9. Oktober 1970: Gift bedroht Nürnbergs Kläranlagen

9.10.2020, 07:31 Uhr
9. Oktober 1970: Gift bedroht Nürnbergs Kläranlagen

© NN

In der Regel gehen alle Abwässer diesen Weg: aus den Klärbecken fließt das verunreinigte Wasser zur biologischen Klärung weiter. Zurück bleibt der übelriechende Frischschlamm, der ausfault und Gase abstößt. Das Gas – etwa 12.000 Kubikmeter am Tag – wird dem Stadtgas beigemischt, der ausgefaulte und geruchlos gewordene Schlamm kann als Dünger verkauft werden.

Am Montag jedoch wurden die Abwasser-Experten stutzig: als das für die richtige Zersetzung symptomatische Klärgas ausblieb, wurden Schlammproben entnommen. Das Labor stellte fest, daß 10.000 Kubikmeter Frischschlamm vergiftet sind. Jeder Kubikmeter enthält mindestens 1,7 Kilogramm Chromsalz. Schon 500 Gramm hätten genügt, den natürlichen Faulprozeß zu zerstören.

Gegenwärtig versucht die Abwasserreinigung, das giftige Chromsalz zu isolieren. Im Faulei wurde Frischschlamm mit geringem Chromgehalt beigemischt. Die Giftblase soll nach unten wandern und kann dann abgelassen werden. Doch Dr. Hans Hartmann ist skeptisch: „Ob das funktionieren wird, ist sehr fraglich. Wir können nichts tun, als hoffen.“

Falls dieser Versuch keinen Erfolg hat, müßte die gesamte Kläranlage neu eingearbeitet werden. Dies würde einen Zeitverlust von einem Vierteljahr und Kosten bis zu 400.000 Mark bedeuten.

Ein weiteres Problem scheint schier unlösbar zu sein: jeden Tag fallen rund 750 Kubikmeter Schlamm an, die keinen Platz finden, und mit Lastwagen abgefahren werden müßten. Der ekelerregende Geruch schließt eine Ablagerung in dichtbesiedeltem Gebiet aus. Bis heute ist kein geeigneter Ort in Aussicht.

Die Nachforschungen nach dem Betrieb, der das Chromsalz in die Kanäle abgeleitet hat, laufen auf vollen Touren. Der Kreis wurde zusehends kleiner: eine Rückfrage beim Sondermüllplatz in Schwabach ergab, daß nur diese Firmen in Frage kommen, die ihre Abfälle nicht dorthin gebracht haben. Falls der Schuldige ermittelt wird, sind ihm hohe Schadenersatzforderungen sicher. Dr. Hartmann: „Vielleicht war es auch nur ein Arbeiter, der ohne Wissen seiner Firma gehandelt hat. In jedem Falle wurde ein riesiger Schaden angerichtet.“

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