Digitalisierung
Behörden, Breitband und Gemüsehobel: Wie digital ist Bayern?
1.6.2021, 06:10 UhrGibt es überall schnelles Internet?
Im Januar sorgte das Bild einer Schülerin aus Vierkirchen (Kreis Dachau) für Aufregung: Bei 0 Grad Außentemperatur saß die Schülerin eingepackt in Mütze und Schal im Garten, um dort möglichst ruckelfrei ihr Referat für den Unterricht vorzutragen. Das Netz im Haus war schlichtweg nicht ausreichend dafür. Das bewegte sogar Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) dazu, sich dem Problem persönlich anzunehmen.
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Laut Heimatministerium sind in Bayern mehr als 97% der Haushalte bereits mit schnellem Internet versorgt. "Nach Abschluss der laufenden Projekte werden es sogar 99 % sein", erklärt Heimatminister Albert Füracker (CSU). "Schnelles Internet", davon spricht man, wenn eine Versorgung mit mindestens 30 Mbit/Sekunde gegeben ist, also ein Film ruckelfrei abgespielt wird. In der Region sieht es dabei ganz gut aus: Mit schnellen Internet versorgt sind 98,1 Prozent der Haushalte in Mittelfranken, 97,2 Prozent der Haushalte in Oberfranken und 97,7 Prozent in Unterfranken. Genauere Auskünfte, wie schnell vor Ort gesurft wird, liefert der Breitbandatlas des Bundes.
Was ist ein Giganetz?
Um schnelleres Internet zu erhalten, fördert der Freistaat den Ausbau von Netzen auf Gigabit-Geschwindigkeit. Das soll Gewerben ermöglichen mit in einer Geschwindigkeit von einem Gbit/Sekunde zu surfen, Privathaushalte sollen dadurch mit mindestens 200 Mbit/Sekunde unterwegs sein. Allerdings müssen sich die Kommunem um diese Förderung selbst bemühen, denn sie besitzen die kommunale Planungshoheit. Der Freistaat kann also gar nicht bestimmen, wo ausgebaut werden soll. Wer Glasfasernetz will, kann dafür bis zu 90% der Kosten über Förderungen finanzieren. Als erste Kommune in Europa konnte Berching in einem Pilotprojekt ein sogenanntes "Giganetz" ergattern, allerdings nur in den Industrie- und Gewerbegebiete. Private Wohnungen profitieren davon kaum. Die Kosten für das Projekt: 177.600 Euro, davon musste die Gemeinde knapp 71.000 Euro selbst zahlen.
Gibt es schon W-Lan im Nahverkehr?
Von einer Netzgeschwindigkeit wie in Berching können Fahrgäste im öffentlichen Nahverkehr bisher nur träumen. 2018 hatte sich Ministerpräsident Markus Söder (CSU) in seinem Regierungsprogramm zum Ziel gesetzt, "bis 2020 den gesamten ÖPNV mit W-Lan ausstatten." Sebastian Körber, FDP-Landtagsabgeordneter aus Forchheim, wollte vom bayerischen Wirtschaftsministerium wissen, ob Söder dieses Ziel gelungen ist. Die traurige Bilanz: Nur 7,5 Prozent der rund 800 Personenzüge im Freistaat konnten bis Dezember vergangenen Jahres mit W-Lan ausgestattet werden. "Das ist ein Armutszeugnis, das seinesgleichen sucht. Söders Ziel ist krachend gescheitert", reagierte Körber und fordert mehr Investitionen in diesen Bereich.
Wie digital ist die Verwaltung in Bayern?
Den Behörden wird besonders oft vorgeworfen, bei der Digitalisierung hinterherzuhinken. Um auch in diesen Bereich schneller zu digitalisieren, hat sich der Bund etwas ausgedacht: Das sogenannte Onlinezugangsgesetz (OZG). Darin ist geregelt, dass bis Ende 2022 den Bürgerinnen und Bürgern Verwaltungsleistungen online angeboten werden müssen.
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Die Umsetzung dieses OZGs lässt sich online verfolgen. Im März 2021 wurden bundesweit lediglich 20 Prozent der Leistungen umgesetzt, 25 Prozent der Leistungen befinden sich in Planung. Bei einem Fachministertreffen Mitte März erklärte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU): "Auf Bundesebene liegen wir bei der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes voll im Plan." Aber was ist mit den Kommunen, wie kommen die voran?
Der Digitalisierungsexperte des Bayerischen Gemeindetages, Georg Große Verspohl, hält eine Umsetzung auf kommunaler Ebene bis Ende 2022 für "sehr ambitioniert". Viele Mitglieder seien zwar zuversichtlich, dass vor allem die großen und wichtigen Leistungen bald digital angeboten werden können, aber eben nicht alles. Problematisch ist, dass viele Gemeinden bisher nicht genau wissen, was sie bis wann genau umsetzen sollen. Teilweise enthält der OZG-Katalog Leistungen, die in der Praxis der Gemeinden keine Rolle spielen. Es sollen aber auch Leistungen digitalisiert werden, die bisher nicht online nachgefragt wurden. Beispiel Anliegerbescheinigung: Wer wissen will, ob für ein bestimmtes Grundstück Erschließungsbeiträge gezahlt wurden, kann dies in kleineren Gemeinden in der Regel einfach telefonisch klären. Online müsste der Bürger zunächst ein Formular ausfüllen.
Generell herrschen bei vielen Gemeinden derzeit Unklarheiten, wie sie einzelne Verwaltungsleistungen umsetzen sollen. Auch der sinnvolle Einsatz von Steuergeldern ist hier eine Frage. Denn: Die meisten Gemeinden kaufen die einzelnen Verwaltungsleistungen bei Softwarefirmen ein. Deshalb besteht wenig Verständnis, wenn Geld für digitale Verwaltungsleistungen ausgegeben werden muss, di ein der Praxis keine Rolle spielen. Dieses Geld fehlt dann an anderer Stelle, zum Beispiel bei der Sanierung von Schulen und Spielplätzen.
Was geht am Forchheimer Landratsamt bereits online?
Im Landkreis Forchheim ist man derzeit dabei, die E-Akte in einzelnen Bereichen einzuführen. Nur so kann später der digitale Antrag eines Bürgers im Amt auch digital bearbeitet werden. Hier zeigt sich die Kehrseite des OZG. Das Gesetz schreibt nur vor, welche Verwaltungsgänge der Bürger bald online erledigen kann. Nicht aber, wie die Behörden den Vorgang bearbeiten sollen. Ausdrucken und wie bisher schriftlich bearbeiten, das wäre Themaverfehlung. Online kann in Forchheim derzeit Sperrmüll beantragt oder ein Termin in der Zulassungsstelle ausgemacht werden. Auch die KFZ-Zulassung, Ummeldung und Abmeldung sind schon digital möglich.
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Wichtig ist auch, dass neben den digitalen Behördengängen auch weiterhin offline gearbeitet wird. Das heißt: Der Bürger kann Onlineleistungen in Anspruch nehmen, muss es aber nicht. Die Umsetzung des OZG ist daher eine Zusatzaufgabe für die oft Personal fehlt. Das zeigt sich auch im Forchheimer Landratsamt. Mit mehr Personal könnte schneller digitalisiert werden.
Welche Hürden gibt es bei der Stadt Erlangen?
Bei der Stadt Erlangen läuft die Umsetzung des OZG-Kataloges derzeit nach Plan. Man ist optimistisch, dass bis Ende 2022 alle Leistungen digital angeboten werden können. Trotzdem wünscht sich die Stadt Hilfe, vor allem vom Freistaat. Denn: "Es gibt immer noch eine gewisse Unsicherheit, welche Leistungen der Bund und das Land zur Verfügung stellen wird.", erklärt ein Sprecher. Welche Leistungen die Kommunen genau erbringen sollen, sei bisher noch offen. Außerdem wüsste man gerne, bis wann, "welche der zentral bereit gestellten Lösungen zur Verfügung stehen werden."
Digital beantragen kann man bei der Stadt Erlangen derzeit unter anderen Meldebescheinigungen und Briefwahlunterlagen. Aber auch die Anmeldung eines Gewerbes und die Bestellung einer neuen Mülltonne ist bereits online möglich.
Wie läuft OZG-Umsetzung in kleinen Gemeinden?
Ein weiterer Knackpunkt im OZG: Auf kleine Gemeinden kommen ähnlich viele Herausforderungen zu wie auf große Städte. Einer der kleinsten Verwaltungsgemeinschaften in Bayern mit nur sechs Mitarbeitern im Rathaus ist Hagenbüchach-Wilhelmsdorf (Kreis Neustadt/Aisch-Bad Windsheim). Für die Digitalisierung zuständig ist dort Matthias Kilian. Er leitet gleichzeitig das Bauamt und ist Geschäftsführer der Verwaltungsgemeinschaft. Wie er erzählt, wurden bei ihnen bisher 25 OZG-Leistungen umgesetzt. "Da könnte auch mehr gehen, aber im Moment scheitert es daran, dass wir einige Sachen nicht für sinnvoll erachten." Zum Beispiel, wenn eine Straßenlaterne kaputt ist. "Da rufen die Leute eher an."
Weiter 15 Dienste wären zwar möglich, allerdings wären diese nicht praktikabel. Teilweise müssten die Bürgerinnen und Bürger dafür nämlich trotzdem ins Amt kommen. Zum Beispiel bei der Neunmeldung: Die könnte man zwar über ein Portal machen, die Adressänderung auf dem Personalausweis bekommt man nur vor Ort. Im Weg stehe dabei laut Kilian auch das Meldegesetz.
Ein weiterer wichtiger Begriff bei der Digitalisierung der Verwaltung ist die sogenannte "Medienbruchfreiheit". Einzelne digitale Leistungen werden von Softwarefirmen eingekauft. Diese einzelnen Programme müssen aber miteinander harmonieren, sonst kommt es zum Bruch. Das heißt, eine Schnittstelle ist nötig, um verschiedene Programme zusammenführen zu können. An dieser Schnittstelle fehlt es beispielsweise bei der Hundesteueranmeldung in Hagenbüchach-Wilhelmsdorf. Der Bürger kann diese zwar online beantragen, in der Verwaltungsgemeinschaft kommt allerdings nur ein PDF an. Das muss zur weiteren Verarbeitung analog bei der Verwaltung eingegeben werden.
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Was derzeit bei der Verwaltungsgemeinschaft online beantragt werden kann sind Standesamturkunden und Gewerbe. Gekostet hat das laut Kilian 7500 Euro, vom Freistaat wurden 90 Prozent der Kosten übernommen. Am Geld scheitert es also nicht. Laut Kilian allerdings an der Bürokratie. "Damit wir eine Förderung bekommen, müssen wir mindestens drei Angebote einholen. Allerdings haben wir bereits einen Anbieter, von dem wir einen Großteil unserer Verwaltungssoftware haben." Würde er den Auftrag an einen anderen Anbieter vergeben, könnte es zum bereits erwähnten "Bruch" kommen. Zwar könne man begründen, weshalb man einen Anbieter bevorzugt, allerdings kostet das Zeit und Arbeit. "Da wird es bei sechs Leuten schwierig", erklärt Kilian. Eine weitere Kraft müsste her, auch um für die Pflege der Systeme zu sorgen. Sollte nämlich jemand fälschlicherweise seinen Hund in Hagenbüchach anmelden, muss diese Anmeldung aus dem System gelöscht werden. Ansonsten bleibt der Fehler im System.
Welche Hürden gibt es bei der Digitalisierung?
Es gibt aber auch noch andere Hürden, die den Fortschritt der digitalen Verwaltung bremsen. Wie das bayerische Digitalministerium mitteilt, war in der Vergangenheit vor allem die Schriftform, die in vielen Gesetzen gefordert wird, problematisch. Allerdings werde dieses Problem schon angegangen. So wurden bereits einige Normen in der Bauordnung geändert, so dass digitale Anträge rechtlich möglich gemacht werden. Auch das Stellen eines Bauantrages ist mittlerweile laut Gesetzt digital möglich.
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Ein weiterer Knackpunkt ist das Problem der Authentifizierung, also: Wie kann die Kommune sicherstellen, dass die Person, die sich beispielsweise online ummelden will, tatsächlich diese Person ist, für die sie sich ausgibt. Bisher konnte das der Beamte vor Ort selbst prüfen. 2010 wurde erstmals der digitale Personalausweis eingeführt, mit dem sich eine Person auch online ausweisen konnte. Genutzt wird diese Möglichkeit von den meisten Bürgern aber nicht. Eine Idee ist es derzeit, das Elster-Zertifikat, dass Bürger für die digitale Steuererklärung bereits nutzen, auch Ausweisdokument im World Wide Web heranzuziehen.
Wie reagiert die Privatwirtschaft?
Schneller als manche Behörden reagiert die Privatwirtschaft auf die Digitalisierung. Auch Traditionsunternehmen in der Region haben bereits reagiert, wie der Hersbrucker Küchenartikelhersteller Fackelmann keinen Halt. Während in der Fertigung in den 80er Jahren noch eine Maschine von drei Personen bedient werden musste, bedient heute eine Person drei Maschinen. Viele Schritte, die früher per Hand gemacht wurden, erledigt heute ein Roboter. Beispiel Gemüsehobel: Früher musste die Klinge noch per Hand eingelegt werden, heute passiert das automatisiert.
Auch wie die Waren zum Kunden gelangen, wird immer digitaler. Ein Ziel: Die papierlose Kommissionierung. Das bedeutet, ein Mitarbeiter sucht nicht länger mit einem ausgedruckten Lieferschein die Waren einer Bestellung zusammen, sondern kann mit Hilfe eines Scangerätes gleich mehrere Bestellungen bearbeiten. Zusätzlich wird derzeit an einem System gearbeitet, das automatisch für Nachschub sorgt. Ähnlich wie der Kühlschrank, der automatisch Milch nachbestellt.
Bei der Mitarbeitersuche wird nur noch selten auf analoge Mittel zurückgegriffen. "Ganz wenige Stellen, zum Beispiel für Azubis und Ferienarbeiter, schreiben wir auch mal in der Abizeitung oder mit Plakaten aus", erklärt Verena Kern, Sprecherin bei Fackelmann. Der Rest passiert online. Geändert hat sich durch die Digitalisierung auch der Kontakt zu den Kunden. Es ist noch nicht so lange her, da wurden die Artikel hauptsächlich durch den Handel verkauft. Jetzt setzt das Unterhemen immer mehr auf eine Verzahnung von Onlinegeschäft und Geschäften vor Ort. "Diese Kombination wird von den Kundinnen und Kunden sehr gut angenommen", erklärt Kern.
Was kostet die Digitalisierung?
Umsonst ist sie nicht. Wie die Industrie muss auch der Freistaat dafür tief in die Tasche greifen. 2018 hat er 1,5 Milliarden in die Hand genommen, heuer sind bereits 2,1 Milliarden an Ausgaben geplant. Die werden in verschiedenen Verfahren an die Kommunen verteilt und in Pilotprojekte, wie das in Berching, investiert.
Fazit?
In Bayern passiert bereits einiges, vieles ist derzeit aber noch Zukunftsmusik. Es bleibt zu hoffen, dass sich der digitale Fortschritt nicht durch die aktuellen Hürden bremsen lässt. Nur so wird der Bayer in Lederhose künftig seinen Laptop auch sinnvoll nutzen können.
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