968 zahlten wir 450 DM pro Tonne Baustahlgewebe. Jetzt liegen wir bei 1000 DM.“
Die Folge: die Bauträgergesellschaften, über die heute der überwiegende Teil der Eigenheimbauten abgewickelt wird. können die Festpreise nicht mehr in allen Fällen halten. Die Vorverträge die den notariellen Vereinbarungen vorausgehen, sind teilweise nicht mehr einzuhalten. Die künftigen Besitzer, zum großen Teil Bausparer, müssen in mehreren Fällen mehr bezahlen. Trotzdem berichten die Bauträgergesellschaften von Rekordumsätzen, auch bei erhöhten Preisen wird die Flucht in die Sachwerte stärker.
Die Firmen kämpfen um jeden Maurer
Eigener Baubetrieb als reine Notmaßnahme gegen den Lohndruck – Bausparer zahlt für eigenes Kapital noch Zinsen
Ein Bausparer: „Mir wurde von der DEBA zugesagt, daß mit dem Bau meines Reihenhauses im Februar 1970 begonnen wird. Bis jetzt ist noch nichts geschehen. Mir entstanden Mehrkosten von etwa 3000 DM durch Zinsen – beispielsweise muß ich für mein eigenes Kapital 11 Prozent zahlen. Die weiterlaufende Miete ist dabei noch nicht einmal eingeschlossen. Trotzdem kann ich nicht einmal besonders klagen. Ich habe für 109 000 DM notariell abgeschlossen. Dieser Festpreis bleibt. Inzwischen wird das Reihenhaus dieser Größenordnung bereits mit 126 000 DM gehandelt.“
Die großen Nürnberger Bauträgergesellschaften – wir befragten DEBA und EIWO-Bau – bestätigten: „Notariell beglaubigte Verträge werden eingehalten, trotz der gestiegenen Baupreise, trotz der Tatsache auch, daß wir teilweise glatt draufzahlen.“ Anders ist die Lage dann, wenn nur ein Vorvertrag besteht. Ottmar Sulzer von EIWO-Bau: „Bei der unüberschaubaren Preissituation müssen wir dem Käufer heute leider sagen, daß eine Beurkundung beim Notar nur möglich ist, wenn der Preis nach oben korrigiert wird. Allerdings nehmen wir vor der notariellen Verbriefung kein Geld, der Käufer hat also keinen Verlust. Mit dieser Offenheit ist dem Kunden mehr gedient, als wenn die Bauträgergesellschaft zum vorher vereinbarten Preis baut und dann mittendrin Pleite macht.“
Werner Röthel von der DEBA: „Wir können den Käufern nur zwei Möglichkeiten bieten: Entlassung aus dem Vertrag, das ganze bereits bezahlte Geld zuzüglich der gesetzlich vorgeschriebenen Zinsen von vier Prozent zurück. Oder aber: ein höherer Preis.“
Besonders betroffen von dieser harten Maßnahme ist ein Teil der künftigen Bewohner der Noricus-Anlage (DEBA) am Wöhrder See. Die Vorverträge wurden um die Jahreswende 1968/69 abgeschlossen. Die behördliche Genehmigung der Anlage C zog sich über ein Jahr hin. Inzwischen liefen die Baupreise davon. Sollte ursprünglich der Quadratmeter etwas unter 1000 Mark kosten, so konstatiert Werner Röthel heute einen Preis von 1280 Mark. Das ist eine Steigerung von etwa 28 Prozent. Die Empörung der künftigen Bewohner von Anlage C ist deswegen besonders lautstark, weil gleich nebenan, in der Anlage B, alles beim ursprünglichen Festpreis bleibt. Dort war das behördliche Genehmigungsverfahren wesentlich rascher abgeschlossen, so daß auch die notariellen Beurkundungen schneller erfolgen konnten. In diesen Fällen vertritt die DEBA die Auffassung: „Was beim Notar unterschrieben ist, gilt.“
Die Bauträgergesellschaften geben freimütig zu, daß die Situation für sie nicht eben angenehm ist, zumal sie mit Ausnahme der Eiwo-Bau, seit einigen Monaten ihre Werbung zum großen Teil auf Festpreise abgestimmt haben. Andererseits können sie geltend machen: „Noch nie hat es eine solche Entwicklung gegeben.“ (Werner Röthel). Und Ottmar Sulzer fügt hinzu: „Es ist außerordentlich schwierig, überhaupt noch Baufirmen zu finden. Wir müssen uns buchstäblich um jeden einzelnen Maurer bemühen. Die Firmen überbieten sich mit Lohnangeboten im Kampf um den einzelnen Mann. Die EIWO-Bau hat im Frühjahr den eigenen Baubetrieb „Reformbau“ mit 100 Beschäftigten gegründet – eine reine Notmaßnahme, um wenigstens in etwa dem ungeheueren Lohndruck zu begegnen.
Ein maßgeblicher Nürnberger Baufachmann sieht die Dinge freilich etwas anders: „Gewiß sind die Löhne erheblich gestiegen, aber andererseits sinkt angesichts der wachsenden Rationalisierung auf dem Bausektor der Lohnanteil an den Gesamtkosten. Ich habe den Eindruck, daß die Profite der Bauunternehmen noch schneller steigen als die Baupreise.“
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