Zeit für letzte Reden
Ausscheider aus dem Bundestag: "Niemals geht man so ganz"
24.6.2021, 08:00 UhrIrgendwann zwischen 9:00 und 10:30 Uhr dürfte es heute morgen so weit sein. Christian Schmidt, Abgeordneter aus Fürth, wird von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble ans Rednerpult des Parlaments gebeten werden. Natürlich erst, wenn ein Saaldiener das Pult desinfiziert und ein frisches Glas Wasser dort aufgestellt hat. Für den 63-Jährigen dürfte es etwa die 500. Bundestagsrede sein, wie er selbst schätzt.
Aber es wird auch eine ganz besondere sein: nämlich die letzte. Nach 31 Jahren im Bundestag hört er auf. Er hatte eigentlich noch eine Legislaturperiode dranhängen wollen, aber dann wurde ihm vom UN-Sicherheitsrat das Amt des Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina angeboten. Er musste einsehen, dass beides nicht zu vereinbaren ist.
Nun also hat Ex-Landwirtschaftsminister Christian Schmidt nochmal einen kurzen Solo-Auftritt auf dieser ganz besonderen Bühne des Parlaments - nicht allzu spät nach der Regierungserklärung der Kanzlerin zum Europäischen Rat. "In den letzten Tagen und Nächten", sagt er, habe er sich darauf vorbereitet, auch mit Mitarbeitern gesprochen. Trotzdem weiß er: "Vieles, was ich noch zu sagen hätte, passt in die sechs bis sieben Minuten, die mir zur Verfügung stehen, nicht hinein."
Urgesteine im Parlament
Wie nahezu jedes Mal am Ende einer vierjährigen Legislaturperiode verabschieden sich auch dieses Mal bekannte Gesichter. Sehr bekannte sogar. Da wäre der Rangordnung nach als erstes Angela Merkel zu nennen, die exakt so lange Abgeordnete ist wie der Fürther Christian Schmidt. Sie musste sich gerade erst ihrer letzten Regierungsbefragung stellen, heute gibt sie ihre letzte Regierungserklärung ab.
Ein weiteres Urgestein des Parlaments ist Horst Seehofer. Er zog 1980 in den Bundestag ein, als noch Willy Brandt, Herbert Wehner und Hans-Dietrich Genscher dort vertreten waren. Der 71-Jährige gehörte dem Parlament 28 Jahre an. 2008 schied er aus, um bayerischer Ministerpräsident zu werden. Jetzt ist Seehofer zwar oft im Plenarsaal zu sehen, als nur als Bundesinnenminister auf der Regierungsbank. Abgeordneter ist er seit seiner Rückkehr nach Berlin 2017 nicht mehr.
Nur ein sehr kurzes, aber dafür viel beachtetes Gastspiel im Bundestag gab Martin Schulz. Nach langen Jahren im Europaparlament, sogar als dessen Präsident, sollte er für seine SPD 2017 die Wahlen gewinnen. Ein paar Monate lang sah es so aus, als ob das gelingen könnte, man sprach vom "Schulz-Zug", der gewaltig in Fahrt gekommen sei. Aber dann landeten die Sozialdemokraten am Ende bei mageren 20 Prozent. Ein Ergebnis, über das sie heute froh wären, weil sie laut Umfragen weitere vier bis fünf Prozentpunkte verloren haben.
Weder Kanzler noch Minister
Der 65-Jährige wurde weder Kanzler noch erhielt er das ersehnte Amt des Außenministers. Schulz blieb vier Jahre lang ein Hinterbänkler, wenn auch einer mit bekanntem Namen. Die eine odere andere Wortmeldung sorgte noch für Aufsehen, etwa eine Wutrede gegen die AfD.
Nun ist er Vorsitzender einer der ältesten politischen Stiftungen in Deutschland, der Friedrich-Ebert-Stiftung. Sie beschäftigt weltweit knapp 600 Menschen und hat einen Etat von 200 Millionen Euro. Schulz wird also weiterhin gewaltigen Einfluss auf die Politik haben - zwar nicht als MdB, aber im vorpolitischen Bereich.
Eher leise und pflichtbewusst, wie es seine Art ist, verabschiedete sich Ex-Bundesinnenminister Thomas de Maizière aus dem Parlament. Er nutzte seine letzte Rede, um nicht sich oder seine CDU in den Mittelpunkt zustellen, sondern um für eine Zukunft der Volksparteien zu werben. Der 67-Jährige sprach ausdrücklich in der Mehrzahl. De Maizière hatte drei Mal nacheinander den Wahlkreis Meißen in Sachsen direkt gewonnen, zuletzt nur ganz knapp vor dem Kandidaten der AfD.
Fast schon vergessen
Fast schon vergessen hat man den Abgeordneten Volker Kauder, der ebenfalls mit den Wahlen vom September ausscheiden wird. Dabei war er mal ein ganz wichtiger Strippenzieher. Als Fraktionsvorsitzender der Union hielt er der Regierung Merkel 13 Jahre lang den Rücken frei, ehe er 2018 in einer Kampfabstimmung unterlag. Seitdem war nicht mehr sehr viel von ihm zu vernehmen.
Es sind nicht nur die bundesweit bekannten Namen, die aufhören. Der ehemalige Neumarkter Oberbürgermeister Alois Karl (CSU), viele Jahre Mitglied im Haushaltsausschuss, gehört dazu. Ebenso wie der Ansbacher Linken-Parlamentarier Harald Weinberg, ein Experte für Gesundheitspolitik. Bei der FDP verabschiedet sich der 80-jährige Hermann Otto Solms, bei der SPD der Finanzfachmann Lothar Binding. Er erhielt von der grünen Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth das Kompliment, "sechs Legislaturperioden diesen Laden gerockt" zu haben.
Bindings Erkennungsmerkmal war es gewesen, immer wieder mit einem roten Meterstab (Sozialdemokrat, klar) ans Rednerpult des Bundestages zu treten. Auf diese Weise versuchte er, komplizierte finanzpolitische Fragen zu veranschaulichen. Zum Beispiel so: "Wenn in einem Unternehmen die Leute im Durchschnitt vier Zentimeter verdienen, also der Reinigungsdienst vielleicht zwei Zentimeter und die Ingenieurin acht Zentimeter, dann verdienen die Manager 50 Mal so viel, nämlich zwei Meter."
Oft mit Wehmut
Oft ist Wehmut herauszuhören aus den letzten Worten im Parlament. Die Betroffenen wissen, dass sie nie mehr eine solch bedeutende Bühne erhalten werden. Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) bediente sich eines sehr bekannten Liedes der Kölnerin Trude Herr. "Niemals geht man so ganz", sagte sie. Im Originaltext heißt es dann weiter "Irgendwas von mir bleibt hier / Es hat seinen Platz / Immer bei Dir".
Lambrecht ist eine ungewöhnliche Aussteigerin, weil sie erst 55 Jahre alt ist. Weder wurde sie von ihrer Partei nicht mehr aufgestellt noch hatte sie einen Skandal zu bewältigen. Sie war nach eigener Aussage einfach der Meinung, es reiche, 22 Jahre lang aus dem Koffer gelebt zu haben. Sie sei "in einem Alter, wo man noch was Neues beginnen kann".
Statistiken zu Folge gehören Abgeordnete dem Parlament gar nicht so lange an, wie man das vermuten würde. Es ist ja immer davon die Rede, wer einmal ein Mandat habe, der gebe es nicht mehr her. Doch im Durchschnitt ist nach 10,1 Jahren schon wieder Schluss mit der Tätigkeit als Volksvertreter. Und so kommt es dazu, dass nach jeder Wahl ein Drittel der Mitglieder des Bundestages ausgetauscht wird.
Mit 41 ist schon Schluss
Manchmal wird ein Weggang ausdrücklich auch von der politischen Konkurrenz bedauert. So war es etwa bei dem Linken Fabio de Masi (41), der nach drei Jahren im Europäischen Parlament und vier Jahren im Bundestag aufhört. Er galt als hartnäckiger und kompetenter Nachfrager im Finanzausschuss. Nun macht er mit deutlichen Worten gegenüber den eigenen Parteifunktionären Schluss: In seiner jetzigen Lebensphase, so schrieb er in einer Erklärung, möchte er "meine Energie nicht in eingeübten Ritualen und Machtkämpfen verausgaben".
Einer ist von der Abschiedswelle nicht betroffen - der eingangs zitierte Präsident Wolfgang Schäuble (78) kandidiert noch einmal, dürfte seinen Wahlkreis wohl spielend gewinnen und wird dann im nächsten Jahr sensationelle 50 Jahre lang ununterbrochen Bundestagsabgeordneter gewesen sein. Das hat niemand vor ihm geschafft. Ein guter Teil der Abgeordneten dürfte in der kommenden Legislaturperiode weniger Lebensjahre aufweisen können als Schäuble Parlamentsjahre.
Info: Christian Schmidts letzte Rede ist heute live im Parlamentsfernsehen unter www.bundestag.de/mediathek und beim TV-Sender Phoenix zu verfolgen.
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