7. November 1970: Im schlechten Geruch blüht das Geschäft

7.11.2020, 07:00 Uhr
7. November 1970: Im schlechten Geruch blüht das Geschäft

© Friedl Ulrich

Den Besuchern schien es nicht viel auszumachen. Um 10 Uhr wurden die Tore geöffnet und schon eine Viertelstunde später wurde die Zahl der Besucher in der tausend Quadratmeter großen Halle auf etwa 1500 geschätzt.

Die Menschen, vorwiegend Männer, drängten und stießen sich und rieben sich aneinander und sie guckten und sie wollten etwas sehen und sie erblickten – letztendlich – nichts. Denn vor 10 Uhr, da waren sie schon da, der Herr Staatsanwalt und die akribischen Herren Beamten vom städtischen Ordnungsamt, und sie entfernten so ziemlich alles, was so aussah, als könnte es ein öffentliches Ärgernis erregen.

7. November 1970: Im schlechten Geruch blüht das Geschäft

© Ulrich

Es ist eine Stunde vor der Eröffnung der Messe. Im kleinen Büro neben der Halle drängen sich die Angestellten und einige Presseleute um die Messeleitung herum. An der Wand hängt ein Bild von vier siegreichen Ringermannschaften des SC 04. Die Muskelmänner im Trikot blicken ernst in den Raum. Im Jahr 1930 haben sie alle ihre Gegner auf die Matte gelegt.

Insofern ist durchaus ein Bezug zur Sexmesse herzustellen. Nur soll der Schultersieg auf der Matte unter freundlicheren Aspekten vonstatten gehen. In dem Zimmerchen sind auch die Mädchen, die später die Besucher in durchsichtiger lila Bluse begrüßen werden. Die Sex-Hostessen sehen so normal aus, daß sie auf der Straße kaum auffallen dürften. Sie sind 20 bis 25 Jahre alt und verraten nicht, was sie Zivilberuf so treiben. Die eine sagt nur geheimnisvoll, daß sie an einer beinahe kirchlichen Institution beschäftigt sei.

Die Zeitungsleute dürfen ein bißchen Oben-ohne-Mädchen fotografieren. Davon gibt's die verschiedensten Sorten, dezente und üppige, wohlgeformte und solche, die der Kunst eines guten Statikers durchaus bedürften. Von Erotik keine Spur.

Doch dem Staatsanwalt ist selbst dies zuviel. Plötzlich kommt der Befehl über den Lautsprecher: „Alles anziehen“, und die weiblichen Wesen schlüpfen wieder in ihre spärlichen Textilien. Rechtsanwalt Vetter, bekannt aus APO-Prozessen, steht auch herum und achtet darauf, daß der Staatsanwalt seine Kompetenzen nicht überschreitet. Aber der Vetter kann nichts Böses finden.

Nichts, was nicht schon zu haben wäre

An den Ständen gibt es nichts, was man nicht in Sex-Boutiquen auch haben könnte. Die Preise sind ganz schön geschmalzen. 15 Meter Film kosten 49 Mark, eine Langspielplatte, auf der man eine halbe Stunde lang etwa das Gestöhn eines Asthmatikers und das Gekeuche einer augenscheinlich Schwindsüchtigen hört, wird für 25 DM feilgehalten.

Hochinteressant für den Sexual-Laien ist die Vielzahl an Peitschen und ähnlichen Folterinstrumenten. Für einen Preis von 40 bis 150 DM und auch noch einiges darüber kann man inklusive und mit Hilfe einer kompletten Fesselungsgarnitur die Phantasien des Marquis de Sade oder umgekehrt eines Sacher-Masoch nachvollziehen.

Ein kleines Kino führt nonstop den Film „Die lesbische Chefin“ vor. Der Besucher wartet ununterbrochen, daß in dem Streifen etwas geschieht. Es passiert aber nichts. Die lesbische Chefin und ihr sogenanntes Opfer trennen sich am Ende ungeküßt und auch der Betrachter geht. Nur ein bißchen frustrierter als er vorher war.

Im Laufe des gestrigen Tages drängten Nürnberger und auswärtige Gäste immer mehr zur Stätte vermeintlicher Wollust. Die Halle mußte zeitweilig gesperrt werden. Im Innern konnte man sich nur noch millimeterweise bewegen und die Polizei mußte Sonderkommandos in die Rollnerstraße zur Regelung des (Straßen-)Verkehrs entsenden. Demonstranten wurden keine gesichtet und böse Zungen behaupteten, daß der ominöse Sex-Gegner und Rechtsanwalt Roeder aus Bensheim eine Erfindung der Veranstalter ist.

Am Nachmittag gegen 14.27 Uhr hatte sich auch der Staatsanwalt augenscheinlich von der Harmlosigkeit des Gebotenen überzeugt. Es kam der Befehl: „Brust frei!“ Mit der Einschränkung allerdings, daß die Damen die Warzen zu bedecken haben. Könnte ja sein, daß es Menschen gibt, die an dieser Stelle der weiblichen Anatomie etwas ganz anderes vermuten. Die Damen jedenfalls, die hübschen und die weniger schönen, folgten brav wie ein Mann der liberalen Jurisdiktion und machten sich frei.

Gestern abend jedenfalls stank es immer noch auf dieser Messe. Letzte Gerüchte besagten, daß die Buttersäure zusammen mit faulen Eiern in der Nacht auf den Toiletten verspritzt und zertrümmert worden sind. Sei es wie es sei, trotz schlechtem Geruch: die Geschäfte gehen gut.

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