75 Jahre NN: Chefredakteur Buschmann verschaffte bundesweites Ansehen

Hans Peter Reitzner

Leiter der Außenredaktionen

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9.6.2020, 11:48 Uhr

Er bezog den Satz auf einen journalistischen Handstreich, der ihm als junger Reporter großes Renommee, aber seltsamerweise auch einen Hemmschuh seiner Karriere beschert hatte. Charles Lindbergh, Bezwinger des Luftweges über den Atlantik in West-Ost-Richtung im Alleinflug, wurde in Paris am 21. Mai 1927 wie ein Pop-Star heutzutage empfangen, nachdem das Unterfangen der Ozeanflüge zuvor viele Todesopfer gefordert hatte.


Die Geschichte der Nürnberger Nachrichten


Buschmann, nach eigenen Worten damals "als fünftes Rad am Wagen im Pariser Redaktionsbüro des Ullstein- Verlages" unterwegs, der unter anderem die einflussreiche Vossische Zeitung herausgab, der 19-jährige Buschmann also wollte der Pressemeute folgen und Material für einen Lindbergh-Bericht sammeln. Doch der hochpolitisch interessierte Leiter des Ullstein-Büros, Dr. Leo Stahl, verpasste dem Nachwuchs-Reporter einen "furchtbaren Anpfiff, denn natürlich interessiere sich kein Mensch für diesen verrückten Ozeanflieger". Der Reporter freilich büxste dennoch aus, recherchierte und gab noch in der Nacht – gegen die Regel – einen Bericht nach Berlin durch.

Frühmorgens klopfte ein äußerst betretener Dr. Stahl an Buschmanns Tür, denn Berlin wollte"ganz sonderbar und unverständlich" mehr über den Ozeanflieger, und schließlich rief einer der Ullstein-Brüder höchstpersönlich an und forderte, alles aufzubieten, und wenn es 10000 Dollar kosten würde. Lindbergh residierte im Haus des amerikanischen Botschafters Myron T. Herrick und hatte mit einer US-Nachrichtenagentur einen Ausschließlichkeitsvertrag geschlossen. Kein Journalist eines anderen Mediums bekam Zugang.

Roland Buschmann schlenderte abends durch die Stadt und vor das US-Botschaftsgebäude, wo Tausende anstanden, um Lindbergh für ein paar Minuten auf dem Balkon zu sehen. Der Rest ist Pressegeschichte: Buschmann spielte unmittelbar an der Absperrung mit dem Töchterchen des Concierge gemütlich Ball und kam ins Gespräch mit dem Hausmeister, der ihm schließlich riet, doch am anderen Morgen um 9 Uhr wiederzukommen, um ihn dann im Schlepptau zweier Honoratioren flugs in die Botschaft zu stoßen.

Was folgte, war mit Hilfe des anwesenden Dolmetschers ein rasches Interview, wobei der spätere Nazi-Bewunderer Lindbergh bereitwillig Auskunft gab und sogar auf Briefbogen des Ullstein-Verlags der Vossischen Zeitung, der BZ am Mittag und der Morgenpost Unterschriften gewährte. Buschmann floh und stotterte aufgeregt seinen Bericht vom einzigen Interview, das der Flieger einem europäischen Journalisten gegeben hat, nach Berlin durch. Gut bekam dem Greenhorn sein Coup nicht: Bürochef Stahl fasste die Eigenmächtigkeit als Affront auf. Wenig später kündigte Buschmann.

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